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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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wie er denn auch selbst mit seiner vierspännigen russischen Droschke die Straßen
der Stadt vou früh bis zur Abend erfüllt. Das weibliche Personal des Ballets
genießt seine vorzügliche Huld. Mail kann ihm aber kaum den Vorwurf macheu,
selbst diesen Weg des sittlichen Verderbens aufgesucht zu haben. Ein Begleiter,
dessen Schwester eine Rolle im Haushalt des Fürsten gespielt hat, ist stets an
seiner Seite und scheint dazu berufen, den jungen Heldensohn in Schwelgereien
zu ziehen.

Der Kaiser Nicolaus benutzt passende Gelegenheiten, sich vor der Welt dem
jungen Paskiewicz mehr als Vater wie als Herr zu zeigen. In Gegenwart der
Generale indeß wägt der Kaiser den Obersten mehr nach den Jahren, und es
gewinnt bisweilen den Anschein, als ob seine Blicke über die Achsel auf ihn fielen.
Der junge Paskiewicz mag darin eine Veranlassung gefunden haben, die Nähe
des Kaisers zu fliehen, denn wo dies uur möglich, thut er es. Seines Vaters
Streben dagegen ist, ihn so sehr als möglich mit dem Czaren in Berührung zu
bringen, und die Taktlosigkeiten des Sohnes, welche dem Vater Verlegenheit be-
reiten, halten diesen nicht ab, seinem Bestreben treu zu bleiben.

Unter allen Generälen sieht man Herrn von Abramowicz am häufigsten
beim Fürsten. Seine Stellung als Polizeimeister und Generaldirector der kaiser¬
lichen Theater gibt ihm allerdings Veranlassung zu vielen Conferenzen; noch öfter
aber sucht er die Veranlassung dazu. Er ist der unermüdliche Neuigkeitsbringer
und, wie allgemein behauptet wird, auch ein Neuigkeitsmacher. Abramowicz ist
Russe, ein allerunterthänigster Knecht, aber es läßt sich doch nicht verschweigen,
daß er sich mehrfach als ein braver Mann bewiesen hat und z. B. sür Bitten
politisch gefährdeter Personen nicht taub war, wenn sie ungewöhnliche Demuth
und Ehrfurcht vor seiner Person ausdrückten. Es ist Naturgesetz, daß Leute,
die sich gegen Größere am tiefsten beugen, gegen niedrigere die allerhöchsten
Ansprüche machen. Die wissenschaftliche und künstlerische Bildung bei Herrn von
Abramowicz ist nicht ungewöhnlich und wie er mit der Direction der Theater
durchkomme, dürfte dem wohl ein Räthsel sein, der nicht weiß, daß die kaiser¬
lichen Theater in Warschau uicht besonders dirigirt sind.. Das Drama ist total
verwahrlost, dagegen aber das Ballet aufs Höchste cultivirt, leider aber -- na¬
türlich nach dem Geschmacke der vornehmen Russen -- mit zu viel Lascivität um¬
geben.

Abramowicz ist treu dem Beispiel gefolgt, welches der frühere Generaldirector,
der General Rautenstrauch, gegeben, seine Pietät gegen diesen ist sogar so weit
gegangen, daß er die Favoritin desselben fortprotegirte. Schade, daß Fräulein
Gwozdecki mehr artige Dame als gute Tänzerin ist und ihre ungerechte Bevor¬
zugung durch ihre Gönner das Publicum häufig zu Aeußerungen des Mißver¬
gnügens verführt. Schon zur Zeit Rautenstrauch's kamen ihretwegen ärgerliche
Scenen vor; so mußte sie einmal, da das Publicum ihre Claqueurs durch Zischen


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wie er denn auch selbst mit seiner vierspännigen russischen Droschke die Straßen
der Stadt vou früh bis zur Abend erfüllt. Das weibliche Personal des Ballets
genießt seine vorzügliche Huld. Mail kann ihm aber kaum den Vorwurf macheu,
selbst diesen Weg des sittlichen Verderbens aufgesucht zu haben. Ein Begleiter,
dessen Schwester eine Rolle im Haushalt des Fürsten gespielt hat, ist stets an
seiner Seite und scheint dazu berufen, den jungen Heldensohn in Schwelgereien
zu ziehen.

Der Kaiser Nicolaus benutzt passende Gelegenheiten, sich vor der Welt dem
jungen Paskiewicz mehr als Vater wie als Herr zu zeigen. In Gegenwart der
Generale indeß wägt der Kaiser den Obersten mehr nach den Jahren, und es
gewinnt bisweilen den Anschein, als ob seine Blicke über die Achsel auf ihn fielen.
Der junge Paskiewicz mag darin eine Veranlassung gefunden haben, die Nähe
des Kaisers zu fliehen, denn wo dies uur möglich, thut er es. Seines Vaters
Streben dagegen ist, ihn so sehr als möglich mit dem Czaren in Berührung zu
bringen, und die Taktlosigkeiten des Sohnes, welche dem Vater Verlegenheit be-
reiten, halten diesen nicht ab, seinem Bestreben treu zu bleiben.

Unter allen Generälen sieht man Herrn von Abramowicz am häufigsten
beim Fürsten. Seine Stellung als Polizeimeister und Generaldirector der kaiser¬
lichen Theater gibt ihm allerdings Veranlassung zu vielen Conferenzen; noch öfter
aber sucht er die Veranlassung dazu. Er ist der unermüdliche Neuigkeitsbringer
und, wie allgemein behauptet wird, auch ein Neuigkeitsmacher. Abramowicz ist
Russe, ein allerunterthänigster Knecht, aber es läßt sich doch nicht verschweigen,
daß er sich mehrfach als ein braver Mann bewiesen hat und z. B. sür Bitten
politisch gefährdeter Personen nicht taub war, wenn sie ungewöhnliche Demuth
und Ehrfurcht vor seiner Person ausdrückten. Es ist Naturgesetz, daß Leute,
die sich gegen Größere am tiefsten beugen, gegen niedrigere die allerhöchsten
Ansprüche machen. Die wissenschaftliche und künstlerische Bildung bei Herrn von
Abramowicz ist nicht ungewöhnlich und wie er mit der Direction der Theater
durchkomme, dürfte dem wohl ein Räthsel sein, der nicht weiß, daß die kaiser¬
lichen Theater in Warschau uicht besonders dirigirt sind.. Das Drama ist total
verwahrlost, dagegen aber das Ballet aufs Höchste cultivirt, leider aber — na¬
türlich nach dem Geschmacke der vornehmen Russen — mit zu viel Lascivität um¬
geben.

Abramowicz ist treu dem Beispiel gefolgt, welches der frühere Generaldirector,
der General Rautenstrauch, gegeben, seine Pietät gegen diesen ist sogar so weit
gegangen, daß er die Favoritin desselben fortprotegirte. Schade, daß Fräulein
Gwozdecki mehr artige Dame als gute Tänzerin ist und ihre ungerechte Bevor¬
zugung durch ihre Gönner das Publicum häufig zu Aeußerungen des Mißver¬
gnügens verführt. Schon zur Zeit Rautenstrauch's kamen ihretwegen ärgerliche
Scenen vor; so mußte sie einmal, da das Publicum ihre Claqueurs durch Zischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/191>, abgerufen am 24.07.2024.