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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Malerei soll darin aufgehen, Poesie, Musik und Tanzkunst, eine von ihm erfundene
Trinität, in harmonischem Zusammenwirken sich daran betheiligen. Er vergißt
dabei, daß ein Theil seiner Fordenmgen, z. B. die Betheiligung der Architektur
und der Landschaftsmalerei im Drama, bereits über die Gebühr befriedigt sind,
daß andere Forderungen sich widersprechen, daß z. B. die reichere Entfaltung der
Musik eine gewisse Enthaltsamkeit der Poesie verlangt, die mit den Anforderungen
an die wirkliche Poesie streitet, daß jene detaillirte Entfaltung der Charaktere
und der Leidenschaften, wie sie Shakespeare oder Goethe geben, eine weitere
musikalische Bearbeitung nicht zuläßt, weil der dramatische Realismus und der
musikalische Idealismus Dinge sind, die sich in ihrer höchsten Ausbildung einander
ausschließen: er vergißt ferner, daß die moderne Oper, die er selber als die ab¬
scheulichste Verirrung der Kunst bezeichnet, seinen formellen Anforderungen ent¬
spricht, denn sie enthält Tanz, Musik, Poesie, Landschaftsmalerei, Benga¬
lisches Feuer und dergleichen in schönster Wechselwirkung, und er weiß sich nicht
anders zu helfen, als daß er diesen Tanz für den unwahren Tanz, diese
Musik für die unwahre Musik und dergleichen ausgiebt, ohne das, was er an die
Stelle setzen will, principiell zu bezeichnen. Bei näherem Nachdenken würde er
finden, daß jene Oper im reinen und strengen Styl, von der er träumt und deren
Bild er eigentlich schon in Gluck finden könnte, allerdings eben sowol die
poetische Detaillirung der Situationen und Charaktere, wie die virtuose und in
sich selbst abgerundete Entfaltung der musikalischen Mittel ausschließt, daß sie also
eben darum jene andern Kunstformen nicht absorbiren kann, sondern sie neben
sich bestehen lassen muß, das Drama eben sowol wie die Symphonie und das
Oratorium. Und wenn er serner seinen Tanz aus die ebenmäßige rhythmische
Bewegung der Gruppen und auf die symbolische Darstellung leidenschaftlicher Si¬
tuationen beschränkt, worin wir ihm vollkommen Recht geben, so wird eben da¬
durch die individuell charakteristische Bewegung im wirklichen Drama wie der Tanz
als solcher ausgeschlossen. Wenn Wagner also in seinem Denken gewissenhaft wäre,
so würde er seine revolutionaire Idee, alle Kunstformen durch einander zu werfen,
aufgegeben und sich auf die Reform einer einzelnen bestimmten Kunstform be¬
schränkt haben. Freilich würde seine sogenannte Neuerung dadurch Vieles von
ihrem Pikanten und Renommistischen verlieren; er würde namentlich jene wüste
Vorstellung von dem Kommunismus des Schaffens, von dem Hervorgehen des
Kunstwerks aus dem Schooß der Gemeinde aufgegeben haben, weil auch zur
Kunst ein sehr energisches, strenges und anhaltendes Studium gehört; er würde
eben so wenig die contrapunktischen Labyrinthe der frühern Meister, wie die mo¬
derne virtuose Ausbildung der Instrumente und der Kehlen als einen Ausfluß
jenes jüdischen Speculationsgeistes betrachten, von dem nach seiner Ansicht unsre
Zeit geknechtet wird, sondern er würde in ihnen den nothwendigen und berech¬
tigten Drang jeder einzelnen Kraft begreisen, zu ihrem vollsten Ausdruck zu kom-


Malerei soll darin aufgehen, Poesie, Musik und Tanzkunst, eine von ihm erfundene
Trinität, in harmonischem Zusammenwirken sich daran betheiligen. Er vergißt
dabei, daß ein Theil seiner Fordenmgen, z. B. die Betheiligung der Architektur
und der Landschaftsmalerei im Drama, bereits über die Gebühr befriedigt sind,
daß andere Forderungen sich widersprechen, daß z. B. die reichere Entfaltung der
Musik eine gewisse Enthaltsamkeit der Poesie verlangt, die mit den Anforderungen
an die wirkliche Poesie streitet, daß jene detaillirte Entfaltung der Charaktere
und der Leidenschaften, wie sie Shakespeare oder Goethe geben, eine weitere
musikalische Bearbeitung nicht zuläßt, weil der dramatische Realismus und der
musikalische Idealismus Dinge sind, die sich in ihrer höchsten Ausbildung einander
ausschließen: er vergißt ferner, daß die moderne Oper, die er selber als die ab¬
scheulichste Verirrung der Kunst bezeichnet, seinen formellen Anforderungen ent¬
spricht, denn sie enthält Tanz, Musik, Poesie, Landschaftsmalerei, Benga¬
lisches Feuer und dergleichen in schönster Wechselwirkung, und er weiß sich nicht
anders zu helfen, als daß er diesen Tanz für den unwahren Tanz, diese
Musik für die unwahre Musik und dergleichen ausgiebt, ohne das, was er an die
Stelle setzen will, principiell zu bezeichnen. Bei näherem Nachdenken würde er
finden, daß jene Oper im reinen und strengen Styl, von der er träumt und deren
Bild er eigentlich schon in Gluck finden könnte, allerdings eben sowol die
poetische Detaillirung der Situationen und Charaktere, wie die virtuose und in
sich selbst abgerundete Entfaltung der musikalischen Mittel ausschließt, daß sie also
eben darum jene andern Kunstformen nicht absorbiren kann, sondern sie neben
sich bestehen lassen muß, das Drama eben sowol wie die Symphonie und das
Oratorium. Und wenn er serner seinen Tanz aus die ebenmäßige rhythmische
Bewegung der Gruppen und auf die symbolische Darstellung leidenschaftlicher Si¬
tuationen beschränkt, worin wir ihm vollkommen Recht geben, so wird eben da¬
durch die individuell charakteristische Bewegung im wirklichen Drama wie der Tanz
als solcher ausgeschlossen. Wenn Wagner also in seinem Denken gewissenhaft wäre,
so würde er seine revolutionaire Idee, alle Kunstformen durch einander zu werfen,
aufgegeben und sich auf die Reform einer einzelnen bestimmten Kunstform be¬
schränkt haben. Freilich würde seine sogenannte Neuerung dadurch Vieles von
ihrem Pikanten und Renommistischen verlieren; er würde namentlich jene wüste
Vorstellung von dem Kommunismus des Schaffens, von dem Hervorgehen des
Kunstwerks aus dem Schooß der Gemeinde aufgegeben haben, weil auch zur
Kunst ein sehr energisches, strenges und anhaltendes Studium gehört; er würde
eben so wenig die contrapunktischen Labyrinthe der frühern Meister, wie die mo¬
derne virtuose Ausbildung der Instrumente und der Kehlen als einen Ausfluß
jenes jüdischen Speculationsgeistes betrachten, von dem nach seiner Ansicht unsre
Zeit geknechtet wird, sondern er würde in ihnen den nothwendigen und berech¬
tigten Drang jeder einzelnen Kraft begreisen, zu ihrem vollsten Ausdruck zu kom-


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[0416] Malerei soll darin aufgehen, Poesie, Musik und Tanzkunst, eine von ihm erfundene Trinität, in harmonischem Zusammenwirken sich daran betheiligen. Er vergißt dabei, daß ein Theil seiner Fordenmgen, z. B. die Betheiligung der Architektur und der Landschaftsmalerei im Drama, bereits über die Gebühr befriedigt sind, daß andere Forderungen sich widersprechen, daß z. B. die reichere Entfaltung der Musik eine gewisse Enthaltsamkeit der Poesie verlangt, die mit den Anforderungen an die wirkliche Poesie streitet, daß jene detaillirte Entfaltung der Charaktere und der Leidenschaften, wie sie Shakespeare oder Goethe geben, eine weitere musikalische Bearbeitung nicht zuläßt, weil der dramatische Realismus und der musikalische Idealismus Dinge sind, die sich in ihrer höchsten Ausbildung einander ausschließen: er vergißt ferner, daß die moderne Oper, die er selber als die ab¬ scheulichste Verirrung der Kunst bezeichnet, seinen formellen Anforderungen ent¬ spricht, denn sie enthält Tanz, Musik, Poesie, Landschaftsmalerei, Benga¬ lisches Feuer und dergleichen in schönster Wechselwirkung, und er weiß sich nicht anders zu helfen, als daß er diesen Tanz für den unwahren Tanz, diese Musik für die unwahre Musik und dergleichen ausgiebt, ohne das, was er an die Stelle setzen will, principiell zu bezeichnen. Bei näherem Nachdenken würde er finden, daß jene Oper im reinen und strengen Styl, von der er träumt und deren Bild er eigentlich schon in Gluck finden könnte, allerdings eben sowol die poetische Detaillirung der Situationen und Charaktere, wie die virtuose und in sich selbst abgerundete Entfaltung der musikalischen Mittel ausschließt, daß sie also eben darum jene andern Kunstformen nicht absorbiren kann, sondern sie neben sich bestehen lassen muß, das Drama eben sowol wie die Symphonie und das Oratorium. Und wenn er serner seinen Tanz aus die ebenmäßige rhythmische Bewegung der Gruppen und auf die symbolische Darstellung leidenschaftlicher Si¬ tuationen beschränkt, worin wir ihm vollkommen Recht geben, so wird eben da¬ durch die individuell charakteristische Bewegung im wirklichen Drama wie der Tanz als solcher ausgeschlossen. Wenn Wagner also in seinem Denken gewissenhaft wäre, so würde er seine revolutionaire Idee, alle Kunstformen durch einander zu werfen, aufgegeben und sich auf die Reform einer einzelnen bestimmten Kunstform be¬ schränkt haben. Freilich würde seine sogenannte Neuerung dadurch Vieles von ihrem Pikanten und Renommistischen verlieren; er würde namentlich jene wüste Vorstellung von dem Kommunismus des Schaffens, von dem Hervorgehen des Kunstwerks aus dem Schooß der Gemeinde aufgegeben haben, weil auch zur Kunst ein sehr energisches, strenges und anhaltendes Studium gehört; er würde eben so wenig die contrapunktischen Labyrinthe der frühern Meister, wie die mo¬ derne virtuose Ausbildung der Instrumente und der Kehlen als einen Ausfluß jenes jüdischen Speculationsgeistes betrachten, von dem nach seiner Ansicht unsre Zeit geknechtet wird, sondern er würde in ihnen den nothwendigen und berech¬ tigten Drang jeder einzelnen Kraft begreisen, zu ihrem vollsten Ausdruck zu kom-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/416>, abgerufen am 01.09.2024.