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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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sen Grundsätzen bei allem Wechsel der Ereignisse treu geblieben und würde es sür
meine Pflicht halten, auch den destructiven Bestrebungen, welche gegenwärtig in
Baiern aus den hohen und höchsten Regionen gegen die Einheit des Vaterlandes
sich erheben, in einer Weise entgegenzutreten, wie es der Beamte nicht vermag,
ohne seine Beamtenpflicht zu verletzen. Um dem traurigsten Conflict mit meinem
Gewissen zu entgehen, muß ich einen gesicherten, angenehmen Wirkungskreis mit
einer ungewissen Zukunft vertauschen. Sollte die Richtung der dänischen Regie¬
rung einmal eine andere werden, sollte die Empfänglichkeit für die Einheit, Ehre
und Größe des Gesammtvaterlaudes auf einmal an hoher und höchster Stelle sich
geltend machen, so wird es mein eifrigster Wunsch sein, mit Eifer und Pflichttreue
auch im kleinsten Wirkungskreise meine geringen Kräfte meiner Heimath widmen
zu können, an welcher ich mit ganzer Seele hänge."

Wenn man hieraus sieht, mit welchen Empfindungen Raumer seine bisherige
Heimath, verließ, und wie in dem Kampfe für Deutschlands Recht und Ehre in
Schleswig-Holstein sich ihm die letzte Hoffnung und Sehnsucht seiner Seele zu¬
sammendrängte, so kann man einen Schluß machen auf das Gefühl, mit welchem
derselbe jetzt nach der Entwaffnung Schleswig-Holsteins durch den deutschen
Bund vou dort uach Baiern zurückkehrte, nach dem Baiern, dessen Negierung an
dem Beschlusse dieser Execution Theil genommen, eine zweite, nicht minder schmäh¬
liche Execution in Hessen selbst vollzogen hatte! Unmittelbar nach seiner Rückkehr
schrieb Raumer an einen Freund: "Für einen Menschen, der blos aus dem
Grunde nach Schleswig-Holstein gegangen war, um beim letzten Kampf für des
Vaterlandes Recht und Ehre uicht zu fehlen, war nichts mehr daselbst zu suchen,
nachdem die Macht der Verhältnisse den Verzicht auf den Kampf nothwendig ge¬
macht und die Regulirung der Rechtsfrage einer Diplomatie in die Hände gelie¬
fert hat, die das wackere vielgeprüfte Volk von einer Entwürdigung zur audern
nöthigen wird; dies Trauerspiel kann ich eben so gut aus meiner trostlosen bairi-
schen Heimath mit ansehen." Und bald daraus schrieb er wieder: "Mir ist die
erledigte Bürgermeisterstelle in Nördlingen angetragen worden; ich mußte sie aber
natürlich, um mir selbst getreu zu bleiben, ablehnen. Was weiter aus mir
werden soll, weiß Gott; die nächsten Momente müssen darüber entscheiden, ob
die Polizei es sür der Mühe werth hält, mich wegzuchicaniren, oder ob ich einen
Platz finde, ans welchem ich existiren kann, ohne mich bücken zu müssen."

Er hat einen Platz gefunden, wo er sich nicht zu bücken braucht; er ist der
Trostlosigkeit unsrer Zustände entrückt! Für's Vaterland zu verbluten auf dem
Schlachtfeld, was er gewiß so gern gethan hätte, war ihm nicht beschieden, --
unversehrt kehrte er zurück aus den blutigen Gefechten vor Friedericia und bei
Jdstedt; er sollte enden, nicht minder ehrenvoll zwar, aber schmerzensvoller --
der Jammer um's Vaterland sollte ihm das Herz brechen! Mancher, der seinen
ganzen Schmerz theilt, dessen Körper aber stärker ist als seine Seele, wird viel-


sen Grundsätzen bei allem Wechsel der Ereignisse treu geblieben und würde es sür
meine Pflicht halten, auch den destructiven Bestrebungen, welche gegenwärtig in
Baiern aus den hohen und höchsten Regionen gegen die Einheit des Vaterlandes
sich erheben, in einer Weise entgegenzutreten, wie es der Beamte nicht vermag,
ohne seine Beamtenpflicht zu verletzen. Um dem traurigsten Conflict mit meinem
Gewissen zu entgehen, muß ich einen gesicherten, angenehmen Wirkungskreis mit
einer ungewissen Zukunft vertauschen. Sollte die Richtung der dänischen Regie¬
rung einmal eine andere werden, sollte die Empfänglichkeit für die Einheit, Ehre
und Größe des Gesammtvaterlaudes auf einmal an hoher und höchster Stelle sich
geltend machen, so wird es mein eifrigster Wunsch sein, mit Eifer und Pflichttreue
auch im kleinsten Wirkungskreise meine geringen Kräfte meiner Heimath widmen
zu können, an welcher ich mit ganzer Seele hänge."

Wenn man hieraus sieht, mit welchen Empfindungen Raumer seine bisherige
Heimath, verließ, und wie in dem Kampfe für Deutschlands Recht und Ehre in
Schleswig-Holstein sich ihm die letzte Hoffnung und Sehnsucht seiner Seele zu¬
sammendrängte, so kann man einen Schluß machen auf das Gefühl, mit welchem
derselbe jetzt nach der Entwaffnung Schleswig-Holsteins durch den deutschen
Bund vou dort uach Baiern zurückkehrte, nach dem Baiern, dessen Negierung an
dem Beschlusse dieser Execution Theil genommen, eine zweite, nicht minder schmäh¬
liche Execution in Hessen selbst vollzogen hatte! Unmittelbar nach seiner Rückkehr
schrieb Raumer an einen Freund: „Für einen Menschen, der blos aus dem
Grunde nach Schleswig-Holstein gegangen war, um beim letzten Kampf für des
Vaterlandes Recht und Ehre uicht zu fehlen, war nichts mehr daselbst zu suchen,
nachdem die Macht der Verhältnisse den Verzicht auf den Kampf nothwendig ge¬
macht und die Regulirung der Rechtsfrage einer Diplomatie in die Hände gelie¬
fert hat, die das wackere vielgeprüfte Volk von einer Entwürdigung zur audern
nöthigen wird; dies Trauerspiel kann ich eben so gut aus meiner trostlosen bairi-
schen Heimath mit ansehen." Und bald daraus schrieb er wieder: „Mir ist die
erledigte Bürgermeisterstelle in Nördlingen angetragen worden; ich mußte sie aber
natürlich, um mir selbst getreu zu bleiben, ablehnen. Was weiter aus mir
werden soll, weiß Gott; die nächsten Momente müssen darüber entscheiden, ob
die Polizei es sür der Mühe werth hält, mich wegzuchicaniren, oder ob ich einen
Platz finde, ans welchem ich existiren kann, ohne mich bücken zu müssen."

Er hat einen Platz gefunden, wo er sich nicht zu bücken braucht; er ist der
Trostlosigkeit unsrer Zustände entrückt! Für's Vaterland zu verbluten auf dem
Schlachtfeld, was er gewiß so gern gethan hätte, war ihm nicht beschieden, —
unversehrt kehrte er zurück aus den blutigen Gefechten vor Friedericia und bei
Jdstedt; er sollte enden, nicht minder ehrenvoll zwar, aber schmerzensvoller —
der Jammer um's Vaterland sollte ihm das Herz brechen! Mancher, der seinen
ganzen Schmerz theilt, dessen Körper aber stärker ist als seine Seele, wird viel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/83>, abgerufen am 01.09.2024.