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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Gebein. So gelungen traten mich das Scherzo und das Adagio hervor, nicht
ganz befriedigend aber im vierten Satze das Recitativ der Contrabässe und Celli,
indem sowol eine markige Accentuatiou, als eine ganz gediegene Reinheit ver¬
mißt wurde. Der letztgerügte Uebelstand tritt fast bei jeder Aufführung des Wer¬
kes uns entgegen; vielleicht läßt er sich dadurch einigermaßen beseitigen, daß man
es unterläßt, alle Celli in der vorgeschriebenen Tonhöhe zu spielen, sondern die
meisten lieber eine Oktave tiefer versetzt, so daß sie sich mit den Contrabässen in
gleicher Tonhöhe bewegen. Man erreicht dadurch den Vortheil, daß die in dieser
Oktave schreiende Intonation des Cello gedämpft, die Undeutlichkeit der Contra¬
bässe aber gehoben wird. Die hohen Celli werden dann zu den Contrabässen-in
dem Verhältnisse erscheinen, wie ein 8 Fuß aus dem Orgelpedal zu einer Grund¬
lage von 16 Fuß Principal. Die Chöre wurden von der Singakademie präcis
und sauber ausgeführt; die Soli's waren nicht ganz genügend. Dieser Umstand
läßt uns die Meinung aussprechen, daß man das gigantische Werk überhaupt uur
daun ausführen solle, wenn die Besetzung des Sänger- und Orchesterpersonals
ausgezeichnet hergestellt werden kann; Unzulänglichkeiten ans dieser oder jener
Seite vertragen sich nicht mit der hohen Würde des Tonstückö und mit den hohen
Absichten des Meisters. Es ist auch uicht möglich, neben ihm noch andere Musik
zu hören; man muß ja alle Gedanken sammeln, um hier allein den tiefen Com¬
binationen mit ungeschwächter Kraft von Anfang bis Ende folgen zu können.

Unter den Damen, welche diesen Winter als Sängerinnen im Gewandhanse
auftraten, sind zwei Erscheinungen besonders hervorzuheben, Madame Castellan,
diesen Winter erste Sängerin der italienischen Oper am Königsstädter Theater
in Berlin, und Frau Auguste von Strantz. Die Castellan ist eine Sängerin
ersten Ranges in Beziehung auf die Fertigkeit und Sicherheit, mit denen sie ihre
Arien bewältigt. Ihr Organ, obgleich der natürlichen Lage nach Mezzosopran, ist
durch sorgfältige Schule nach der Höhe und Tiefe sehr erweitert worden, so daß
sie über eine ziemlich große Reihe von Tönen gebieten kann. Von besonderer
Schönheit und Stärke sind die Töne des Mittelregisters, weniger angenehm die
Bruststimme, doch erklingen auch diese keineswegs in dem Bastardtone eines halben
Mannes. Der ästhetische Eindruck ihres Gesanges ist, wenigstens im Concert¬
saale, nicht so hoch anzuschlagen; der unbefangene Zuhörer konnte es ihr gegen¬
über nicht weiter bringen, als zum Bewundern ihrer eminenten Fertigkeit. --
Fran von Strantz besitzt eine so schöne, starke und doch so echt weibliche Altstimme,
wie kaum eine besser gedacht werden kann. Ihr Brnstregister, obgleich stark und
fest, trägt an sich keine Spur jenes formten Klanges, den die italienischen und
französischen Gesanglehrer seit einigen Jahrzehenten ihren Schülerinnen octroyirt
haben: ihr Organ ist von der Natur so vollendet geschaffen, daß es nicht einmal
die Kunst eines Singmeisters zu verderben vermochte. Sie trat in Leipzig das
erste Mal vor einem größern Publicum aus, aber auch gleich mit dem bedeutend-


Gebein. So gelungen traten mich das Scherzo und das Adagio hervor, nicht
ganz befriedigend aber im vierten Satze das Recitativ der Contrabässe und Celli,
indem sowol eine markige Accentuatiou, als eine ganz gediegene Reinheit ver¬
mißt wurde. Der letztgerügte Uebelstand tritt fast bei jeder Aufführung des Wer¬
kes uns entgegen; vielleicht läßt er sich dadurch einigermaßen beseitigen, daß man
es unterläßt, alle Celli in der vorgeschriebenen Tonhöhe zu spielen, sondern die
meisten lieber eine Oktave tiefer versetzt, so daß sie sich mit den Contrabässen in
gleicher Tonhöhe bewegen. Man erreicht dadurch den Vortheil, daß die in dieser
Oktave schreiende Intonation des Cello gedämpft, die Undeutlichkeit der Contra¬
bässe aber gehoben wird. Die hohen Celli werden dann zu den Contrabässen-in
dem Verhältnisse erscheinen, wie ein 8 Fuß aus dem Orgelpedal zu einer Grund¬
lage von 16 Fuß Principal. Die Chöre wurden von der Singakademie präcis
und sauber ausgeführt; die Soli's waren nicht ganz genügend. Dieser Umstand
läßt uns die Meinung aussprechen, daß man das gigantische Werk überhaupt uur
daun ausführen solle, wenn die Besetzung des Sänger- und Orchesterpersonals
ausgezeichnet hergestellt werden kann; Unzulänglichkeiten ans dieser oder jener
Seite vertragen sich nicht mit der hohen Würde des Tonstückö und mit den hohen
Absichten des Meisters. Es ist auch uicht möglich, neben ihm noch andere Musik
zu hören; man muß ja alle Gedanken sammeln, um hier allein den tiefen Com¬
binationen mit ungeschwächter Kraft von Anfang bis Ende folgen zu können.

Unter den Damen, welche diesen Winter als Sängerinnen im Gewandhanse
auftraten, sind zwei Erscheinungen besonders hervorzuheben, Madame Castellan,
diesen Winter erste Sängerin der italienischen Oper am Königsstädter Theater
in Berlin, und Frau Auguste von Strantz. Die Castellan ist eine Sängerin
ersten Ranges in Beziehung auf die Fertigkeit und Sicherheit, mit denen sie ihre
Arien bewältigt. Ihr Organ, obgleich der natürlichen Lage nach Mezzosopran, ist
durch sorgfältige Schule nach der Höhe und Tiefe sehr erweitert worden, so daß
sie über eine ziemlich große Reihe von Tönen gebieten kann. Von besonderer
Schönheit und Stärke sind die Töne des Mittelregisters, weniger angenehm die
Bruststimme, doch erklingen auch diese keineswegs in dem Bastardtone eines halben
Mannes. Der ästhetische Eindruck ihres Gesanges ist, wenigstens im Concert¬
saale, nicht so hoch anzuschlagen; der unbefangene Zuhörer konnte es ihr gegen¬
über nicht weiter bringen, als zum Bewundern ihrer eminenten Fertigkeit. —
Fran von Strantz besitzt eine so schöne, starke und doch so echt weibliche Altstimme,
wie kaum eine besser gedacht werden kann. Ihr Brnstregister, obgleich stark und
fest, trägt an sich keine Spur jenes formten Klanges, den die italienischen und
französischen Gesanglehrer seit einigen Jahrzehenten ihren Schülerinnen octroyirt
haben: ihr Organ ist von der Natur so vollendet geschaffen, daß es nicht einmal
die Kunst eines Singmeisters zu verderben vermochte. Sie trat in Leipzig das
erste Mal vor einem größern Publicum aus, aber auch gleich mit dem bedeutend-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/73>, abgerufen am 27.07.2024.