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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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fie waren ihm zu wenig praktisch. Er schrieb an Hitzig ganz richtig, daß die ge¬
bildete Gesellschaft in Berlin sich in der Mitte zwischen jämmerlicher Frivolität
und genialischer Renommisterei befinde. Es käme nicht daraus an, Winke und An¬
deutungen zu geben, sondern augenblicklich Hand ans Werk zu legen: die Pro¬
pheten der neuen Religion sollten sich sofort als Apostel constituiren, um sie in einer
Gemeinde zu verwirklichen. Die "Söhne des Thals" sollten diesen Uebergang
ins Praktische vermitteln. Er spricht als die Tendenz derselben aus: "den Sieg
des geläuterten Katholicismus mittelst der Maurerei über den in seinen Grund¬
sätzen zwar ehrwürdigen, aber dem Menschengeschlecht ciug, wUs nicht angemessenen,
durchaus prosaische" Drang eines durch keine Phantasie begrenzten Kriticismus."
Er findet schon damals (1802): "daß poetisch der Katholicismus nicht nur das
größte Meisterstück menschlicher Erfindungskraft, sondern auch, auf seine Urform
zurückgeführt, allen übrigen christlichen und unchristlichen Religionsformen sür eine
Zeit, welche den Sinn der schönen Griechheit aus immer verloren hat, vorzuziehen
ist; und daß allen Europäischen Kunstgenuß allmälig der Teufel holen müsse,
wenn wir uicht zu einem geläuterte", "IZ. nicht metamorphosirten Katholicis¬
mus wiederkehrten". Er hatte also für Europa bessere Aussichten als Schlegel,
der schon damals in diesem Welttheil eine klimatische Unfähigkeit zur Religion
zu erkennen glaubte, und die suchenden Gemüther nach Indien verwies. Da es
Werner bei der Angst seines Herzens, die zwischen beständigen Gewissensbissen
und Selbstüberschätzung wechselte, lediglich auf den Inhalt ankam, so fand er
auch in Schleiermacher's geistreichen Ideen über die Religion Nichts, als eine
Wiederaufnahme Jacob Böhme's, dessen Schwulst ihm schneller einleuchtete, als
die auch in ihrer Dunkelheit seine Dialektik des christlichen Philosophen, und es
war ganz ernst gemeint, wenn er seinen Freund auffordert, ihn nicht durch ober¬
flächliche ästhetische Lobsprüche zu kränken, sondern lediglich aus die praktische Be¬
deutung seines Werks einzugehen.

Was den Inhalt der "Söhne des Thals" betrifft, so entsprang, er aus einer
von den vielen Versionen, in denen man die Freimaurerei aus frühere Zeiten zu¬
rückzuführen suchte. Ein schottischer Ritter des Templerordens sollte nach dem
Fall des Ordens jene geheime Gesellschaft gestiftet haben, ans der sich nachher
die Maurerei entwickelte. Werner hat es nun so aufgefaßt, daß die Templer,
welche allerdings in ihren Symbolen und Mysterien den tiefsten Inhalt des Christen¬
thums oder der Menschheitreligiou bewahrten, im Laufe der Zeit über den Sym¬
bolen den Inhalt vergessen hatten und vollständig verwelkliche waren; daß man
dieses endliche Gefäß also zerbrechen mußte, um der reinen Lehre die angemessene
Form zu geben. Diese That überträgt er aber keineswegs dem Schicksal oder
der Weltgeschichte, die mit bewußtloser Naturnothwendigkeit sich der überflüssig
gewordenen Formen entledigt, sondern dem bewußten Wirken einer allergeheimsten
Gesellschaft, die ihm vollständig die Norsehuug repräsentirt. Dieser Gesellschaft


fie waren ihm zu wenig praktisch. Er schrieb an Hitzig ganz richtig, daß die ge¬
bildete Gesellschaft in Berlin sich in der Mitte zwischen jämmerlicher Frivolität
und genialischer Renommisterei befinde. Es käme nicht daraus an, Winke und An¬
deutungen zu geben, sondern augenblicklich Hand ans Werk zu legen: die Pro¬
pheten der neuen Religion sollten sich sofort als Apostel constituiren, um sie in einer
Gemeinde zu verwirklichen. Die „Söhne des Thals" sollten diesen Uebergang
ins Praktische vermitteln. Er spricht als die Tendenz derselben aus: „den Sieg
des geläuterten Katholicismus mittelst der Maurerei über den in seinen Grund¬
sätzen zwar ehrwürdigen, aber dem Menschengeschlecht ciug, wUs nicht angemessenen,
durchaus prosaische» Drang eines durch keine Phantasie begrenzten Kriticismus."
Er findet schon damals (1802): „daß poetisch der Katholicismus nicht nur das
größte Meisterstück menschlicher Erfindungskraft, sondern auch, auf seine Urform
zurückgeführt, allen übrigen christlichen und unchristlichen Religionsformen sür eine
Zeit, welche den Sinn der schönen Griechheit aus immer verloren hat, vorzuziehen
ist; und daß allen Europäischen Kunstgenuß allmälig der Teufel holen müsse,
wenn wir uicht zu einem geläuterte», «IZ. nicht metamorphosirten Katholicis¬
mus wiederkehrten". Er hatte also für Europa bessere Aussichten als Schlegel,
der schon damals in diesem Welttheil eine klimatische Unfähigkeit zur Religion
zu erkennen glaubte, und die suchenden Gemüther nach Indien verwies. Da es
Werner bei der Angst seines Herzens, die zwischen beständigen Gewissensbissen
und Selbstüberschätzung wechselte, lediglich auf den Inhalt ankam, so fand er
auch in Schleiermacher's geistreichen Ideen über die Religion Nichts, als eine
Wiederaufnahme Jacob Böhme's, dessen Schwulst ihm schneller einleuchtete, als
die auch in ihrer Dunkelheit seine Dialektik des christlichen Philosophen, und es
war ganz ernst gemeint, wenn er seinen Freund auffordert, ihn nicht durch ober¬
flächliche ästhetische Lobsprüche zu kränken, sondern lediglich aus die praktische Be¬
deutung seines Werks einzugehen.

Was den Inhalt der „Söhne des Thals" betrifft, so entsprang, er aus einer
von den vielen Versionen, in denen man die Freimaurerei aus frühere Zeiten zu¬
rückzuführen suchte. Ein schottischer Ritter des Templerordens sollte nach dem
Fall des Ordens jene geheime Gesellschaft gestiftet haben, ans der sich nachher
die Maurerei entwickelte. Werner hat es nun so aufgefaßt, daß die Templer,
welche allerdings in ihren Symbolen und Mysterien den tiefsten Inhalt des Christen¬
thums oder der Menschheitreligiou bewahrten, im Laufe der Zeit über den Sym¬
bolen den Inhalt vergessen hatten und vollständig verwelkliche waren; daß man
dieses endliche Gefäß also zerbrechen mußte, um der reinen Lehre die angemessene
Form zu geben. Diese That überträgt er aber keineswegs dem Schicksal oder
der Weltgeschichte, die mit bewußtloser Naturnothwendigkeit sich der überflüssig
gewordenen Formen entledigt, sondern dem bewußten Wirken einer allergeheimsten
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/457>, abgerufen am 28.07.2024.