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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Stalle entstand, weckte einen Ochsenknecht, der im nächsten Stalle schlief, und
dieser fand augenblicklich die Stelle, wo die Wölfe eingebrochen waren. Er ver¬
stopfte die Oeffung unverweilt von Außen und machte Meldung. Sogleich be¬
waffnete mau sich mit Schlingen, Knitteln und Bretern, welche als Schilde benutzt
werden sollten, und drang mit Laternen in den Stall ein. Durch das Licht ge¬
blendet, stürzten Schafe und Wölfe dermaßen durcheinander, daß die Hälfte der
Männer, zu deuen auch der Besitzer und ich gehörten, niedergerissen wurden, und
Wölfe und Schafe traten auf einige Augenblicke in tollem Knäuel jämmerlich auf
dem Correspondenten der Grenzboten herum. Die Augenblicke waren nichts¬
würdig, obgleich ich auf das Mitgefühl der Leser keine Ansprüche machen will.
Endlich hatte sich Alles aufgerafft und orientirt. Der Hausherr commandirte und
uun drängte man drei Wölfe mit den breternen Schilden hinter einen Kasten,
und warf ihnen Schlingen über; ein vierter, der sich nicht in diese Presse bringen
ließ, wurde mit Knitteln niedergeschlagen, der fünfte aber war verschwunden, er
hatte sich irgendwo durch die Wand des Stalls gedrängt. Jetzt erst wurde
untersucht, welchen Schaden die Räuber angerichtet hatten', und man zählte über
vierzig erwürgte, erstickte und zum Theil zerrissene Schafe. Der polnische Guts¬
herr nahm an den drei gefangenen Bestien eine wilde Rache, er hieb ihnen die
Vorderpfoten und Schwänze ab, und ließ sie dann laufen, was sie natürlich nicht
konnten; sie wurden sogleich von seinen Windhunden zerrissen.

Im Sommer, wo die Wölfe den Menschen am wenigsten gefährlich sind,
sind sie es doch den Thieren am meisten, weil diese auf der Weide leben. Die
Weide aber ist in Polen meistens im Walde, und das ist den Wölfen behaglich.
Ochsen, Kühe und Pferde, die sie nicht sogleich niederreißen oder forttragen
können, begleiten sie ans der Flucht, indem sie ihnen Stücken Fleisch aus den
Weichen und dem Leib reißen. Das Thier renu't oft, wenn es schon seine Ein¬
geweide hinter sich herschleppt, noch Stunden weit, bis es endlich vom Blutver¬
lust und Schmerz entkräftet niedersinkt, um verspeist zu werdeu. Bisweilen kommt
es vor, daß Ochsen, statt zu flüchten, sich zur Wehr scheu und vertheidigen. Das
ist ein aufregender Anblick. Geschieht dies nicht im Walde, fondern nah am
Walde in offener Gegend, so pflegen sich die Wölfe schon nach den ersten ver¬
geblichen Angriffen eilend in das Gebüsch zurückzuziehen; wie sie sich denn auf
einen ehrlichen Kampf überhaupt nur ungern einlassen. ,

Ein schönes Schauspiel aber gewähre" die Pferde, welche sich in einem
Pferch befinden, wenn sie Wölfe in der Nähe entdecken. Dann braust plötzlich
die ganze Heerde wild dnrch einander; ungeheures Schnauben und Wiehern;
manche Thiere fliegen in grotesken, wilden Sprüngen in der Runde, fort¬
während mit deu Hinterhufen in die Luft feuernd, ändere bilden, die Köpfe zu¬
sammensteckend einen Kreis und schlagen ohne Aufhören wüthend uach hinten aus,
noch andere fliegen dem Orte zu, wo sich die Wölfe sehen ließen, strecken Kopf


Stalle entstand, weckte einen Ochsenknecht, der im nächsten Stalle schlief, und
dieser fand augenblicklich die Stelle, wo die Wölfe eingebrochen waren. Er ver¬
stopfte die Oeffung unverweilt von Außen und machte Meldung. Sogleich be¬
waffnete mau sich mit Schlingen, Knitteln und Bretern, welche als Schilde benutzt
werden sollten, und drang mit Laternen in den Stall ein. Durch das Licht ge¬
blendet, stürzten Schafe und Wölfe dermaßen durcheinander, daß die Hälfte der
Männer, zu deuen auch der Besitzer und ich gehörten, niedergerissen wurden, und
Wölfe und Schafe traten auf einige Augenblicke in tollem Knäuel jämmerlich auf
dem Correspondenten der Grenzboten herum. Die Augenblicke waren nichts¬
würdig, obgleich ich auf das Mitgefühl der Leser keine Ansprüche machen will.
Endlich hatte sich Alles aufgerafft und orientirt. Der Hausherr commandirte und
uun drängte man drei Wölfe mit den breternen Schilden hinter einen Kasten,
und warf ihnen Schlingen über; ein vierter, der sich nicht in diese Presse bringen
ließ, wurde mit Knitteln niedergeschlagen, der fünfte aber war verschwunden, er
hatte sich irgendwo durch die Wand des Stalls gedrängt. Jetzt erst wurde
untersucht, welchen Schaden die Räuber angerichtet hatten', und man zählte über
vierzig erwürgte, erstickte und zum Theil zerrissene Schafe. Der polnische Guts¬
herr nahm an den drei gefangenen Bestien eine wilde Rache, er hieb ihnen die
Vorderpfoten und Schwänze ab, und ließ sie dann laufen, was sie natürlich nicht
konnten; sie wurden sogleich von seinen Windhunden zerrissen.

Im Sommer, wo die Wölfe den Menschen am wenigsten gefährlich sind,
sind sie es doch den Thieren am meisten, weil diese auf der Weide leben. Die
Weide aber ist in Polen meistens im Walde, und das ist den Wölfen behaglich.
Ochsen, Kühe und Pferde, die sie nicht sogleich niederreißen oder forttragen
können, begleiten sie ans der Flucht, indem sie ihnen Stücken Fleisch aus den
Weichen und dem Leib reißen. Das Thier renu't oft, wenn es schon seine Ein¬
geweide hinter sich herschleppt, noch Stunden weit, bis es endlich vom Blutver¬
lust und Schmerz entkräftet niedersinkt, um verspeist zu werdeu. Bisweilen kommt
es vor, daß Ochsen, statt zu flüchten, sich zur Wehr scheu und vertheidigen. Das
ist ein aufregender Anblick. Geschieht dies nicht im Walde, fondern nah am
Walde in offener Gegend, so pflegen sich die Wölfe schon nach den ersten ver¬
geblichen Angriffen eilend in das Gebüsch zurückzuziehen; wie sie sich denn auf
einen ehrlichen Kampf überhaupt nur ungern einlassen. ,

Ein schönes Schauspiel aber gewähre» die Pferde, welche sich in einem
Pferch befinden, wenn sie Wölfe in der Nähe entdecken. Dann braust plötzlich
die ganze Heerde wild dnrch einander; ungeheures Schnauben und Wiehern;
manche Thiere fliegen in grotesken, wilden Sprüngen in der Runde, fort¬
während mit deu Hinterhufen in die Luft feuernd, ändere bilden, die Köpfe zu¬
sammensteckend einen Kreis und schlagen ohne Aufhören wüthend uach hinten aus,
noch andere fliegen dem Orte zu, wo sich die Wölfe sehen ließen, strecken Kopf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/220>, abgerufen am 04.07.2024.