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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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eine ungeheure Bodenfläche vergeudet wird. Ich setzte ein Mal einem polnischen
Edelmanns seinen Verlust bei solcher Arbeit auseinander und erhielt die Antwort:
"O, wir bauen ja Getreide genug für uns; wenn wir noch mehr baueten, was
sollten wir denn damit machen!" -- Was ich hier schildere, ist die Regel, aber
eine allgemein gültige Regel. Außer den deutschen Kolonien sind es nur einige
große oder besonders energische Grundherren, welche gerade diese Uebelstände
zu beseitigen suchen; meist mit Hilfe deutscher Beamten.

Doch weiter über das Feld. -- Was dort vor uns liegt, sieht aus wie
eine Versammlung von großen alten Strohhaufen, die unter dem Einfluß langjähri-
ger Regentropfen und Sonnenstrahlen schwarz gefärbt sind. Es ist das Dorf
selbst. Nur eine einzige Farbe ist an diesen verdächtigen Gestalten, den Ge-
bäuden, sichtbar, das häßliche Grauschwarz, welches die Zeit mit ihrem Borsten¬
pinsel den leblosen Dingen auszustreichen pflegt.

Die Hütten sind von Holzbohlen erbaute und mit Stroh oder Schilf gedeckte
ärmliche Gebäude. Ihre Länge richtet sich nach der Länge der Bohlen, die man
zum Bau zu verwenden hatte, denu die Bohle muß von einer Ecke des Hauses
bis zur gleichseitigen andern reichen. An jedem Ende wird ihr ein Falz einge¬
schnitten, in welchen sich die Bohle der andern Seite des Quadrates mit ihrem
Falz hineinsenkt. So verbinden und befestigen sich die Hölzer gegenseitig. Durch
Schichtung von Bohle ans Bohle entsteht nun ein großer hölzerner Kasten, der
im Innern durch zwei hölzerne Scheidewände drei Abtheilungen erhält. Die
mittels und größte ist die Stube, auf der einen Seite der Stall für die Kuh
und Schafe, auf der andern Seite die Hausflur, welche vor die Oeffnung des
Backofens führt und zugleich die Futterkammer abgibt. Ofen und Backofen sind
eins, ein ungeheures plumpes quadratförmiges Lehmgemäuer. Dasselbe nimmt
ungefähr den vierten Theil des Stnbenraumes weg, reicht aber nicht bis zur
Decke empor. Die Oberfläche, oder das Plateau dieses Niesenofeus gewährt
Kindern, Knecht und Magd die Stätte für die Nachtruhe. Hart ist sie zwar,
aber warm. -- Die Stube besitzt auf jeder Seite ein Fensterchen von zwei
Scheiben. Von außen ist auch nicht das Mindeste für das gute Aussehen des
Baues gethan, weder Kalk noch Farbe sind sichtbar. Man erblickt nur in den
Fugen und Lücken der Bohlen alte Lappen und Moosflocken, welche der eindrin¬
genden Zugluft wehren. In der Nähe der Hütte steht Scherer und Ochsenstall,
Räume, die nicht einmal ans Bohlen, sondern aus rohe" jungeu Fichtenstämmen
zusammengesetzt sind. Eine Barriere der rohesten Art umschließt diese Gebäude und
bildet den Hof.

Aus solchen Gütern besteht das polnische Dorf, und mau bedauert die
Meuschen, die in so melancholischen Nestern wohnen. Da ist auch nichts Er¬
heiterndes zu erblicken, Alles häßlich und finster, und das ganze Dorf wegen der
sehr weitläufigen Aufstellung der Gebäude öde und leblos. Wer gewöhnt


eine ungeheure Bodenfläche vergeudet wird. Ich setzte ein Mal einem polnischen
Edelmanns seinen Verlust bei solcher Arbeit auseinander und erhielt die Antwort:
„O, wir bauen ja Getreide genug für uns; wenn wir noch mehr baueten, was
sollten wir denn damit machen!" — Was ich hier schildere, ist die Regel, aber
eine allgemein gültige Regel. Außer den deutschen Kolonien sind es nur einige
große oder besonders energische Grundherren, welche gerade diese Uebelstände
zu beseitigen suchen; meist mit Hilfe deutscher Beamten.

Doch weiter über das Feld. — Was dort vor uns liegt, sieht aus wie
eine Versammlung von großen alten Strohhaufen, die unter dem Einfluß langjähri-
ger Regentropfen und Sonnenstrahlen schwarz gefärbt sind. Es ist das Dorf
selbst. Nur eine einzige Farbe ist an diesen verdächtigen Gestalten, den Ge-
bäuden, sichtbar, das häßliche Grauschwarz, welches die Zeit mit ihrem Borsten¬
pinsel den leblosen Dingen auszustreichen pflegt.

Die Hütten sind von Holzbohlen erbaute und mit Stroh oder Schilf gedeckte
ärmliche Gebäude. Ihre Länge richtet sich nach der Länge der Bohlen, die man
zum Bau zu verwenden hatte, denu die Bohle muß von einer Ecke des Hauses
bis zur gleichseitigen andern reichen. An jedem Ende wird ihr ein Falz einge¬
schnitten, in welchen sich die Bohle der andern Seite des Quadrates mit ihrem
Falz hineinsenkt. So verbinden und befestigen sich die Hölzer gegenseitig. Durch
Schichtung von Bohle ans Bohle entsteht nun ein großer hölzerner Kasten, der
im Innern durch zwei hölzerne Scheidewände drei Abtheilungen erhält. Die
mittels und größte ist die Stube, auf der einen Seite der Stall für die Kuh
und Schafe, auf der andern Seite die Hausflur, welche vor die Oeffnung des
Backofens führt und zugleich die Futterkammer abgibt. Ofen und Backofen sind
eins, ein ungeheures plumpes quadratförmiges Lehmgemäuer. Dasselbe nimmt
ungefähr den vierten Theil des Stnbenraumes weg, reicht aber nicht bis zur
Decke empor. Die Oberfläche, oder das Plateau dieses Niesenofeus gewährt
Kindern, Knecht und Magd die Stätte für die Nachtruhe. Hart ist sie zwar,
aber warm. — Die Stube besitzt auf jeder Seite ein Fensterchen von zwei
Scheiben. Von außen ist auch nicht das Mindeste für das gute Aussehen des
Baues gethan, weder Kalk noch Farbe sind sichtbar. Man erblickt nur in den
Fugen und Lücken der Bohlen alte Lappen und Moosflocken, welche der eindrin¬
genden Zugluft wehren. In der Nähe der Hütte steht Scherer und Ochsenstall,
Räume, die nicht einmal ans Bohlen, sondern aus rohe» jungeu Fichtenstämmen
zusammengesetzt sind. Eine Barriere der rohesten Art umschließt diese Gebäude und
bildet den Hof.

Aus solchen Gütern besteht das polnische Dorf, und mau bedauert die
Meuschen, die in so melancholischen Nestern wohnen. Da ist auch nichts Er¬
heiterndes zu erblicken, Alles häßlich und finster, und das ganze Dorf wegen der
sehr weitläufigen Aufstellung der Gebäude öde und leblos. Wer gewöhnt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/98>, abgerufen am 27.07.2024.