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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Ein Abschnitt aus meinen eignen Erlebnissen dürfte hier am Geeignetsten
sein, einen klarern Blick in das Leben unsrer Natnrkünstler zu werfen.

Als am 18. August die Festung Arad an die Kaiserlichen übergeben wurde,
machte ich mich mit zweien meiner Freunde aus den Weg, um die Heimath in Ober-
ungarn auszusuchen. -- Unser Gesammtvermögen bestand aus folgender Summe:
Kossuthnoten hatten wir eine beträchtliche Anzahl, doch konnten wir bereits in
Arad nicht eine Melone für eine Zehuguldenuvte erstehen. An Silbergeld hatte
ich ^ Vs Zwanziger, einer meiner Gefährten S Gulden Münze, der andere 3i Kreu¬
zer theils in Silber-, theils in Kupferscheidemüuzeu. Hiermit sollten wir bis
Pesth -- eine Strecke von 30 Meilen -- wandern, da wir bis dahin keinen
Bekannten hatten, bei dem wir Geld auftreiben konnten. So wanderten wir mit
unsern schweren Reisebüudeln theils per psäss apostolorum, theils auf Gelegen-
heiten bis Csougräd, wo wir an einem Sonnabend ankamen. Morgens darauf
wollten wir weiter reisen, aber eine etwas lange Fußpartie am vorigen Tage hatte
unsre Kräfte ziemlich erschöpft, und die Morgensonne des Augustsonutags verkün¬
dete einen heißen Tag. In Csongräd waren mehrere Straßen in Schutt verwandelt,
alle im Orte vorhandenen Pferde für Russen und Oestreicher auf Vorspann ge¬
fahren, und ein Fuhrwerk gar uicht, oder doch für einen uus unerschwinglichen
Preis zu bekommen. In gewöhnlicher Zeit zahlt man hier für einen Wagen nach
Pesth 10 -- 12 Gulden Münze, jetzt verlangte man bis Ketskemit, welches aus
der Mitte des Weges nach Pesth liegt, 1ö Gulden. Unser Wirth, dem wir unsre
Verlegenheit klagten, rieth uns daher an, zu den Zigeunern. Hinanszugehen, und
dort nach einem gewissen "Sipos" nachzufragen, der Pferde zu halten pflege, und
uns vielleicht für einen mäßigem Preis fortschaffen werde. Die Zigeunercolonie,
welche fast ans lauter Musikern besteht, liegt links von der Straße, die nach Pesth
sührt; wir machten uns also mit unserm Gepäcke auf deu Weg, mit der Vornahme,
wenn diese letzte Hoffnung scheitern sollte, unsre Reise von der Zigeunerzeile zu
Fuß fortzusetzen. Da ich die Natur der Zigeuner kenne, so ließ ich einen meiner
Reisegefährten in einiger Entfernung von der Zeile bei unsrem Gepäck zurück,
und ging mit dem andern der Zeile zu; denn der Zigeuner ist ein gemüthliches
und gefälliges Geschöpf, doch muß er vor dem Menschen Respect haben, und wären
wir wie zugereiste Handwerksburschen Me deu Bund.ein aus dein Rücken in die
Kolonie gekommen, so wäre gewiß die erste und definitive Antwort gewesen: "Liebes,
süßes Herrchen, ich habe keine Pferde, ich habe sie vorige Woche verkauft"
u. f. w.; so hatten wir doch noch ziemlich das Aussehen von "Usxtss^es in-i
end-zrsk" ehrbare Gentlemen -- und konnten auf höflichen Bescheid rechnen. --
An der Zeile angekommen, trafen wir gleich vor dem ersten Hause einen kleinen
Jungen mit einer etwas langen, aber dünnen Thonpfeife im Munde auf der Erde
hockend, der sich bei unsrer Ankunft erhob, doch ohne die angerauchte Pfeife aus
dem Munde zu nehmen. An dem Kleinen, der etwa 7 Jahre haben mochte,


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Ein Abschnitt aus meinen eignen Erlebnissen dürfte hier am Geeignetsten
sein, einen klarern Blick in das Leben unsrer Natnrkünstler zu werfen.

Als am 18. August die Festung Arad an die Kaiserlichen übergeben wurde,
machte ich mich mit zweien meiner Freunde aus den Weg, um die Heimath in Ober-
ungarn auszusuchen. — Unser Gesammtvermögen bestand aus folgender Summe:
Kossuthnoten hatten wir eine beträchtliche Anzahl, doch konnten wir bereits in
Arad nicht eine Melone für eine Zehuguldenuvte erstehen. An Silbergeld hatte
ich ^ Vs Zwanziger, einer meiner Gefährten S Gulden Münze, der andere 3i Kreu¬
zer theils in Silber-, theils in Kupferscheidemüuzeu. Hiermit sollten wir bis
Pesth — eine Strecke von 30 Meilen — wandern, da wir bis dahin keinen
Bekannten hatten, bei dem wir Geld auftreiben konnten. So wanderten wir mit
unsern schweren Reisebüudeln theils per psäss apostolorum, theils auf Gelegen-
heiten bis Csougräd, wo wir an einem Sonnabend ankamen. Morgens darauf
wollten wir weiter reisen, aber eine etwas lange Fußpartie am vorigen Tage hatte
unsre Kräfte ziemlich erschöpft, und die Morgensonne des Augustsonutags verkün¬
dete einen heißen Tag. In Csongräd waren mehrere Straßen in Schutt verwandelt,
alle im Orte vorhandenen Pferde für Russen und Oestreicher auf Vorspann ge¬
fahren, und ein Fuhrwerk gar uicht, oder doch für einen uus unerschwinglichen
Preis zu bekommen. In gewöhnlicher Zeit zahlt man hier für einen Wagen nach
Pesth 10 — 12 Gulden Münze, jetzt verlangte man bis Ketskemit, welches aus
der Mitte des Weges nach Pesth liegt, 1ö Gulden. Unser Wirth, dem wir unsre
Verlegenheit klagten, rieth uns daher an, zu den Zigeunern. Hinanszugehen, und
dort nach einem gewissen „Sipos" nachzufragen, der Pferde zu halten pflege, und
uns vielleicht für einen mäßigem Preis fortschaffen werde. Die Zigeunercolonie,
welche fast ans lauter Musikern besteht, liegt links von der Straße, die nach Pesth
sührt; wir machten uns also mit unserm Gepäcke auf deu Weg, mit der Vornahme,
wenn diese letzte Hoffnung scheitern sollte, unsre Reise von der Zigeunerzeile zu
Fuß fortzusetzen. Da ich die Natur der Zigeuner kenne, so ließ ich einen meiner
Reisegefährten in einiger Entfernung von der Zeile bei unsrem Gepäck zurück,
und ging mit dem andern der Zeile zu; denn der Zigeuner ist ein gemüthliches
und gefälliges Geschöpf, doch muß er vor dem Menschen Respect haben, und wären
wir wie zugereiste Handwerksburschen Me deu Bund.ein aus dein Rücken in die
Kolonie gekommen, so wäre gewiß die erste und definitive Antwort gewesen: „Liebes,
süßes Herrchen, ich habe keine Pferde, ich habe sie vorige Woche verkauft"
u. f. w.; so hatten wir doch noch ziemlich das Aussehen von „Usxtss^es in-i
end-zrsk" ehrbare Gentlemen — und konnten auf höflichen Bescheid rechnen. —
An der Zeile angekommen, trafen wir gleich vor dem ersten Hause einen kleinen
Jungen mit einer etwas langen, aber dünnen Thonpfeife im Munde auf der Erde
hockend, der sich bei unsrer Ankunft erhob, doch ohne die angerauchte Pfeife aus
dem Munde zu nehmen. An dem Kleinen, der etwa 7 Jahre haben mochte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/391>, abgerufen am 01.09.2024.