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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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lassen wolle, aber sie spricht während der ganzen Tasel ans das Unbefangenste
mit ihm, ohne ein Wort der Warnung für ihn zu haben, "weil sie nicht geglaubt,
daß ihr Mann es ernstlich meine." Ihrer Erzählung nach wäre das Verbrechen
folgendermaßen vor sich gegangen. Es war schon dunkel geworden, als Gustav
nach seinem Cabriolet verlangte, um nach Hause zu fahren. Der Graf ging
hinaus; als er ivieder herein kam, stürzte er sich plötzlich auf seinen Schwager
und warf ihn zu Boden, wobei die Krücken Gustav's zerbrachen. Mit großer Le-
bendigkeit, aber ohne eine Spur von Theilnahme, schildert sie diesen Auftritt.
Der Graf befahl hier der Gräfin hinauszugehen, was die gehorsame Gattin auch
ohne Widerspruch und ohne einen Versuch, ihrem Bruder beizuspringen, gethan
habe" will. Draußen horte sie mit halberstickter Stimme rufen: An, nu, Gnade,
Hyppolit! Sie trat erst wieder ein, als sie drinnen ein Röcheln horte, und sand
ihren Bruder todt. Hinsichtlich des Klagegeschreis und der Thränen vor der
herbeigeeilten Dienerschaft erklärt sie ziemlich gleichgiltig: Das sei bloße Komödie"
gewesen, um die Leute glauben zu machen, Gustav sei eines natürlichen Todes
gestorben. Ohne Rückhalt erklärt sie sich über die Waschungen mit Seife und
Oel, welche sie im Speisesaale vornahm, um die NKvtinflecke zu vertilgen, über
die Phivleu, die sie auf Befehl ihres Mannes wegwerfen mußte, über die Art,
wie man die Leiche mit starkem Essig reinigte und die Brandwunden im Munde
damit unsichtbar zu machen suchte. Die Kleider ihres Mannes wäscht sie selbst
aus, aber überall wollte sie nur Hehlerin, nicht Mithelferin am Morde sein.
Die ganz bestimmte Aussage der Dienerin Emereutia und der andern Dienstboten
und der Zustand der Leiche strafen diese Aussage Lügen. Sie selbst hatte im Laufe
des Vormittags den Dienern die Befehle, durch welche dieselben aus dem Hanse
oder ans der Nähe des Speisesaals entfernt wurden, ertheilt; Emercntia hatte die
Gräfin erst nach dem Ruhe: An, an, Hyppolit, erst nach dem Sterberöcheln ans
dem Speisezimmer treten sehen, und der Zustand der Leiche, die Narben im Ge-
.sieht, die zerrissenen Kleider des Verstorbenen, der Biß in der Hand des Grafen
zeigten von einem lebhaften Widerstand. Der Graf konnte nicht mit einer Hand
Gustav auf dem Boden festhalten, und die gewaltsam zusammengepreßten Zähne auf¬
reiße" nud ihm mit der andern das Gift einflößen; er brauchte dazu noch eine an¬
dere Person, und diese konnte nur die Gräfin sein. Am Wahrsten mag wol eine
Darstellung des Grafen sein, die er im Gefängniß gab, aber später widerrief.
"Wenn ich die Wahrheit sagen wollte", äußerte er zum Director des Gefängnisses,
"so würde ich sagen, daß meine Fran dem Gustav das Gift in den Mund und
auf die Kleider gegossen hat. Als sie die Kleider damit beschmuzte, goß sie zum
zweiten Male, und sagte dabei: liens! Dabei ist mir ein Wenig in den Mund
gespritzt, so daß ich mich sast vergiftet hätt?. Ich habe die ganze Nacht warmes
Wasser eingenommen und vomirt." (Letzterer Umstand ist durch anderweitige Zeu¬
genaussagen bestätigt.) "Nachdem sie ihrem Bruder das Gift eingegossen, hieß


lassen wolle, aber sie spricht während der ganzen Tasel ans das Unbefangenste
mit ihm, ohne ein Wort der Warnung für ihn zu haben, „weil sie nicht geglaubt,
daß ihr Mann es ernstlich meine." Ihrer Erzählung nach wäre das Verbrechen
folgendermaßen vor sich gegangen. Es war schon dunkel geworden, als Gustav
nach seinem Cabriolet verlangte, um nach Hause zu fahren. Der Graf ging
hinaus; als er ivieder herein kam, stürzte er sich plötzlich auf seinen Schwager
und warf ihn zu Boden, wobei die Krücken Gustav's zerbrachen. Mit großer Le-
bendigkeit, aber ohne eine Spur von Theilnahme, schildert sie diesen Auftritt.
Der Graf befahl hier der Gräfin hinauszugehen, was die gehorsame Gattin auch
ohne Widerspruch und ohne einen Versuch, ihrem Bruder beizuspringen, gethan
habe» will. Draußen horte sie mit halberstickter Stimme rufen: An, nu, Gnade,
Hyppolit! Sie trat erst wieder ein, als sie drinnen ein Röcheln horte, und sand
ihren Bruder todt. Hinsichtlich des Klagegeschreis und der Thränen vor der
herbeigeeilten Dienerschaft erklärt sie ziemlich gleichgiltig: Das sei bloße Komödie"
gewesen, um die Leute glauben zu machen, Gustav sei eines natürlichen Todes
gestorben. Ohne Rückhalt erklärt sie sich über die Waschungen mit Seife und
Oel, welche sie im Speisesaale vornahm, um die NKvtinflecke zu vertilgen, über
die Phivleu, die sie auf Befehl ihres Mannes wegwerfen mußte, über die Art,
wie man die Leiche mit starkem Essig reinigte und die Brandwunden im Munde
damit unsichtbar zu machen suchte. Die Kleider ihres Mannes wäscht sie selbst
aus, aber überall wollte sie nur Hehlerin, nicht Mithelferin am Morde sein.
Die ganz bestimmte Aussage der Dienerin Emereutia und der andern Dienstboten
und der Zustand der Leiche strafen diese Aussage Lügen. Sie selbst hatte im Laufe
des Vormittags den Dienern die Befehle, durch welche dieselben aus dem Hanse
oder ans der Nähe des Speisesaals entfernt wurden, ertheilt; Emercntia hatte die
Gräfin erst nach dem Ruhe: An, an, Hyppolit, erst nach dem Sterberöcheln ans
dem Speisezimmer treten sehen, und der Zustand der Leiche, die Narben im Ge-
.sieht, die zerrissenen Kleider des Verstorbenen, der Biß in der Hand des Grafen
zeigten von einem lebhaften Widerstand. Der Graf konnte nicht mit einer Hand
Gustav auf dem Boden festhalten, und die gewaltsam zusammengepreßten Zähne auf¬
reiße» nud ihm mit der andern das Gift einflößen; er brauchte dazu noch eine an¬
dere Person, und diese konnte nur die Gräfin sein. Am Wahrsten mag wol eine
Darstellung des Grafen sein, die er im Gefängniß gab, aber später widerrief.
„Wenn ich die Wahrheit sagen wollte", äußerte er zum Director des Gefängnisses,
„so würde ich sagen, daß meine Fran dem Gustav das Gift in den Mund und
auf die Kleider gegossen hat. Als sie die Kleider damit beschmuzte, goß sie zum
zweiten Male, und sagte dabei: liens! Dabei ist mir ein Wenig in den Mund
gespritzt, so daß ich mich sast vergiftet hätt?. Ich habe die ganze Nacht warmes
Wasser eingenommen und vomirt." (Letzterer Umstand ist durch anderweitige Zeu¬
genaussagen bestätigt.) „Nachdem sie ihrem Bruder das Gift eingegossen, hieß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/401>, abgerufen am 27.07.2024.