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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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zu wollen.- Nachdem sie diesen Schwur abgelegt, meldet sich Rüdiger als Werber;
er will, da er eine abschlägige Antwort erhält, seine Braut mit Gewalt erkämpfen,
er fällt, und Wanda springt feierlich in die Weichsel. -- Es ist hier weder von
Charakteristik, noch von einer dramatischen Spannung die Rede; abgesehen von
den Chören und Balleren, die lebhast an die spätere Norma erinnern, haben
wir nur sentimentale Redensarten, die bald im Tenor, bald im Baryton ge¬
sprochen werden. Die Parenthesen nehmen einen so großen Raum ein, daß
zuweilen eine ganze Seite lang die wildesten Grimassen beschrieben werden, und
dazwischen nur ein Ha! ertönt. Das "Thal" wird diesmal durch den Geist der
Königin Libussa vertreten, deren Wagen von einem Löwen gezogen wird, und
deren Erscheinung stets von einer sanften Flöten- und Hörnermusik begleitet ist.
Bei ihrem ersten Austreten macht sie die Bemerkung: ,,Es erblühen Liebesmyr-
then, wo die Sterne glühn; nur im Tode wird das Leben kühn." Später hält
sie eine lange Rede in Canzonen, worin ziemlich ausführlich die mystische Tendenz
des Stücks auseinandergesetzt wird, die sie darauf in der sprechender" Form eines
Räthsels abgekürzt wiederholt:

Als Rüdiger fällt, erscheint sie in einem weiten rosenfarbenen Dustschleier,
und als Wanda sich ins Wasser stürzt, steigt auf derselben Stelle eine kolossale,
durch den klaren Morgenhimmel strahlende, von einem eben solchen Palmenzweige
umwundene Lilie hervor; alle Umstehenden stürzen vor Entsetzen auf die Knie,
und die Priester fingen unter Posaunenbegleitnng:

In ähnlichem Schwulste ist das ganze Stück gehalten. -- Viel besser ist das kleine
Nachtstück: Der 2 5. Februar, welches auf die Bühnen eiuen außerordentlichen
Einfluß ausgeübt hat. Zwar ist die Idee, an ein bestimmtes Datum das Erb¬
leiden einer Familie zu knüpfen, die später nnter Andern von Müllner in seinem
,,29. Februar", von Gutzkow in seinem "13. November" nachgeahmt ist, eine höchst
sonderbare, und in ihrer rein mechanischen Auffassung des Schicksals am Wenigsten


zu wollen.- Nachdem sie diesen Schwur abgelegt, meldet sich Rüdiger als Werber;
er will, da er eine abschlägige Antwort erhält, seine Braut mit Gewalt erkämpfen,
er fällt, und Wanda springt feierlich in die Weichsel. — Es ist hier weder von
Charakteristik, noch von einer dramatischen Spannung die Rede; abgesehen von
den Chören und Balleren, die lebhast an die spätere Norma erinnern, haben
wir nur sentimentale Redensarten, die bald im Tenor, bald im Baryton ge¬
sprochen werden. Die Parenthesen nehmen einen so großen Raum ein, daß
zuweilen eine ganze Seite lang die wildesten Grimassen beschrieben werden, und
dazwischen nur ein Ha! ertönt. Das „Thal" wird diesmal durch den Geist der
Königin Libussa vertreten, deren Wagen von einem Löwen gezogen wird, und
deren Erscheinung stets von einer sanften Flöten- und Hörnermusik begleitet ist.
Bei ihrem ersten Austreten macht sie die Bemerkung: ,,Es erblühen Liebesmyr-
then, wo die Sterne glühn; nur im Tode wird das Leben kühn." Später hält
sie eine lange Rede in Canzonen, worin ziemlich ausführlich die mystische Tendenz
des Stücks auseinandergesetzt wird, die sie darauf in der sprechender» Form eines
Räthsels abgekürzt wiederholt:

Als Rüdiger fällt, erscheint sie in einem weiten rosenfarbenen Dustschleier,
und als Wanda sich ins Wasser stürzt, steigt auf derselben Stelle eine kolossale,
durch den klaren Morgenhimmel strahlende, von einem eben solchen Palmenzweige
umwundene Lilie hervor; alle Umstehenden stürzen vor Entsetzen auf die Knie,
und die Priester fingen unter Posaunenbegleitnng:

In ähnlichem Schwulste ist das ganze Stück gehalten. — Viel besser ist das kleine
Nachtstück: Der 2 5. Februar, welches auf die Bühnen eiuen außerordentlichen
Einfluß ausgeübt hat. Zwar ist die Idee, an ein bestimmtes Datum das Erb¬
leiden einer Familie zu knüpfen, die später nnter Andern von Müllner in seinem
,,29. Februar", von Gutzkow in seinem „13. November" nachgeahmt ist, eine höchst
sonderbare, und in ihrer rein mechanischen Auffassung des Schicksals am Wenigsten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/512>, abgerufen am 01.09.2024.