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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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ihr Gutachten abzugeben haben, während das Gesetz die Wahl dieser Commissionen
der künftigen, gesetzlich festzustellenden Provinzial- und Kreisvertretung anheim¬
giebt. Außerdem sollen sie auch noch bestehen bleiben, um die sonstigen Func-
tionen der frühern Vertretung auszuüben, die vorläufig noch nicht genauer bestimmt
, sind.

Abgesehen von dieser zweifelhaften Uebereinstimmung mit dem Buchstaben
unsrer neuen Verfassung ist die Wiedereinführung der Provinzialstände un¬
zweifelhaft unvereinbar mit dem Geist derselben; denn da die Art der Vertretung
in beiden ans den entgengesetzten Grundlagen beruht, können sie unmöglich neben
einander bestehen, wenn man auch noch so eifrig ihre verschiedenen Functionen
von einander zu sondern versuchte. Die Provinzialstände sind also der erste
Schritt zur Aufhebung wenigstens eines integrirenden Theils der Verfassung,
nämlich des Wahlgesetzes.

So gewichtig diese Gründe sind, so glauben wir doch nicht, daß unsre
Partei recht daran thut, sich der Theilnahme an den neuen Versammlungen zu
entziehen. Vor Allem bestimmt uns der praktische Gesichtspunkt. Es ist jetzt
bereits zu übersehen, daß der Widerstand kein so allgemeiner sein wird, um
die' Ausführung des Gesetzes zu hintertreiben. Außerdem waren bereits die ein¬
zelnen Bestimmungen jenes Rescripts von der Art, daß man überzeugt sein konnte,
die Regierung sei entschlossen, nöthigenfalls Gewalt zu gebrauchen. Wenn es
freilich dahin zu bringen gewesen wäre, daß das Ministerium: geradezu beliebige
Leute zu Provinzialständen hätte ernennen müssen, weil von den legitimen Pro-
vinzialständen nur der kleinste Theil gekommen wäre, so wäre das wenigstens
eine Art moralischer Erfolg gewesen, obgleich diese sogenannten moralischen
Erfolge gerade in unsern Tagen von sehr geringem Gewicht sind, wie das wenig¬
stens eben so crasse Beispiel der Sächsischen Versassungsveränderung gelehrt hat.
Unter den obwaltenden Umständen aber ist das einzige Resultat eines partiellen
Widerstandes ein neuer Bruch in der Partei selbst, ein noch vollständigeres Her¬
ausdrängen derselben aus dem realen Staatsleben und eine innigere Allianz der
Regierung mit der äußersten Rechten. Auch diesen Folgen hätte man sich unter¬
ziehen müssen, wenn das Gewissen einen klaren Ausspruch gethan, wenn man sich
durch die Acceptation des Rescriptes eines Bruches des auf die Verfassung ab¬
gelegten Eides schuldig gemacht hätte. Bei der vollständigen Unklarheit und
Verworrenheit dieser Verfassung, den zahlreichen Widersprüchen in derselben und
namentlich bei den geschraubten Bestimmungen desjenigen Gesetzes, auf das es hier
hauptsächlich ankommt, glauben wir diese Frage verneinend beantworten zu müssen.
Noch ist der offene Bruch mit der Verfassung nicht erfolgt, und wir glauben auch
nicht, wir können noch nicht an die Möglichkeit eines Eidbrnchs glauben. Die
Einberufenen können sich noch immer als sogenannte Vertrauensmänner betrachten,
die mit Bezugnahme ans ihre frühere Stellung von der Krone aufgefordert sind,


ihr Gutachten abzugeben haben, während das Gesetz die Wahl dieser Commissionen
der künftigen, gesetzlich festzustellenden Provinzial- und Kreisvertretung anheim¬
giebt. Außerdem sollen sie auch noch bestehen bleiben, um die sonstigen Func-
tionen der frühern Vertretung auszuüben, die vorläufig noch nicht genauer bestimmt
, sind.

Abgesehen von dieser zweifelhaften Uebereinstimmung mit dem Buchstaben
unsrer neuen Verfassung ist die Wiedereinführung der Provinzialstände un¬
zweifelhaft unvereinbar mit dem Geist derselben; denn da die Art der Vertretung
in beiden ans den entgengesetzten Grundlagen beruht, können sie unmöglich neben
einander bestehen, wenn man auch noch so eifrig ihre verschiedenen Functionen
von einander zu sondern versuchte. Die Provinzialstände sind also der erste
Schritt zur Aufhebung wenigstens eines integrirenden Theils der Verfassung,
nämlich des Wahlgesetzes.

So gewichtig diese Gründe sind, so glauben wir doch nicht, daß unsre
Partei recht daran thut, sich der Theilnahme an den neuen Versammlungen zu
entziehen. Vor Allem bestimmt uns der praktische Gesichtspunkt. Es ist jetzt
bereits zu übersehen, daß der Widerstand kein so allgemeiner sein wird, um
die' Ausführung des Gesetzes zu hintertreiben. Außerdem waren bereits die ein¬
zelnen Bestimmungen jenes Rescripts von der Art, daß man überzeugt sein konnte,
die Regierung sei entschlossen, nöthigenfalls Gewalt zu gebrauchen. Wenn es
freilich dahin zu bringen gewesen wäre, daß das Ministerium: geradezu beliebige
Leute zu Provinzialständen hätte ernennen müssen, weil von den legitimen Pro-
vinzialständen nur der kleinste Theil gekommen wäre, so wäre das wenigstens
eine Art moralischer Erfolg gewesen, obgleich diese sogenannten moralischen
Erfolge gerade in unsern Tagen von sehr geringem Gewicht sind, wie das wenig¬
stens eben so crasse Beispiel der Sächsischen Versassungsveränderung gelehrt hat.
Unter den obwaltenden Umständen aber ist das einzige Resultat eines partiellen
Widerstandes ein neuer Bruch in der Partei selbst, ein noch vollständigeres Her¬
ausdrängen derselben aus dem realen Staatsleben und eine innigere Allianz der
Regierung mit der äußersten Rechten. Auch diesen Folgen hätte man sich unter¬
ziehen müssen, wenn das Gewissen einen klaren Ausspruch gethan, wenn man sich
durch die Acceptation des Rescriptes eines Bruches des auf die Verfassung ab¬
gelegten Eides schuldig gemacht hätte. Bei der vollständigen Unklarheit und
Verworrenheit dieser Verfassung, den zahlreichen Widersprüchen in derselben und
namentlich bei den geschraubten Bestimmungen desjenigen Gesetzes, auf das es hier
hauptsächlich ankommt, glauben wir diese Frage verneinend beantworten zu müssen.
Noch ist der offene Bruch mit der Verfassung nicht erfolgt, und wir glauben auch
nicht, wir können noch nicht an die Möglichkeit eines Eidbrnchs glauben. Die
Einberufenen können sich noch immer als sogenannte Vertrauensmänner betrachten,
die mit Bezugnahme ans ihre frühere Stellung von der Krone aufgefordert sind,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/482>, abgerufen am 01.09.2024.