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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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rerentwickelung des Staatslebens entgegentreten zu müssen meinte, die ja das ge¬
genwärtige Ministerium vertrete. Doch verkennt er auch die vom hochgeehrten
Herrn Vorredner geäußerten Besorgnisse keineswegs. Habe die jenseitige Kam¬
mer Modificationen gemacht, so that sie es gewiß in reiflicher Erwägung, doch
ohne daß der diesseitige Ausschuß diese zu theilen vermochte, der vielmehr mit
seinem Antrage die Intentionen der Regierung, die ja anch die der Abgeordneten¬
kammer, bestimmter zu erreichen glaubte. Dies war es, was er bemerken wollte.

Man hat ihn auch noch ruhig angehört; sollte jedoch etwa ein Mitglied der
Opposition da.s Wort nehmen, so ist's deutlich ersichtlich, welche prickelnde Unge¬
duld die Versammlung durchläuft. Auch hat der Herr Präsident schon die letzte
Rede benutzt zur Unterhandlung mit dem ans der Rednerbühne stehenden Refe¬
renten um ein kürzestes Schlußwort oder Verzichtleistung. Ja, die Eile ist so
groß, daß sogar mitunter die Frage nach dem Verlangen des Wortes oder die
Uebergabe desselben an den Referenten nur durch Zuruf aus der hohen Ver¬
sammlung, der Form halber, in Erinnerung gebracht werden kann. Natürlich
verzichtet der Referent, der eben so gut, wie die Galerie, bemerkt hat, daß einer
der Blauuniformirteu schon mehrmals hereingekommen ist, um diesem und jenem
Mitglied flüsternd zu melden, daß der Wagen vorgefahren ist. Es regnet aber
draußen, oder es scheint die Sonne sehr stark, man darf also die Pferde nicht
lange warten lassen. Nach erfolgter Abstimmung über diese" Artikel erledigen
sich die folgenden rasch. Nur Mißwille könnte glauben, es geschehe flüchtig, um
sertig zu werden. Sind's deren gar zu viel, so wird ja sogar die Weiterbera-
thnng vertagt, obgleich man schon weiß, daß sie das nächste Mal mit noch grö¬
ßerem Dögout fortgesetzt wird.

Von welcher Art von Vorlagen gelten nun solche Verhandlungen, die man
aus bürgerlichem Standpunkte beinahe cavaliere Abthuungen nennen könnte? --
Sie besuchten wol seit 1848 die kleine Galerie der hohen Kammer sehr selten,
sonst wüßten Sie gewiß, daß dies der gebräuchliche Berathuugsmodus, wenn es
sich nicht gerade um das nackte Princip der Revolution und Contrerevolution,
oder noch unmittelbarer um mögliche Verluste an Standesherrlichen Prärogativen
und materiellen Vortheilen handelt. -- Aber es war doch von einer Opposition,
ja sogar von "Rothen" die Rede? -- Allerdings, das sind Begriffe, die man
nur in langer Bekanntschaft mit den rcichsräthlichen Verhandlungen und außer¬
parlamentarischen Aeußerungen richtig würdigen lernt. Die Opposition ist nicht
etwa gegen die Negierung, oder gegen die Gesellschaft, sondern einzig gegen die
Gelüste der Mehrheit gerichtet. Und "roth" ist, wer nicht geradezu alle einzel¬
nen Zeiterscheinungen seit 1848 für den Inbegriff der Zerrüttung erachtet.
Einige Redner der Opposition haben wir schon gehört; doch stimmen sie mei¬
stens unbedingt mit der Mehrheit. Benutzen wir die übrige Zeit der namentli¬
cher Abstimmung, um einige der eigentlich destructiven Elemente kennen zu ter-


rerentwickelung des Staatslebens entgegentreten zu müssen meinte, die ja das ge¬
genwärtige Ministerium vertrete. Doch verkennt er auch die vom hochgeehrten
Herrn Vorredner geäußerten Besorgnisse keineswegs. Habe die jenseitige Kam¬
mer Modificationen gemacht, so that sie es gewiß in reiflicher Erwägung, doch
ohne daß der diesseitige Ausschuß diese zu theilen vermochte, der vielmehr mit
seinem Antrage die Intentionen der Regierung, die ja anch die der Abgeordneten¬
kammer, bestimmter zu erreichen glaubte. Dies war es, was er bemerken wollte.

Man hat ihn auch noch ruhig angehört; sollte jedoch etwa ein Mitglied der
Opposition da.s Wort nehmen, so ist's deutlich ersichtlich, welche prickelnde Unge¬
duld die Versammlung durchläuft. Auch hat der Herr Präsident schon die letzte
Rede benutzt zur Unterhandlung mit dem ans der Rednerbühne stehenden Refe¬
renten um ein kürzestes Schlußwort oder Verzichtleistung. Ja, die Eile ist so
groß, daß sogar mitunter die Frage nach dem Verlangen des Wortes oder die
Uebergabe desselben an den Referenten nur durch Zuruf aus der hohen Ver¬
sammlung, der Form halber, in Erinnerung gebracht werden kann. Natürlich
verzichtet der Referent, der eben so gut, wie die Galerie, bemerkt hat, daß einer
der Blauuniformirteu schon mehrmals hereingekommen ist, um diesem und jenem
Mitglied flüsternd zu melden, daß der Wagen vorgefahren ist. Es regnet aber
draußen, oder es scheint die Sonne sehr stark, man darf also die Pferde nicht
lange warten lassen. Nach erfolgter Abstimmung über diese» Artikel erledigen
sich die folgenden rasch. Nur Mißwille könnte glauben, es geschehe flüchtig, um
sertig zu werden. Sind's deren gar zu viel, so wird ja sogar die Weiterbera-
thnng vertagt, obgleich man schon weiß, daß sie das nächste Mal mit noch grö¬
ßerem Dögout fortgesetzt wird.

Von welcher Art von Vorlagen gelten nun solche Verhandlungen, die man
aus bürgerlichem Standpunkte beinahe cavaliere Abthuungen nennen könnte? —
Sie besuchten wol seit 1848 die kleine Galerie der hohen Kammer sehr selten,
sonst wüßten Sie gewiß, daß dies der gebräuchliche Berathuugsmodus, wenn es
sich nicht gerade um das nackte Princip der Revolution und Contrerevolution,
oder noch unmittelbarer um mögliche Verluste an Standesherrlichen Prärogativen
und materiellen Vortheilen handelt. — Aber es war doch von einer Opposition,
ja sogar von „Rothen" die Rede? — Allerdings, das sind Begriffe, die man
nur in langer Bekanntschaft mit den rcichsräthlichen Verhandlungen und außer¬
parlamentarischen Aeußerungen richtig würdigen lernt. Die Opposition ist nicht
etwa gegen die Negierung, oder gegen die Gesellschaft, sondern einzig gegen die
Gelüste der Mehrheit gerichtet. Und „roth" ist, wer nicht geradezu alle einzel¬
nen Zeiterscheinungen seit 1848 für den Inbegriff der Zerrüttung erachtet.
Einige Redner der Opposition haben wir schon gehört; doch stimmen sie mei¬
stens unbedingt mit der Mehrheit. Benutzen wir die übrige Zeit der namentli¬
cher Abstimmung, um einige der eigentlich destructiven Elemente kennen zu ter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/496>, abgerufen am 27.07.2024.