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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Spohr, die vier Jahreszeiten genannt, eine von Taubert in Berlin,
und endlich eine von Walter in Zürich. Nur die erste darf sich eines bleiben¬
den Werthes rühmen; sie ist das Product eines jungen, frischen Talents, aus dem
ein wirklicher Fortschritt für die Kunst sich erkennen läßt, die andern drei legen
nur Zeugniß ab von dem guten Willen der Componisten, zu gleicher Zeit aber
auch von der Unsicherheit der Richtung. Spohr ist der noch bei weitem Entschie¬
denste unter ihnen, wenn auch uur auf passive Weise, denn er wird sich nie von
dem lyrischen und elegischen Tone losreißen können. Die vier Sätze der Sin¬
fonie sollen ein Bild der Jahreszeiten geben. Der Winter eine ächte Elegie:
weites, ödes Schueegesilde, strenge, finstere Kälte, kein freundlicher Sonnenstrahl
bricht sich auf dem in Diamantengesnnkel glänzenden Schneefelde, kein fröhlicher
Bub gleitet über den glatten Spiegel der Fläche des Sees. Ein kurzer Ueber-,
gang führt in den Frühling: das alte liebenswürdige idyllische Gepfeife und Ge¬
zirpe aus der "Weihe der Töne", aber ohne die Frische und die anmuthigen
Melodien aus jenem Werke. Der Frost des Winters war zu anhaltend, der
Sommer ist fast eben so heiß, als der Winter kalt war; er schildert uns weniger
die Pracht der Vegetation, als den heißen Odem, welchen der Sonnengott über
den erschöpften Erdboden aushaucht. Der Herbst sührt aus der idealen Kunst-
welt in das gemüthliche Deutschland, wo harmlose Leute uoch immer "Bekränzt
mit Laub" zu singen pflegen. Wenn sie doch harmlos säugen! Aber sie poltern
ohne Rhythmus und coquettiren pedantisch mit allerlei Schulfuchsereieu; es will
sich kein harmloses Gelage gestalten und die Zecher sitzen traurig beim Becher,
es rieseln ihnen die Thränen über die Wangen, als ob sie unsre traurige Zeit
beseufztcn. Ju diesen Bildern ohngefähr stellt sich dem unbefangenen Zuhörer das
Tonwerk dar; ein Glück, daß es dem Musiker noch einige beschaulichere Seiten
bietet. Zwar begegnet ihm nichts Neues, deun Spohr hat seit langen Jahren an
seiner Schreibweise uicht geändert, aber das Gebotene ist so solid, als was nnr
irgend früher der Feder dieses Meisters entfloß. -- Tanberts Sinfonie ist so
unerquicklich, unfreundlich und launenvoll, wie die Tonart Anoli, in der sie ge¬
schrieben. Nur wenig Motive, und diese rastlos hin- und hergeworfen, ein ewi¬
ges Ballspielen mit kurze" Phrasen, ein verletzendes Coqnettiren Mit allen dyna¬
mischen und instrumentalen Effecten, hier und da ein wenig Uebertragung aus
dem Pianoforte in das Orchester, zur Abwechselung ein wenig Campanella im
Andante, und bei allen diesen Künsten kein tiefer Gedanke, -- es ist trostlos, so
viele Mühe an so wenig Erfolg verschwendet zu sehn.

Wozu mit der nennten Sinfonie Beethovens rivalisiren, wenn man kein solcher
Niese ist, daß man seine Gedanken bis an den Himmel aufthürmen darf, ohne
zu fürchten, daß man unter den Trümmern erschlagen werde? Es gibt genug
nachzuahmen an den ersten acht Sinfonien des Mannes. Baut nicht Phrasen,
sondern Melodien, und wenn ihr Contrepunkt zimmert, so sügt sie auf eben so


Spohr, die vier Jahreszeiten genannt, eine von Taubert in Berlin,
und endlich eine von Walter in Zürich. Nur die erste darf sich eines bleiben¬
den Werthes rühmen; sie ist das Product eines jungen, frischen Talents, aus dem
ein wirklicher Fortschritt für die Kunst sich erkennen läßt, die andern drei legen
nur Zeugniß ab von dem guten Willen der Componisten, zu gleicher Zeit aber
auch von der Unsicherheit der Richtung. Spohr ist der noch bei weitem Entschie¬
denste unter ihnen, wenn auch uur auf passive Weise, denn er wird sich nie von
dem lyrischen und elegischen Tone losreißen können. Die vier Sätze der Sin¬
fonie sollen ein Bild der Jahreszeiten geben. Der Winter eine ächte Elegie:
weites, ödes Schueegesilde, strenge, finstere Kälte, kein freundlicher Sonnenstrahl
bricht sich auf dem in Diamantengesnnkel glänzenden Schneefelde, kein fröhlicher
Bub gleitet über den glatten Spiegel der Fläche des Sees. Ein kurzer Ueber-,
gang führt in den Frühling: das alte liebenswürdige idyllische Gepfeife und Ge¬
zirpe aus der „Weihe der Töne", aber ohne die Frische und die anmuthigen
Melodien aus jenem Werke. Der Frost des Winters war zu anhaltend, der
Sommer ist fast eben so heiß, als der Winter kalt war; er schildert uns weniger
die Pracht der Vegetation, als den heißen Odem, welchen der Sonnengott über
den erschöpften Erdboden aushaucht. Der Herbst sührt aus der idealen Kunst-
welt in das gemüthliche Deutschland, wo harmlose Leute uoch immer „Bekränzt
mit Laub" zu singen pflegen. Wenn sie doch harmlos säugen! Aber sie poltern
ohne Rhythmus und coquettiren pedantisch mit allerlei Schulfuchsereieu; es will
sich kein harmloses Gelage gestalten und die Zecher sitzen traurig beim Becher,
es rieseln ihnen die Thränen über die Wangen, als ob sie unsre traurige Zeit
beseufztcn. Ju diesen Bildern ohngefähr stellt sich dem unbefangenen Zuhörer das
Tonwerk dar; ein Glück, daß es dem Musiker noch einige beschaulichere Seiten
bietet. Zwar begegnet ihm nichts Neues, deun Spohr hat seit langen Jahren an
seiner Schreibweise uicht geändert, aber das Gebotene ist so solid, als was nnr
irgend früher der Feder dieses Meisters entfloß. — Tanberts Sinfonie ist so
unerquicklich, unfreundlich und launenvoll, wie die Tonart Anoli, in der sie ge¬
schrieben. Nur wenig Motive, und diese rastlos hin- und hergeworfen, ein ewi¬
ges Ballspielen mit kurze» Phrasen, ein verletzendes Coqnettiren Mit allen dyna¬
mischen und instrumentalen Effecten, hier und da ein wenig Uebertragung aus
dem Pianoforte in das Orchester, zur Abwechselung ein wenig Campanella im
Andante, und bei allen diesen Künsten kein tiefer Gedanke, — es ist trostlos, so
viele Mühe an so wenig Erfolg verschwendet zu sehn.

Wozu mit der nennten Sinfonie Beethovens rivalisiren, wenn man kein solcher
Niese ist, daß man seine Gedanken bis an den Himmel aufthürmen darf, ohne
zu fürchten, daß man unter den Trümmern erschlagen werde? Es gibt genug
nachzuahmen an den ersten acht Sinfonien des Mannes. Baut nicht Phrasen,
sondern Melodien, und wenn ihr Contrepunkt zimmert, so sügt sie auf eben so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/68>, abgerufen am 27.07.2024.