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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Wir sehen in dem neuen Versuch, Deutschland und Oestreich zu einem
Staatskörper zu vereinigen, einen Durchgangspunkt unserer staatlichen Entwick-
lung, deren großes Resultat eine starke und innige Vereinigung deutscher Staa¬
ten neben Oestreich sein muß, eine neue Union, nnter deren Banner die ein¬
zelnen Völker aufhören werden, ihre Schwäche zu lieben.

Welches Resultat die gegenwärtige Herrschaft der dynastischen Interessen
auch sonst haben möge, sie wird die furchtsame Unsicherheit, in welcher der größte
Theil der Deutschen seit zwei Jahren befangen war, aufheben, sie wird Entschei¬
dung bringen, Gewißheit für Liebe und Haß, ein festes Ziel für uusern politischen
Kampf um Recht und für das Recht. Dies Blatt wird fortfahren, wie bisher
die politischen Begebenheiten in erzählenden und beurtheilenden Artikeln darzustellen,
es wird die Zustände des Kaiserstaats ebenso wie die Preußens und der übrigen
deutschen Staaten zu schildern bemüht sein. Der Bann, uuter welchem die Ta-
gespresse Oestreichs wieder liegt, mag auch unseren Freunden im Kaiserstaat eine
Darstellung ihrer eigeuen Verhältnisse in einem deutschen Blatt nicht überflüssig
erscheinen lassen.

Seit die Deutschen ihre Sprache so leidenschaftlich als Waffe gebraucht haben,
um ihre politischen Gegner zu bekämpfen, scheinen die Musen der Sprache zu
grollen. Die deutsche Poesie hat in dem letzten Jahre keine Triumphe gefeiert; überall
Mangel an productiver Kraft, oder Unlust, zu schaffen; kaum hier und 'da ein neues
Talent, welches zu dauernden Hoffnungen berechtigt. Und wie überall wo die Größe
fehlt, das Kleine sich breitet, so hat anch im Reiche der Poesie ein flüchtiger, roher, be¬
gehrlicher Dilettantismus um sich gegriffen, welcher den Speculationen uuserer bücher-
suchenden Verleger willig dient und die Coulissenschnüre unserer zahlreichen Theater
in Bewegung erhält. Wenn dies Blatt fortfährt, gegen diese allgemeine Verwil¬
derung, gegen Auswüchse und Verirrungen der besseren Talente Front zu machen, so
erbittet es gerade hierbei sehr dringend die freundliche Theilnahme der Gebildeten
deutscher Nation. Denn wenn es auch der Kritik nicht möglich ist, ein kräftiges
Blühen der Kunst hervorzutreiben, so hat sie doch grade in solcher Uebergangs¬
periode, wo die Auflösung alter Kunstrichtungen Kraftlosigkeit und Verwilderung
bewirkt, die allergrößte Verpflichtung, die Gesetze des Schönen im Bewußtsein
der Lebenden zu erhalten sür eine neue, aufkeimende Knnstgeneration. Wo aber
dies Blatt irgend eine gesunde Kraft, ein versprechendes Talent sieht, da soll es
nicht lau sein in Anerkennung und Theilnahme.

Für die übrigen Richtungen des schönen Schaffens, die Musik, die bildenden
und darstellenden Künste, werden wir mehr Raum zu gewinnen suchen, als bisher


Wir sehen in dem neuen Versuch, Deutschland und Oestreich zu einem
Staatskörper zu vereinigen, einen Durchgangspunkt unserer staatlichen Entwick-
lung, deren großes Resultat eine starke und innige Vereinigung deutscher Staa¬
ten neben Oestreich sein muß, eine neue Union, nnter deren Banner die ein¬
zelnen Völker aufhören werden, ihre Schwäche zu lieben.

Welches Resultat die gegenwärtige Herrschaft der dynastischen Interessen
auch sonst haben möge, sie wird die furchtsame Unsicherheit, in welcher der größte
Theil der Deutschen seit zwei Jahren befangen war, aufheben, sie wird Entschei¬
dung bringen, Gewißheit für Liebe und Haß, ein festes Ziel für uusern politischen
Kampf um Recht und für das Recht. Dies Blatt wird fortfahren, wie bisher
die politischen Begebenheiten in erzählenden und beurtheilenden Artikeln darzustellen,
es wird die Zustände des Kaiserstaats ebenso wie die Preußens und der übrigen
deutschen Staaten zu schildern bemüht sein. Der Bann, uuter welchem die Ta-
gespresse Oestreichs wieder liegt, mag auch unseren Freunden im Kaiserstaat eine
Darstellung ihrer eigeuen Verhältnisse in einem deutschen Blatt nicht überflüssig
erscheinen lassen.

Seit die Deutschen ihre Sprache so leidenschaftlich als Waffe gebraucht haben,
um ihre politischen Gegner zu bekämpfen, scheinen die Musen der Sprache zu
grollen. Die deutsche Poesie hat in dem letzten Jahre keine Triumphe gefeiert; überall
Mangel an productiver Kraft, oder Unlust, zu schaffen; kaum hier und 'da ein neues
Talent, welches zu dauernden Hoffnungen berechtigt. Und wie überall wo die Größe
fehlt, das Kleine sich breitet, so hat anch im Reiche der Poesie ein flüchtiger, roher, be¬
gehrlicher Dilettantismus um sich gegriffen, welcher den Speculationen uuserer bücher-
suchenden Verleger willig dient und die Coulissenschnüre unserer zahlreichen Theater
in Bewegung erhält. Wenn dies Blatt fortfährt, gegen diese allgemeine Verwil¬
derung, gegen Auswüchse und Verirrungen der besseren Talente Front zu machen, so
erbittet es gerade hierbei sehr dringend die freundliche Theilnahme der Gebildeten
deutscher Nation. Denn wenn es auch der Kritik nicht möglich ist, ein kräftiges
Blühen der Kunst hervorzutreiben, so hat sie doch grade in solcher Uebergangs¬
periode, wo die Auflösung alter Kunstrichtungen Kraftlosigkeit und Verwilderung
bewirkt, die allergrößte Verpflichtung, die Gesetze des Schönen im Bewußtsein
der Lebenden zu erhalten sür eine neue, aufkeimende Knnstgeneration. Wo aber
dies Blatt irgend eine gesunde Kraft, ein versprechendes Talent sieht, da soll es
nicht lau sein in Anerkennung und Theilnahme.

Für die übrigen Richtungen des schönen Schaffens, die Musik, die bildenden
und darstellenden Künste, werden wir mehr Raum zu gewinnen suchen, als bisher


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[0014] Wir sehen in dem neuen Versuch, Deutschland und Oestreich zu einem Staatskörper zu vereinigen, einen Durchgangspunkt unserer staatlichen Entwick- lung, deren großes Resultat eine starke und innige Vereinigung deutscher Staa¬ ten neben Oestreich sein muß, eine neue Union, nnter deren Banner die ein¬ zelnen Völker aufhören werden, ihre Schwäche zu lieben. Welches Resultat die gegenwärtige Herrschaft der dynastischen Interessen auch sonst haben möge, sie wird die furchtsame Unsicherheit, in welcher der größte Theil der Deutschen seit zwei Jahren befangen war, aufheben, sie wird Entschei¬ dung bringen, Gewißheit für Liebe und Haß, ein festes Ziel für uusern politischen Kampf um Recht und für das Recht. Dies Blatt wird fortfahren, wie bisher die politischen Begebenheiten in erzählenden und beurtheilenden Artikeln darzustellen, es wird die Zustände des Kaiserstaats ebenso wie die Preußens und der übrigen deutschen Staaten zu schildern bemüht sein. Der Bann, uuter welchem die Ta- gespresse Oestreichs wieder liegt, mag auch unseren Freunden im Kaiserstaat eine Darstellung ihrer eigeuen Verhältnisse in einem deutschen Blatt nicht überflüssig erscheinen lassen. Seit die Deutschen ihre Sprache so leidenschaftlich als Waffe gebraucht haben, um ihre politischen Gegner zu bekämpfen, scheinen die Musen der Sprache zu grollen. Die deutsche Poesie hat in dem letzten Jahre keine Triumphe gefeiert; überall Mangel an productiver Kraft, oder Unlust, zu schaffen; kaum hier und 'da ein neues Talent, welches zu dauernden Hoffnungen berechtigt. Und wie überall wo die Größe fehlt, das Kleine sich breitet, so hat anch im Reiche der Poesie ein flüchtiger, roher, be¬ gehrlicher Dilettantismus um sich gegriffen, welcher den Speculationen uuserer bücher- suchenden Verleger willig dient und die Coulissenschnüre unserer zahlreichen Theater in Bewegung erhält. Wenn dies Blatt fortfährt, gegen diese allgemeine Verwil¬ derung, gegen Auswüchse und Verirrungen der besseren Talente Front zu machen, so erbittet es gerade hierbei sehr dringend die freundliche Theilnahme der Gebildeten deutscher Nation. Denn wenn es auch der Kritik nicht möglich ist, ein kräftiges Blühen der Kunst hervorzutreiben, so hat sie doch grade in solcher Uebergangs¬ periode, wo die Auflösung alter Kunstrichtungen Kraftlosigkeit und Verwilderung bewirkt, die allergrößte Verpflichtung, die Gesetze des Schönen im Bewußtsein der Lebenden zu erhalten sür eine neue, aufkeimende Knnstgeneration. Wo aber dies Blatt irgend eine gesunde Kraft, ein versprechendes Talent sieht, da soll es nicht lau sein in Anerkennung und Theilnahme. Für die übrigen Richtungen des schönen Schaffens, die Musik, die bildenden und darstellenden Künste, werden wir mehr Raum zu gewinnen suchen, als bisher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/14>, abgerufen am 04.07.2024.