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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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durch ihre Commission ein dem Parlament vorzulegendes motivirtes Gutachten ab¬
zugeben. Selbst die Form des Rescriptes giebt ihnen das Motiv, sich jeder dar¬
über hinausgehenden Thätigkeit zu enthalten.

Wir geben zu, daß eine solche Erörterung der Rechtsfrage nicht sehr ästhe¬
tisch aussieht, aber nicht wir sind daran schuld, sondern die Verworrenheit und
die Lügenhaftigkeit der Verhältnisse. Diese beruht aber zum großen Theil darin,
daß das Recht, welches die legislativen Körper der Krone gegenüber in Anspruch
nehmen können, mit ihrer Macht in keinem Verhältniß steht. Es ist sehr die
Frage, ob dieses Verhältniß nicht zum Bessern geändert würde, wenn man aus
verfassungsmäßigen Wege auf eine Revision des gegenwärtigen Wahlgesetzes mit
einer Annäherung an die alten provinzialständischen Formen eingeht.

Das allgemeine Wahlrecht, welches noch die octroyirte Novemberversassung
bestehen ließ, gab den Kammern wenigstens eine Art von Grundlage, es beruhte
auf den Massen. Freilich ist die Stimmung der Massen veränderlich wie der
Wind, und die Macht ihrer Vertreter wird eine augenblickliche Gährung nicht
überdauern. Eben so repräsentier das ans den Census bastrte Wahlgesetz eine
bestimmte Klasse, die Klasse der Vermögenden, die also wenigstens in sehr vielen
Fällen eine bestimmte Meinung haben wird; das Dreiklassensystem dagegen,
welches wir dem Ministerium Manteuffel verdanken, beruht auf gar keinem Princip,
und giebt daher auch den Repräsentanten gar keine Macht. Die Wahl ist ein
reines Spiel des Zufalls und läßt sich in ihren Resultaten niemals berechnen;
sie kann ihrer complicirten Form wegen niemals populair werden, und sie drückt
auch nicht den gemeinsamen Willen irgend eines Theils der Nation aus.

In diesem Sinn hätten wir eine Entwickelung der Verfassung aus Grund¬
lage der alten Provinzialstände mit fortdauernder liberaler Modifikation derselben
für Wünschenswerther gehalten, als das plötzliche Eintreten einer neuen Staats-
form, die nicht nur über die Kräfte der Nation hinaus ging, sondern die auch
bei den Repräsentanten des Volks eine Macht voraussetzte, die sie in der That
nicht hatten. Dagegen hatten die Kreistage einen directen Einfluß auf die Landes¬
verwaltung, der sich zwar bereits in den Provinziallandtagen abschwächte, und der
in der Charte vom 3. Februar 1847 noch mehr verkümmert war, der aber doch
aus realen Grundlagen beruhte, und zu den Hoffnungen einer gedeihlichen Ent¬
wickelung berechtigte. Die Fehler jenes Gesetzes, welche nicht nnr in der ein¬
seitigen Bevorzugung des aristokratischen Elementes bestanden, sondern auch in den
völlig ungerechtfertigten Beschränkungen des activen und passiven Wahlrechts,- so
wie in einer falschen Repräsentation der Städte, konnten sich allmälig ausgleichen.
Ein sehr bedeutender Schritt wäre schon eine liberale Bestimmung des passiven
Wahlrechts gewesen, da die Committenten doch am Besten wissen müssen, wem
sie ihr Vertrauen zu schenken haben.

Wie dem auch sei, eine solche Entwickelung der Verfassung ist nicht zu


durch ihre Commission ein dem Parlament vorzulegendes motivirtes Gutachten ab¬
zugeben. Selbst die Form des Rescriptes giebt ihnen das Motiv, sich jeder dar¬
über hinausgehenden Thätigkeit zu enthalten.

Wir geben zu, daß eine solche Erörterung der Rechtsfrage nicht sehr ästhe¬
tisch aussieht, aber nicht wir sind daran schuld, sondern die Verworrenheit und
die Lügenhaftigkeit der Verhältnisse. Diese beruht aber zum großen Theil darin,
daß das Recht, welches die legislativen Körper der Krone gegenüber in Anspruch
nehmen können, mit ihrer Macht in keinem Verhältniß steht. Es ist sehr die
Frage, ob dieses Verhältniß nicht zum Bessern geändert würde, wenn man aus
verfassungsmäßigen Wege auf eine Revision des gegenwärtigen Wahlgesetzes mit
einer Annäherung an die alten provinzialständischen Formen eingeht.

Das allgemeine Wahlrecht, welches noch die octroyirte Novemberversassung
bestehen ließ, gab den Kammern wenigstens eine Art von Grundlage, es beruhte
auf den Massen. Freilich ist die Stimmung der Massen veränderlich wie der
Wind, und die Macht ihrer Vertreter wird eine augenblickliche Gährung nicht
überdauern. Eben so repräsentier das ans den Census bastrte Wahlgesetz eine
bestimmte Klasse, die Klasse der Vermögenden, die also wenigstens in sehr vielen
Fällen eine bestimmte Meinung haben wird; das Dreiklassensystem dagegen,
welches wir dem Ministerium Manteuffel verdanken, beruht auf gar keinem Princip,
und giebt daher auch den Repräsentanten gar keine Macht. Die Wahl ist ein
reines Spiel des Zufalls und läßt sich in ihren Resultaten niemals berechnen;
sie kann ihrer complicirten Form wegen niemals populair werden, und sie drückt
auch nicht den gemeinsamen Willen irgend eines Theils der Nation aus.

In diesem Sinn hätten wir eine Entwickelung der Verfassung aus Grund¬
lage der alten Provinzialstände mit fortdauernder liberaler Modifikation derselben
für Wünschenswerther gehalten, als das plötzliche Eintreten einer neuen Staats-
form, die nicht nur über die Kräfte der Nation hinaus ging, sondern die auch
bei den Repräsentanten des Volks eine Macht voraussetzte, die sie in der That
nicht hatten. Dagegen hatten die Kreistage einen directen Einfluß auf die Landes¬
verwaltung, der sich zwar bereits in den Provinziallandtagen abschwächte, und der
in der Charte vom 3. Februar 1847 noch mehr verkümmert war, der aber doch
aus realen Grundlagen beruhte, und zu den Hoffnungen einer gedeihlichen Ent¬
wickelung berechtigte. Die Fehler jenes Gesetzes, welche nicht nnr in der ein¬
seitigen Bevorzugung des aristokratischen Elementes bestanden, sondern auch in den
völlig ungerechtfertigten Beschränkungen des activen und passiven Wahlrechts,- so
wie in einer falschen Repräsentation der Städte, konnten sich allmälig ausgleichen.
Ein sehr bedeutender Schritt wäre schon eine liberale Bestimmung des passiven
Wahlrechts gewesen, da die Committenten doch am Besten wissen müssen, wem
sie ihr Vertrauen zu schenken haben.

Wie dem auch sei, eine solche Entwickelung der Verfassung ist nicht zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/483>, abgerufen am 09.01.2025.