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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Petersburg geschafft und ziert jetzt als Triumph gerät!) die königlichen Schlösser,
Arsenale und Museen. Was sich jetzt in dem Hause der polnischen Könige tum¬
melt, könnte wohl die alten Herren aus ihrem Grabe erwecken, wenn es in hohen
Kreisen noch für schicklich gehalten würde, als Gespenst umzugehen; und in der
That stand der alte plumpe Steinbau sonst nicht in dem besten Nenommv, und
mancher alte bärtige Greis soll in schauervollen Nächten durch die Gänge ge¬
schlichen sein und gegen die russischen Wachen und das Schlafzimmer des Fürsten
die Fäuste geballt haben, jetzt aber, wo der Unglaube den Herren auch das Recht
zu dem bescheidenen Vergnügen, ein Gespenst zu sein, abgesprochen hat, ist von
den alten Königen Polens nichts mehr zu merken; der Nüsse hat auch ihre
Schatten besiegt.

Uns interessiren die Lebenden, und was ich aus dem Privatleben des Fürsten
erzähle, ist zu gleicher Zeit charakteristisch für das gesellschaftliche Leben Warschaus
und Polens, oder, wie man bald wird sagen müssen, des westlichen Rußlands.
Wer deu Fürsten Paskiewicz vor etwa 10 Jahren gesehen, würde Mühe haben,
ihn wieder zu erkennen; Rußlands ruhmgekrönter Held ist gealtert, sein spärliches
Haar gebleicht, das sonst so glänzende Ange blickt trübe, nur sein Stolz oder
seine Herzlichkeit werfen noch zuweilen einen Funken hinein. Das Gesicht und
die hohe Stirn sind faltig geworden, und von der männlichen Kraft, welche den
Herrn sonst auszeichnete, ist wenig mehr zu erblicken. Sind's die Siege in Ungarn,
sind's die Siege über Polen, oder war's die Furcht vor jener Ungnade, von
welcher die Besucher des Palastes vor einigen Jahren so viel erzählten? Aber ein
Zug von Gutmüthigkeit nud Menschenfreundlichkeit ist im Gesicht geblieben, welcher
die Physiognomie des Fürsten zu einer durchaus unrusfischen macht. Er ist auch
weniger Russe, als Alle, die ihn umkreisen. Von der suffisance und Indolenz,
welche auch die gebildeten Russen in einzelnen unbewachten Augenblicken widerlich
macht, ist bei ihm keine Spur; er ist uicht nur vornehm durch die lange Gewöh¬
nung, zu befehlen und zu beherrschen, sondern auch vornehm ans eingeborner An¬
lage. Natürlich ist der Fürst der Mittelpunkt aller polnischen und russischen
Klatschereien, und daß er alt geworden ist, hat den Warschauern viel Stoff zu
scandalösen Geschichten genommen, denn sein wechselndes Interesse für die Damen¬
schönheiten Warschaus war ewiger Gegenstand der Unterhaltung wie der Speku¬
lation. Auch hierin zeichnete sich der Fürst Paskiewiecz bei brutaler und sittenloser
Umgebung durch Delicatesse und ein rücksichtsvolles Benehmen aus, welche nicht dazu
beitrugen, den verheirateten Damen Warschans die Person des Fürstell zu verleiden.

Der schönste Stern am Hofe des Fürsten Statthalters ist untergegangen:
die Fürstin Iablonowski ist in der Zeit der Jugend und Schönheit hinabgestiegen in
die Unterwelt. So lange sie lebte, war der Hof von Warschall jung und unter¬
nehmend wie sein Fürst; seit die schönste Polin im Grabe liegt, ist es farb¬
loser geworden, und gemeiner, als am russischen Hofe. Die Fürstin und ihr


Petersburg geschafft und ziert jetzt als Triumph gerät!) die königlichen Schlösser,
Arsenale und Museen. Was sich jetzt in dem Hause der polnischen Könige tum¬
melt, könnte wohl die alten Herren aus ihrem Grabe erwecken, wenn es in hohen
Kreisen noch für schicklich gehalten würde, als Gespenst umzugehen; und in der
That stand der alte plumpe Steinbau sonst nicht in dem besten Nenommv, und
mancher alte bärtige Greis soll in schauervollen Nächten durch die Gänge ge¬
schlichen sein und gegen die russischen Wachen und das Schlafzimmer des Fürsten
die Fäuste geballt haben, jetzt aber, wo der Unglaube den Herren auch das Recht
zu dem bescheidenen Vergnügen, ein Gespenst zu sein, abgesprochen hat, ist von
den alten Königen Polens nichts mehr zu merken; der Nüsse hat auch ihre
Schatten besiegt.

Uns interessiren die Lebenden, und was ich aus dem Privatleben des Fürsten
erzähle, ist zu gleicher Zeit charakteristisch für das gesellschaftliche Leben Warschaus
und Polens, oder, wie man bald wird sagen müssen, des westlichen Rußlands.
Wer deu Fürsten Paskiewicz vor etwa 10 Jahren gesehen, würde Mühe haben,
ihn wieder zu erkennen; Rußlands ruhmgekrönter Held ist gealtert, sein spärliches
Haar gebleicht, das sonst so glänzende Ange blickt trübe, nur sein Stolz oder
seine Herzlichkeit werfen noch zuweilen einen Funken hinein. Das Gesicht und
die hohe Stirn sind faltig geworden, und von der männlichen Kraft, welche den
Herrn sonst auszeichnete, ist wenig mehr zu erblicken. Sind's die Siege in Ungarn,
sind's die Siege über Polen, oder war's die Furcht vor jener Ungnade, von
welcher die Besucher des Palastes vor einigen Jahren so viel erzählten? Aber ein
Zug von Gutmüthigkeit nud Menschenfreundlichkeit ist im Gesicht geblieben, welcher
die Physiognomie des Fürsten zu einer durchaus unrusfischen macht. Er ist auch
weniger Russe, als Alle, die ihn umkreisen. Von der suffisance und Indolenz,
welche auch die gebildeten Russen in einzelnen unbewachten Augenblicken widerlich
macht, ist bei ihm keine Spur; er ist uicht nur vornehm durch die lange Gewöh¬
nung, zu befehlen und zu beherrschen, sondern auch vornehm ans eingeborner An¬
lage. Natürlich ist der Fürst der Mittelpunkt aller polnischen und russischen
Klatschereien, und daß er alt geworden ist, hat den Warschauern viel Stoff zu
scandalösen Geschichten genommen, denn sein wechselndes Interesse für die Damen¬
schönheiten Warschaus war ewiger Gegenstand der Unterhaltung wie der Speku¬
lation. Auch hierin zeichnete sich der Fürst Paskiewiecz bei brutaler und sittenloser
Umgebung durch Delicatesse und ein rücksichtsvolles Benehmen aus, welche nicht dazu
beitrugen, den verheirateten Damen Warschans die Person des Fürstell zu verleiden.

Der schönste Stern am Hofe des Fürsten Statthalters ist untergegangen:
die Fürstin Iablonowski ist in der Zeit der Jugend und Schönheit hinabgestiegen in
die Unterwelt. So lange sie lebte, war der Hof von Warschall jung und unter¬
nehmend wie sein Fürst; seit die schönste Polin im Grabe liegt, ist es farb¬
loser geworden, und gemeiner, als am russischen Hofe. Die Fürstin und ihr


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[0188] Petersburg geschafft und ziert jetzt als Triumph gerät!) die königlichen Schlösser, Arsenale und Museen. Was sich jetzt in dem Hause der polnischen Könige tum¬ melt, könnte wohl die alten Herren aus ihrem Grabe erwecken, wenn es in hohen Kreisen noch für schicklich gehalten würde, als Gespenst umzugehen; und in der That stand der alte plumpe Steinbau sonst nicht in dem besten Nenommv, und mancher alte bärtige Greis soll in schauervollen Nächten durch die Gänge ge¬ schlichen sein und gegen die russischen Wachen und das Schlafzimmer des Fürsten die Fäuste geballt haben, jetzt aber, wo der Unglaube den Herren auch das Recht zu dem bescheidenen Vergnügen, ein Gespenst zu sein, abgesprochen hat, ist von den alten Königen Polens nichts mehr zu merken; der Nüsse hat auch ihre Schatten besiegt. Uns interessiren die Lebenden, und was ich aus dem Privatleben des Fürsten erzähle, ist zu gleicher Zeit charakteristisch für das gesellschaftliche Leben Warschaus und Polens, oder, wie man bald wird sagen müssen, des westlichen Rußlands. Wer deu Fürsten Paskiewicz vor etwa 10 Jahren gesehen, würde Mühe haben, ihn wieder zu erkennen; Rußlands ruhmgekrönter Held ist gealtert, sein spärliches Haar gebleicht, das sonst so glänzende Ange blickt trübe, nur sein Stolz oder seine Herzlichkeit werfen noch zuweilen einen Funken hinein. Das Gesicht und die hohe Stirn sind faltig geworden, und von der männlichen Kraft, welche den Herrn sonst auszeichnete, ist wenig mehr zu erblicken. Sind's die Siege in Ungarn, sind's die Siege über Polen, oder war's die Furcht vor jener Ungnade, von welcher die Besucher des Palastes vor einigen Jahren so viel erzählten? Aber ein Zug von Gutmüthigkeit nud Menschenfreundlichkeit ist im Gesicht geblieben, welcher die Physiognomie des Fürsten zu einer durchaus unrusfischen macht. Er ist auch weniger Russe, als Alle, die ihn umkreisen. Von der suffisance und Indolenz, welche auch die gebildeten Russen in einzelnen unbewachten Augenblicken widerlich macht, ist bei ihm keine Spur; er ist uicht nur vornehm durch die lange Gewöh¬ nung, zu befehlen und zu beherrschen, sondern auch vornehm ans eingeborner An¬ lage. Natürlich ist der Fürst der Mittelpunkt aller polnischen und russischen Klatschereien, und daß er alt geworden ist, hat den Warschauern viel Stoff zu scandalösen Geschichten genommen, denn sein wechselndes Interesse für die Damen¬ schönheiten Warschaus war ewiger Gegenstand der Unterhaltung wie der Speku¬ lation. Auch hierin zeichnete sich der Fürst Paskiewiecz bei brutaler und sittenloser Umgebung durch Delicatesse und ein rücksichtsvolles Benehmen aus, welche nicht dazu beitrugen, den verheirateten Damen Warschans die Person des Fürstell zu verleiden. Der schönste Stern am Hofe des Fürsten Statthalters ist untergegangen: die Fürstin Iablonowski ist in der Zeit der Jugend und Schönheit hinabgestiegen in die Unterwelt. So lange sie lebte, war der Hof von Warschall jung und unter¬ nehmend wie sein Fürst; seit die schönste Polin im Grabe liegt, ist es farb¬ loser geworden, und gemeiner, als am russischen Hofe. Die Fürstin und ihr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/188>, abgerufen am 04.07.2024.