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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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sie dadurch den andern Bühnen zu empfehlen. Es ist das um so lobenswerther,
da mittlerweile jener Bruch Wagner's mit dem Hof erfolgt ist, und da die
Dresdner Bühne in höchst unzweckmäßiger Loyalität die Werke des radicalen
Meisters eben so verbannt, als die Berliner es nach Spontinis Entfernung that.
Da in der Oper in Deutschland eine schreckliche Dürre herrscht,, die man vergebens
durch fortwährende Entlehnungen aus dem Französischen zu verdecken sucht, so
halten auch wir es von Seiten der größern Bühnen für eine Art Pflicht,
diese Versuche eines ernsten, gewissenhaften Künstlerstrebens und eines sehr be¬
deutenden Talents dem Publicum vorzuführen. Freilich haben wir nicht viel
Hoffnungen dazu, da ein künstlerischer Versuch von gleicher Bedeutung, Schu¬
mann's Genoveva, bis jetzt erst auf einem mittlern Theater gegeben und anch
aus diesem bald bei Seite gelegt ist, keineswegs wegen eines Mangels an Theil¬
nahme von Seiten des Publicums, sondern aus andern, für die Kunst nicht sehr
erfreulichen Gründen.

Wenn jeuer Aufsatz in uns für den Ernst des künstlerische" Strebens dieselbe
warme Theilnahme erweckt, die in dem Verfasser desselben lebt, so reicht er doch
keineswegs hin, uns von der Nichtigkeit der Wagner'schen Theorien zu überzeugen;
wir finden im Gegentheil, abgesehen von der Ausführung, in der Tendenz des
Stückes einen Rückschritt. Wir sprechen hier natürlich nur vou dem Text und
von dem Einfluß desselben ans das musikalische Arrangement. Der kurze Inhalt
ist folgender. Graf Telramund verklagt seine ehemalige Geliebte, Elsa, vor
König Heinrich dem Vogler und beschuldigt sie des Mordes ihres Bruders. Sie
vertheidigt sich durch die Berufung auf ein Gottesurtheil, da sie im Traume
einen Ritter gesehen hat, der zu ihrem Retter bestimmt ist. Der Ritter erscheint
zu dem bestimmten Termin in einem Nachen, der von einem Schwane gezogen
wird; er besiegt seinen Gegner und gewinnt Elsa's Hand, die ihm aber geloben
muß, ihn' nie nach seinem Namen und seiner Herkunft zu fragen. Aber Elsa
läßt sich durch Telramund und dessen böse Gemahlin Ortrud, die in diesem Stück
das dämonische Princip des Heidenthums repräsentirt, verleiten, ihr Gelübde zu
brechen. Darauf bekennt sich der Ritter als Lohengrin, den Sohn Percivals,
des Königs im Graal, der um nach den Gesetzen seines Ordens, weil er sein
Geheimniß profanirt hat, scheiden muß. Vorher entzaubert er noch Elsa's Bruder,
den die böse Ortrud in jenen Schwan verwandelt hatte. Elsa stirbt vor Gram.

Wir müssen uns nicht allein gegen das Märchenhafte dieses Stoffs erklären,
das bis zu einem gewissen Grade in der Oper immer seine Berechtigung haben
mag, sondern vielmehr gegen seine symbolische Behandlung. Die Motive
gehen ans dem Menschlichen heraus und sind nus eben so unverständlich, wie in
dem Altdeutschen Gedicht. Es ist daher auch nicht von einer wirklichen Entfaltung
menschlicher Leidenschaften und Empfindungen die Rede, sondern von mystischen
Gegensätzen, die ein blos äußerliches Verhältniß zu einander haben. In Folge


sie dadurch den andern Bühnen zu empfehlen. Es ist das um so lobenswerther,
da mittlerweile jener Bruch Wagner's mit dem Hof erfolgt ist, und da die
Dresdner Bühne in höchst unzweckmäßiger Loyalität die Werke des radicalen
Meisters eben so verbannt, als die Berliner es nach Spontinis Entfernung that.
Da in der Oper in Deutschland eine schreckliche Dürre herrscht,, die man vergebens
durch fortwährende Entlehnungen aus dem Französischen zu verdecken sucht, so
halten auch wir es von Seiten der größern Bühnen für eine Art Pflicht,
diese Versuche eines ernsten, gewissenhaften Künstlerstrebens und eines sehr be¬
deutenden Talents dem Publicum vorzuführen. Freilich haben wir nicht viel
Hoffnungen dazu, da ein künstlerischer Versuch von gleicher Bedeutung, Schu¬
mann's Genoveva, bis jetzt erst auf einem mittlern Theater gegeben und anch
aus diesem bald bei Seite gelegt ist, keineswegs wegen eines Mangels an Theil¬
nahme von Seiten des Publicums, sondern aus andern, für die Kunst nicht sehr
erfreulichen Gründen.

Wenn jeuer Aufsatz in uns für den Ernst des künstlerische» Strebens dieselbe
warme Theilnahme erweckt, die in dem Verfasser desselben lebt, so reicht er doch
keineswegs hin, uns von der Nichtigkeit der Wagner'schen Theorien zu überzeugen;
wir finden im Gegentheil, abgesehen von der Ausführung, in der Tendenz des
Stückes einen Rückschritt. Wir sprechen hier natürlich nur vou dem Text und
von dem Einfluß desselben ans das musikalische Arrangement. Der kurze Inhalt
ist folgender. Graf Telramund verklagt seine ehemalige Geliebte, Elsa, vor
König Heinrich dem Vogler und beschuldigt sie des Mordes ihres Bruders. Sie
vertheidigt sich durch die Berufung auf ein Gottesurtheil, da sie im Traume
einen Ritter gesehen hat, der zu ihrem Retter bestimmt ist. Der Ritter erscheint
zu dem bestimmten Termin in einem Nachen, der von einem Schwane gezogen
wird; er besiegt seinen Gegner und gewinnt Elsa's Hand, die ihm aber geloben
muß, ihn' nie nach seinem Namen und seiner Herkunft zu fragen. Aber Elsa
läßt sich durch Telramund und dessen böse Gemahlin Ortrud, die in diesem Stück
das dämonische Princip des Heidenthums repräsentirt, verleiten, ihr Gelübde zu
brechen. Darauf bekennt sich der Ritter als Lohengrin, den Sohn Percivals,
des Königs im Graal, der um nach den Gesetzen seines Ordens, weil er sein
Geheimniß profanirt hat, scheiden muß. Vorher entzaubert er noch Elsa's Bruder,
den die böse Ortrud in jenen Schwan verwandelt hatte. Elsa stirbt vor Gram.

Wir müssen uns nicht allein gegen das Märchenhafte dieses Stoffs erklären,
das bis zu einem gewissen Grade in der Oper immer seine Berechtigung haben
mag, sondern vielmehr gegen seine symbolische Behandlung. Die Motive
gehen ans dem Menschlichen heraus und sind nus eben so unverständlich, wie in
dem Altdeutschen Gedicht. Es ist daher auch nicht von einer wirklichen Entfaltung
menschlicher Leidenschaften und Empfindungen die Rede, sondern von mystischen
Gegensätzen, die ein blos äußerliches Verhältniß zu einander haben. In Folge


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/425>, abgerufen am 27.07.2024.