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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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des wilden Baumwuchses zu bestellen, sahen sie einander mit sehr langen Gesichtern
an. Ick) legte mich zur Ruh, sie gingen, um zu bestellen. Kaum war ich einge¬
schlummert, als sich vor meinen Fenstern hundertstimmig das Geschrei erhob:
"KoeK-mK xcmio, pi-os/eini xcma,!" (Lieber Herr, wir bitten Sie.) Man ver¬
langte eine Audienz. Ich war gnädiger als hier Brauch, sprang von meinem
Heusack -- ein Heusack unter den Schläfer, eine schöne seidene wattirte Decke
über ihn und ein Noszhaarkifsen von Saffian unter dem Kopf, so ist es in Polen
Sitte und Gewohnheit -- und öffnete die Thür, welche unmittelbar ins Freie
führte, wie man das in Polen sehr hänfig findet.

Alsbald drangen mit thränenbethauctcn Gesichtern und Zetergeschrei wol
an dreißig Bauern und Bäuerinnen in das Zimmer. Ihr einziges Wort war:
"pros2y para, clarui äMwmonil" (Wir bitten Sie, verzeihen Sieden Obst¬
bäumen.) Es sollte das heißen: schonen Sie die Bäume! Ich versicherte, daß
sie der Feldfrüchte halber weggeschafft werden müssen; allein ich machte dadurch
die Leute nicht verstummen. Endlich versprach ich, jedem Hauswirth im Frühjahr
ein Dutzend junger edler Obststämme zum Geschenk zu machen. -- "Ach nein,
nein, Herr," entgegnete man mir, "die dürfen wir nicht haben." -- "Und
warum denn nicht?" -- "Nein, das erlaubt der Herr Graf nicht." -- "Und
warum nicht?" -- "Weil solches Obst nur den Edelleuten zukommt." -- "Und
habt Ihr denn den Herrn Grasen schon deshalb befragt?" -- "Nein, aber wir
wissen es." -- "Ja, gütiger Herr Deutscher,", nahm ein würdiger Bauer das
Wort, "das wissen wir ganz bestimmt, denn ich hatte mir ein Mal zwei Pflau-
menbäume, die mir ein Samenhändler statt Vorspannlohn gab, hinter die Hütte
gesetzt. Kaum waren sie von dem gnädigen Herrn Grasen bemerkt worden, so
knickte er sie um mit der Erklärung, solche Bäume kommen dem Bauer nicht zu.
Obendrein bekam ich am Wege weg ein Paar Hiebe von ihm."

Unter solchen Verhältnissen wäre es eine Barbarei gewesen, den Befehl aus¬
führen zu lassen. Ich nahm ihn zurück, und die abscheulichen Bänme stehen ohne
Frage heute noch im Felde. Man sieht hieraus, wie eng verknüpft die Uebel¬
stände der polnischen Landwirthschaft mit den Verhältnissen der Menschen sind,
und wie schwer es ist, zu reformiren. -- So oft man Wald in Feld umwandeln
will, wüthet die Axt der srohneuden Bauern mit einer wahren Mordlust gegen
die Stämme, aber vor dem Schlehcngebüsch, den Holzapfel- und Holzbirnenbänmen
weicht sie mit Pietät zurück. Diese Gewächse gehen wie ein geheiligtes Inven¬
tarium von dem Walde an das Feld über.

Auffallend ist serner an dem polnischen Felde die Methode der Beackerung.
Der Acker bildet kein breites Beet, sondern schmale Rücken aus fünf zusammen¬
geworfenen Furchen. Die letzte Furche, welche zwischen zwei Rücken fällt, wird
dergestalt ausgestrichen, daß sie den Raum vou drei Fruchtfurchen einnimmt. Es
ist sehr begreiflich, daß in der ungepflügten Scheidefurche nichts wächst, und so


des wilden Baumwuchses zu bestellen, sahen sie einander mit sehr langen Gesichtern
an. Ick) legte mich zur Ruh, sie gingen, um zu bestellen. Kaum war ich einge¬
schlummert, als sich vor meinen Fenstern hundertstimmig das Geschrei erhob:
„KoeK-mK xcmio, pi-os/eini xcma,!" (Lieber Herr, wir bitten Sie.) Man ver¬
langte eine Audienz. Ich war gnädiger als hier Brauch, sprang von meinem
Heusack — ein Heusack unter den Schläfer, eine schöne seidene wattirte Decke
über ihn und ein Noszhaarkifsen von Saffian unter dem Kopf, so ist es in Polen
Sitte und Gewohnheit — und öffnete die Thür, welche unmittelbar ins Freie
führte, wie man das in Polen sehr hänfig findet.

Alsbald drangen mit thränenbethauctcn Gesichtern und Zetergeschrei wol
an dreißig Bauern und Bäuerinnen in das Zimmer. Ihr einziges Wort war:
„pros2y para, clarui äMwmonil" (Wir bitten Sie, verzeihen Sieden Obst¬
bäumen.) Es sollte das heißen: schonen Sie die Bäume! Ich versicherte, daß
sie der Feldfrüchte halber weggeschafft werden müssen; allein ich machte dadurch
die Leute nicht verstummen. Endlich versprach ich, jedem Hauswirth im Frühjahr
ein Dutzend junger edler Obststämme zum Geschenk zu machen. — „Ach nein,
nein, Herr," entgegnete man mir, „die dürfen wir nicht haben." — „Und
warum denn nicht?" — „Nein, das erlaubt der Herr Graf nicht." — „Und
warum nicht?" -- „Weil solches Obst nur den Edelleuten zukommt." — „Und
habt Ihr denn den Herrn Grasen schon deshalb befragt?" — „Nein, aber wir
wissen es." — „Ja, gütiger Herr Deutscher,", nahm ein würdiger Bauer das
Wort, „das wissen wir ganz bestimmt, denn ich hatte mir ein Mal zwei Pflau-
menbäume, die mir ein Samenhändler statt Vorspannlohn gab, hinter die Hütte
gesetzt. Kaum waren sie von dem gnädigen Herrn Grasen bemerkt worden, so
knickte er sie um mit der Erklärung, solche Bäume kommen dem Bauer nicht zu.
Obendrein bekam ich am Wege weg ein Paar Hiebe von ihm."

Unter solchen Verhältnissen wäre es eine Barbarei gewesen, den Befehl aus¬
führen zu lassen. Ich nahm ihn zurück, und die abscheulichen Bänme stehen ohne
Frage heute noch im Felde. Man sieht hieraus, wie eng verknüpft die Uebel¬
stände der polnischen Landwirthschaft mit den Verhältnissen der Menschen sind,
und wie schwer es ist, zu reformiren. — So oft man Wald in Feld umwandeln
will, wüthet die Axt der srohneuden Bauern mit einer wahren Mordlust gegen
die Stämme, aber vor dem Schlehcngebüsch, den Holzapfel- und Holzbirnenbänmen
weicht sie mit Pietät zurück. Diese Gewächse gehen wie ein geheiligtes Inven¬
tarium von dem Walde an das Feld über.

Auffallend ist serner an dem polnischen Felde die Methode der Beackerung.
Der Acker bildet kein breites Beet, sondern schmale Rücken aus fünf zusammen¬
geworfenen Furchen. Die letzte Furche, welche zwischen zwei Rücken fällt, wird
dergestalt ausgestrichen, daß sie den Raum vou drei Fruchtfurchen einnimmt. Es
ist sehr begreiflich, daß in der ungepflügten Scheidefurche nichts wächst, und so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/97>, abgerufen am 01.09.2024.