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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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in Gent bei dem Professor Loppens erlernt, und mich die zur Verfertigung des
Nicvtins nöthigen Materialien und Utensilien unter falschem Namen von seiner
Frau hatte bestellen lassen, daß er die Bereitung des Giftes sehr heimlich betrieb,
und, als ihm die Herstellung am 10. November, nachdem er ununterbrochen 10 Tage
und 2 Nächte gearbeitet, gelungen war, die dabei gebrauchten Stosse und Werkzeuge
sorgfältig vernichtet und versenkt hatte. Mit welchem Vorbedacht er an den
Mord ging, zeigt folgendes Geständniß der Gräfin, das wir in der Anklageacte
angeführt finden: "Mein Mann speculirte auf den Tod Gustavs; sein Vermögen
war es, wonach er trachtete; dies entschied ihn für seinen Tod; er lebte in seinen
Augen zu lange. Seit den ersten Tagen des November wußte ich, daß das Gift
für Gustav bereitet war; ich wußte ferner, daß das Gift Nicotin war; mein
Mann selbst hat es mir in der hintern Waschküche gesagt an dem Tage, wo ich
den großen Abziehkolben in dem Oelkessel sah, wo, wie er mir sagte, er Kölnisches
Wasser machte. Ich drang tausend Mal in ihn um wirklich zu wissen, was er
verfertigte, und er gestand mir am Ende, daß es Nicotin sei. Einige Tage
nachher sagte er mir, das erste Mal, wo die Gelegenheit dazu sich darbiete, werde
er Gustav nicht verfehlen, und am 20. Nov., als er vernahm, daß Gustav nach
Bitremont kommen werde, erklärte er mir, diesen Tag werde er ihm sein Theil
geben." < ,

Obgleich die Enormität des Verbrechens und der hohe Stand der Ange¬
klagten natürlicher Weise außerordentliches Aufsehen gemacht hatten, war doch die
Eröffnungssitzung der Assisen nicht so stark besucht, als man hätte erwarten sollen.
Auffällig war der Maugel an Damen unter den Zuhörern. Lautlose Stille herrschte
im Saale, als die Angeklagten vorgeführt wurden. Die Gräfin ist in schwarzen
Atlas gekleidet; ihr Gesicht ist unbedeutend, die Nase aufgeworfen, die ganze
Physiognomie hat etwas Gemeines. Ihr Haar ist pechschwarz. Sie warf einen
festen und gleichgiltigen Blick auf die Versammlung. Der Graf ist ein junger,
schlanker Manu, mit einem gescheidten, feingeschnittenen und echt aristokratischen
Gesicht, welches leicht mit Pockennarben gezeichnet ist. Die Gesichtsfarbe ist blaß
und gelb; in seinen Angen liegt ein kecker und böser Ausdruck, der Jeden frappirt.
Sein schwarzer Rock ist bis ans Kinn zugeknöpft. Der Graf zeigt fast uoch
größere Ruhe, als seine Schicksalsgeuossin.

Die Gräfin hatte in der Voruntersuchung schon zu viel zugestanden, als daß
sie noch hätte die Unschuldige spielen könne". Sie wählte jetzt anch eine andere
Taktik, und stellte sich als eine bloße willenlose Zuschauerin dar, welche nur aus
ehelichen Gehorsam und Furcht vor der Heftigkeit ihres Gatten zur Mithelferin
geworden war, als es galt, die spüre" des Verbrechens zu vertilgen.

Ihre Aussagen giebt sie!"ut außerordentlicher Ruhe und Gleichgiltigkeit,
selbst wo es sich um die erschütterndsten Details handelt. Sie wußte, wie sie
selbst gestanden, daß der Graf ihren Bruder nicht lebendig aus dem Schlosse


in Gent bei dem Professor Loppens erlernt, und mich die zur Verfertigung des
Nicvtins nöthigen Materialien und Utensilien unter falschem Namen von seiner
Frau hatte bestellen lassen, daß er die Bereitung des Giftes sehr heimlich betrieb,
und, als ihm die Herstellung am 10. November, nachdem er ununterbrochen 10 Tage
und 2 Nächte gearbeitet, gelungen war, die dabei gebrauchten Stosse und Werkzeuge
sorgfältig vernichtet und versenkt hatte. Mit welchem Vorbedacht er an den
Mord ging, zeigt folgendes Geständniß der Gräfin, das wir in der Anklageacte
angeführt finden: „Mein Mann speculirte auf den Tod Gustavs; sein Vermögen
war es, wonach er trachtete; dies entschied ihn für seinen Tod; er lebte in seinen
Augen zu lange. Seit den ersten Tagen des November wußte ich, daß das Gift
für Gustav bereitet war; ich wußte ferner, daß das Gift Nicotin war; mein
Mann selbst hat es mir in der hintern Waschküche gesagt an dem Tage, wo ich
den großen Abziehkolben in dem Oelkessel sah, wo, wie er mir sagte, er Kölnisches
Wasser machte. Ich drang tausend Mal in ihn um wirklich zu wissen, was er
verfertigte, und er gestand mir am Ende, daß es Nicotin sei. Einige Tage
nachher sagte er mir, das erste Mal, wo die Gelegenheit dazu sich darbiete, werde
er Gustav nicht verfehlen, und am 20. Nov., als er vernahm, daß Gustav nach
Bitremont kommen werde, erklärte er mir, diesen Tag werde er ihm sein Theil
geben." < ,

Obgleich die Enormität des Verbrechens und der hohe Stand der Ange¬
klagten natürlicher Weise außerordentliches Aufsehen gemacht hatten, war doch die
Eröffnungssitzung der Assisen nicht so stark besucht, als man hätte erwarten sollen.
Auffällig war der Maugel an Damen unter den Zuhörern. Lautlose Stille herrschte
im Saale, als die Angeklagten vorgeführt wurden. Die Gräfin ist in schwarzen
Atlas gekleidet; ihr Gesicht ist unbedeutend, die Nase aufgeworfen, die ganze
Physiognomie hat etwas Gemeines. Ihr Haar ist pechschwarz. Sie warf einen
festen und gleichgiltigen Blick auf die Versammlung. Der Graf ist ein junger,
schlanker Manu, mit einem gescheidten, feingeschnittenen und echt aristokratischen
Gesicht, welches leicht mit Pockennarben gezeichnet ist. Die Gesichtsfarbe ist blaß
und gelb; in seinen Angen liegt ein kecker und böser Ausdruck, der Jeden frappirt.
Sein schwarzer Rock ist bis ans Kinn zugeknöpft. Der Graf zeigt fast uoch
größere Ruhe, als seine Schicksalsgeuossin.

Die Gräfin hatte in der Voruntersuchung schon zu viel zugestanden, als daß
sie noch hätte die Unschuldige spielen könne». Sie wählte jetzt anch eine andere
Taktik, und stellte sich als eine bloße willenlose Zuschauerin dar, welche nur aus
ehelichen Gehorsam und Furcht vor der Heftigkeit ihres Gatten zur Mithelferin
geworden war, als es galt, die spüre» des Verbrechens zu vertilgen.

Ihre Aussagen giebt sie!»ut außerordentlicher Ruhe und Gleichgiltigkeit,
selbst wo es sich um die erschütterndsten Details handelt. Sie wußte, wie sie
selbst gestanden, daß der Graf ihren Bruder nicht lebendig aus dem Schlosse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/400>, abgerufen am 27.07.2024.