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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Anspielungen über Einflüsse der Zeit an die allzugroße Humanität der Regie¬
rung, wie an einen halbrevolntiouairen Standpunkt, der die ruchlose Rotte der
Aufrührer weder in ihrer Verbreitung, noch in ihren Anschlägen so richtig auf¬
fasse, wie gewisse ältere Staatsmänner. Darum erklärt er sich auch nicht mit
dem Ausschnßantrag einverstanden, sondern behält sich weitere Anträge vor. --
Ein befriedigt zustimmendes Nicken aus nächster Nähe, dem er mit bescheidenen
Verneigungen pflichtschuldigst antwortet, ist die zu bemerkende Bewegung, wäh¬
rend das Präsidium spricht: "Wenn Niemand mehr das Wort verlangt so ... .
Herr Reichsrath von Arnold."

Er hatte eigentlich nicht sprechen wollen, nur ein nochmaliger Blick in das
Ausschußgutachteu und die geehrten Worte des hohen Vorredners nöthigen ihn,
die Aufmerksamkeit der erhabenen Versammlung für einige Augenblicke in An¬
spruch zu nehmen. Diese blickt, während der Redner abermals in das Ausschu߬
gutachten sieht, einmal ans, doch bleiben kaum die Augen ein Paar jüngerer Mit¬
glieder aus ihm haften. Die Galerie, weil so selten hier, betrachtet den wirk¬
lich staatsmännischen Kopf mit der ruhig abwägenden, obgleich gern ans Blumen¬
pfaden sich ergehenden Rede erwartungsvoller. Sie weiß nicht, daß er mit dem
ihm gerade gegenübersitzenden Staatsrath v. Maurer, dessen Kopf noch mehr ver¬
heißend aussieht, in solchen Fällen abwechselnd das Ministerium gegen excentrische
Reactionsforderungeu zu wahren, die "jenseitige" Kammer nicht geradezu für revo¬
lutionär zu erklären, ihre Bedenken, ohne den Gegenbedenken des verehrten Aus¬
schusses dieser hohen Versammlung zu nahe treten zu wollen, auch einiger Berück¬
sichtigung zu empfehlen pflegt, doch schließlich weit davon entfernt ist, etwa be¬
sondere Anträge stellen zu wollen.

Jetzt kann das Präsidium gewöhnlich die schon zweimal unterbrochene For¬
mel vollenden, falls nicht ein Minister zu sprechen verlangt, was indessen bei der
allgemeinen Debatte selten. Und man schreitet über die einzelnen Paragraphen
bis zum streitigen. Doch hier ist der Herr zweite Präsident rasch bei der Hand,
um möglichst engste Maße für den Kreis strafloser Handlungen zu befürworten;
weit enger und strenger als der Ausschuß, worin er schon das Wort erhoben zu
haben bemerkt, während "man anders beliebte." Da erbittet sich der erste Herr
Secretair, Frhr. von Niethammer, das Wort. Er ist blonden, spärlichen Haars,
doch desto üppiger" Schnurrbarts in einem gutmüthigen Gesicht und von beschwich¬
tigender Stimme. Nicht selten trägt er einen grünen Reitfrack mit gelben Knöp¬
fen, ja selbst farbige Jncxpressibles. Sein Aeußeres verheißt, daß er keineswegs
der starren Torypartei angehöre, doch seinen Stand vergißt er gleichfalls nicht,
obgleich noch eine leise Erinnerung in ihm schlnnttnert, daß er einmal einer libe¬
ralen Studentenverbindung angehörte. Es mag freilich ein Vierteljahrhundert
her sein. Und er spricht mit voller Ueberzeugung aus, daß die Zeit vorüber,
wo man der monarchisch-gesetzmäßig-constitutionell-gemäßigten Stätigkeit der Wei-


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Anspielungen über Einflüsse der Zeit an die allzugroße Humanität der Regie¬
rung, wie an einen halbrevolntiouairen Standpunkt, der die ruchlose Rotte der
Aufrührer weder in ihrer Verbreitung, noch in ihren Anschlägen so richtig auf¬
fasse, wie gewisse ältere Staatsmänner. Darum erklärt er sich auch nicht mit
dem Ausschnßantrag einverstanden, sondern behält sich weitere Anträge vor. —
Ein befriedigt zustimmendes Nicken aus nächster Nähe, dem er mit bescheidenen
Verneigungen pflichtschuldigst antwortet, ist die zu bemerkende Bewegung, wäh¬
rend das Präsidium spricht: „Wenn Niemand mehr das Wort verlangt so ... .
Herr Reichsrath von Arnold."

Er hatte eigentlich nicht sprechen wollen, nur ein nochmaliger Blick in das
Ausschußgutachteu und die geehrten Worte des hohen Vorredners nöthigen ihn,
die Aufmerksamkeit der erhabenen Versammlung für einige Augenblicke in An¬
spruch zu nehmen. Diese blickt, während der Redner abermals in das Ausschu߬
gutachten sieht, einmal ans, doch bleiben kaum die Augen ein Paar jüngerer Mit¬
glieder aus ihm haften. Die Galerie, weil so selten hier, betrachtet den wirk¬
lich staatsmännischen Kopf mit der ruhig abwägenden, obgleich gern ans Blumen¬
pfaden sich ergehenden Rede erwartungsvoller. Sie weiß nicht, daß er mit dem
ihm gerade gegenübersitzenden Staatsrath v. Maurer, dessen Kopf noch mehr ver¬
heißend aussieht, in solchen Fällen abwechselnd das Ministerium gegen excentrische
Reactionsforderungeu zu wahren, die „jenseitige" Kammer nicht geradezu für revo¬
lutionär zu erklären, ihre Bedenken, ohne den Gegenbedenken des verehrten Aus¬
schusses dieser hohen Versammlung zu nahe treten zu wollen, auch einiger Berück¬
sichtigung zu empfehlen pflegt, doch schließlich weit davon entfernt ist, etwa be¬
sondere Anträge stellen zu wollen.

Jetzt kann das Präsidium gewöhnlich die schon zweimal unterbrochene For¬
mel vollenden, falls nicht ein Minister zu sprechen verlangt, was indessen bei der
allgemeinen Debatte selten. Und man schreitet über die einzelnen Paragraphen
bis zum streitigen. Doch hier ist der Herr zweite Präsident rasch bei der Hand,
um möglichst engste Maße für den Kreis strafloser Handlungen zu befürworten;
weit enger und strenger als der Ausschuß, worin er schon das Wort erhoben zu
haben bemerkt, während „man anders beliebte." Da erbittet sich der erste Herr
Secretair, Frhr. von Niethammer, das Wort. Er ist blonden, spärlichen Haars,
doch desto üppiger» Schnurrbarts in einem gutmüthigen Gesicht und von beschwich¬
tigender Stimme. Nicht selten trägt er einen grünen Reitfrack mit gelben Knöp¬
fen, ja selbst farbige Jncxpressibles. Sein Aeußeres verheißt, daß er keineswegs
der starren Torypartei angehöre, doch seinen Stand vergißt er gleichfalls nicht,
obgleich noch eine leise Erinnerung in ihm schlnnttnert, daß er einmal einer libe¬
ralen Studentenverbindung angehörte. Es mag freilich ein Vierteljahrhundert
her sein. Und er spricht mit voller Ueberzeugung aus, daß die Zeit vorüber,
wo man der monarchisch-gesetzmäßig-constitutionell-gemäßigten Stätigkeit der Wei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/495>, abgerufen am 27.07.2024.