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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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lesen und zu drechseln. Daher kümmert sich Niemand um die Beleidigungen der
Zeitungen und um die Zeitungsredacteure selbst. Aber dennoch bleibt die Presse in
Amerika ein mächtiges Werkzeug der Civilisation. Sie unterhält mit Kraft die Be¬
wegung, welche den Boden nmwühlt, die Erde befruchtet und Städte emporsteigen
macht. Sie hat ihre Fehler und ihre Sünden, wie Miß Martineau sagt; oft stellt
sie nur den Rauch der großen, sich ewig fortbewegenden Dampfmaschine dar. Eine
weitere Entwickelung wird erst in der Zukunft stattfinden; jetzt siud die amerika¬
nischen Zeitungen blos Locomotiven der Thatsachen, nicht die Freunde und Ver¬
trauten der Leser.




August Smetmm, der CxeommunicLrte.

Prag war heute tief erregt, Alle, welche Sinn für Gewissensfreiheit im
Herzen tragen, und die Gläubigen uicht minder, welche sich bemühen, eine alte
Zeit wieder herauszurufen. Wohl, eine alte Zeit kann ans ihrem Wege wieder¬
kommen, aber eine ältere, als der Klerus wünscht, jene Zeit des allgemeinen Ab¬
falls von veralteten Formen ohne innern Halt.

Heute trugen sie einen Manu zu Grabe ohne geistlich Geleit; kein weidender
Sprengel hat den Sarg mit dem heiligen Wasser benetzt, keine Weihrauch- und
Harzdüfte haben das Sterbezimmer in mystische Nebel gehüllt. Ob er wohl den
Frieden findet, der Verstorbene, in seiner Grabeserde, die von den Geistlichen nicht
präparirt ist? Ob das Geleit der Tausende, welche dem Leichenwagen folgten,
den einen katholischen Pater, seine Akolyten und Säuger aufzuwiegen vermag,
welche man als unerläßliches Erfordernis; einer normalen Leichenbestattung zu be¬
trachten gewohnt war? Der theure geschiedene Freund ruhet zu Gast bei deu
Leichen der Protestanten, welche ihm auf ihrem Friedhofe mit christlicher Bereit¬
willigkeit einen Platz anwiesen. -- Augustin Smetana, der Denker, der treffliche,
liebevolle Mensch, der, "cels voeante, auf Cousistorialbefehl im April 1850 mit
größter Feierlichkeit excommunicirte Katholik, ward heute begraben. Tausende
ihm Gleichgesinnter geleiteten ihn auf seinem letzten Wege. Und seine Bestattung
wurde eine Demonstration von Tausenden gegen deu Glaubenszwang uuserer
Kirche, ein Zeugniß für das Evangelium der reinen Liebe Christi, das uicht kennt
das starre Goldgewaud des Hierarcheu, uicht deu Kirchenbann, nicht das Interdict,
nicht die absolute Herrschaft Eines über Alle.

Augustin Smetaua war der Sohn eines armen Kirchendieners an der Hein¬
richskirche zu Prag. Fromm und einfach erzogen, bewahrte er seine kindliche


lesen und zu drechseln. Daher kümmert sich Niemand um die Beleidigungen der
Zeitungen und um die Zeitungsredacteure selbst. Aber dennoch bleibt die Presse in
Amerika ein mächtiges Werkzeug der Civilisation. Sie unterhält mit Kraft die Be¬
wegung, welche den Boden nmwühlt, die Erde befruchtet und Städte emporsteigen
macht. Sie hat ihre Fehler und ihre Sünden, wie Miß Martineau sagt; oft stellt
sie nur den Rauch der großen, sich ewig fortbewegenden Dampfmaschine dar. Eine
weitere Entwickelung wird erst in der Zukunft stattfinden; jetzt siud die amerika¬
nischen Zeitungen blos Locomotiven der Thatsachen, nicht die Freunde und Ver¬
trauten der Leser.




August Smetmm, der CxeommunicLrte.

Prag war heute tief erregt, Alle, welche Sinn für Gewissensfreiheit im
Herzen tragen, und die Gläubigen uicht minder, welche sich bemühen, eine alte
Zeit wieder herauszurufen. Wohl, eine alte Zeit kann ans ihrem Wege wieder¬
kommen, aber eine ältere, als der Klerus wünscht, jene Zeit des allgemeinen Ab¬
falls von veralteten Formen ohne innern Halt.

Heute trugen sie einen Manu zu Grabe ohne geistlich Geleit; kein weidender
Sprengel hat den Sarg mit dem heiligen Wasser benetzt, keine Weihrauch- und
Harzdüfte haben das Sterbezimmer in mystische Nebel gehüllt. Ob er wohl den
Frieden findet, der Verstorbene, in seiner Grabeserde, die von den Geistlichen nicht
präparirt ist? Ob das Geleit der Tausende, welche dem Leichenwagen folgten,
den einen katholischen Pater, seine Akolyten und Säuger aufzuwiegen vermag,
welche man als unerläßliches Erfordernis; einer normalen Leichenbestattung zu be¬
trachten gewohnt war? Der theure geschiedene Freund ruhet zu Gast bei deu
Leichen der Protestanten, welche ihm auf ihrem Friedhofe mit christlicher Bereit¬
willigkeit einen Platz anwiesen. — Augustin Smetana, der Denker, der treffliche,
liebevolle Mensch, der, «cels voeante, auf Cousistorialbefehl im April 1850 mit
größter Feierlichkeit excommunicirte Katholik, ward heute begraben. Tausende
ihm Gleichgesinnter geleiteten ihn auf seinem letzten Wege. Und seine Bestattung
wurde eine Demonstration von Tausenden gegen deu Glaubenszwang uuserer
Kirche, ein Zeugniß für das Evangelium der reinen Liebe Christi, das uicht kennt
das starre Goldgewaud des Hierarcheu, uicht deu Kirchenbann, nicht das Interdict,
nicht die absolute Herrschaft Eines über Alle.

Augustin Smetaua war der Sohn eines armen Kirchendieners an der Hein¬
richskirche zu Prag. Fromm und einfach erzogen, bewahrte er seine kindliche


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[0241] lesen und zu drechseln. Daher kümmert sich Niemand um die Beleidigungen der Zeitungen und um die Zeitungsredacteure selbst. Aber dennoch bleibt die Presse in Amerika ein mächtiges Werkzeug der Civilisation. Sie unterhält mit Kraft die Be¬ wegung, welche den Boden nmwühlt, die Erde befruchtet und Städte emporsteigen macht. Sie hat ihre Fehler und ihre Sünden, wie Miß Martineau sagt; oft stellt sie nur den Rauch der großen, sich ewig fortbewegenden Dampfmaschine dar. Eine weitere Entwickelung wird erst in der Zukunft stattfinden; jetzt siud die amerika¬ nischen Zeitungen blos Locomotiven der Thatsachen, nicht die Freunde und Ver¬ trauten der Leser. August Smetmm, der CxeommunicLrte. Prag war heute tief erregt, Alle, welche Sinn für Gewissensfreiheit im Herzen tragen, und die Gläubigen uicht minder, welche sich bemühen, eine alte Zeit wieder herauszurufen. Wohl, eine alte Zeit kann ans ihrem Wege wieder¬ kommen, aber eine ältere, als der Klerus wünscht, jene Zeit des allgemeinen Ab¬ falls von veralteten Formen ohne innern Halt. Heute trugen sie einen Manu zu Grabe ohne geistlich Geleit; kein weidender Sprengel hat den Sarg mit dem heiligen Wasser benetzt, keine Weihrauch- und Harzdüfte haben das Sterbezimmer in mystische Nebel gehüllt. Ob er wohl den Frieden findet, der Verstorbene, in seiner Grabeserde, die von den Geistlichen nicht präparirt ist? Ob das Geleit der Tausende, welche dem Leichenwagen folgten, den einen katholischen Pater, seine Akolyten und Säuger aufzuwiegen vermag, welche man als unerläßliches Erfordernis; einer normalen Leichenbestattung zu be¬ trachten gewohnt war? Der theure geschiedene Freund ruhet zu Gast bei deu Leichen der Protestanten, welche ihm auf ihrem Friedhofe mit christlicher Bereit¬ willigkeit einen Platz anwiesen. — Augustin Smetana, der Denker, der treffliche, liebevolle Mensch, der, «cels voeante, auf Cousistorialbefehl im April 1850 mit größter Feierlichkeit excommunicirte Katholik, ward heute begraben. Tausende ihm Gleichgesinnter geleiteten ihn auf seinem letzten Wege. Und seine Bestattung wurde eine Demonstration von Tausenden gegen deu Glaubenszwang uuserer Kirche, ein Zeugniß für das Evangelium der reinen Liebe Christi, das uicht kennt das starre Goldgewaud des Hierarcheu, uicht deu Kirchenbann, nicht das Interdict, nicht die absolute Herrschaft Eines über Alle. Augustin Smetaua war der Sohn eines armen Kirchendieners an der Hein¬ richskirche zu Prag. Fromm und einfach erzogen, bewahrte er seine kindliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/241>, abgerufen am 04.07.2024.