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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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cesston. Zwar schmeichelte es seinem Anhänger, seinen Glauben in dem System
des transscendentalen Idealismus auf eine Weise entwickelt zu sehen, die nur
dem tiefern Denken zugänglich war, allein das Wesentliche dieses Glaubens war
ihm doch schon in den kleinen populairen Schriften des Meisters gegenwärtig, die
einen wesentlich erbaulichen Charakter an sich trugen. War auf dieser Seite bei
aller Inbrunst eine gewisse Einförmigkeit nicht zu vermeiden, so erfreute man sich
bei den eigentlichen Mystikern einer um so bunteren Fülle. Die Schelling, No¬
valis, Schlegel, Bader, Görres u. s. w. gaben neben den- Reminiscenzen aus
der frühern Scholastik anch noch eine Menge geistreicher und sinniger Anschauun¬
gen aus den Gebieten der Natur und der Geschichte, und das Alles in einer
bequemen Form, die nicht selten an den Roman erinnerte. Bei Jacobi und
Schleiermacher -- bei dem Letzten meine ich natürlich nur die Schriften der da¬
maligen Periode -- ließ sich das Gefühl am Unbefangensten gehen, und suchte
auch nicht einmal den Schein eines dialektischen Zusammenhanges anzunehmen. --
Wenn diese Reden und Weissagungen im Anfang wie ein daut xoül angesehen
wurden, welcher nur dem auserlesenen Geschmack verständlich war, so gab das
Unglück Deutschlands in den Französischen Kriegen Veranlassung, die vistouaire
Stimmung in die gesammte Jngend einzuführen. Alle Welt redete in über¬
schwenglichen Ausdrücken nud steigerte sich zu einer anhaltenden Ekstase. Wenn
man heutzutage die Schriften liest, die damals Epoche machten, so wird Einem
zuweilen zu Muthe, als wäre das Ganze nur ein Traum.

Diese naive Periode der Populairphilosophie hat einen ziemlich bestimmten
Abschluß. Seit der Ermordung Kotzebue's fuhr ein gewaltiger Schreck über die
dämonischen Kräfte des souverainen Gefühls in die damals herrschenden Kreise.
Es begann jene Reaction, die sich nicht blos gegen den Liberalismus und die
Aufklärung, sondern eben sowol gegen die Mystik des romantischen Zeitalters
richtete. Ein Ausdruck dieser Reaction ist die Stellung, welche Hegel in Berlin
einnahm. Die Philosophie begriff die Unpvpularität als ihre erste Pflicht, sie
gab die Ausprüche an das Gefühl und an die Willenskraft aus, sie drückte das
Recht der Subjectivität zu Boden, und sie umhüllte sich nicht allein mit dem Ne¬
bel dunkler Formen, sondern sie verlangte von ihren Schülern, diese Dunkelheit
durch ein energisches Begreifen zu überwinden. Früher hatte man sich Hinein¬
phantastren können, und der Glaube allein machte selig; man stand mit andachts¬
vollem Staunen vor dem Dreifuß der Pythia. Damit war es uun vorüber. Die
Philosophie, die sich nun ganz auf das Hegel'sche System zusammenzog, hatte
mit dem allgemeinen Leben der Nation Nichts mehr zu thun. Man hörte zwar
von ihr, daß sie im Gegensatz gegen die Flachheit der Aufklärung alles Wirk¬
liche zu begreifen und zu rechtfertigen behaupte, und der wieder auftauchende alte
Liberalismus mißbilligte sie, ohne sie zu kennen; allein eigentlich erregte sie eine
so heilige Scheu, daß man sie sich so fern als möglich hielt. Zwar trat von


cesston. Zwar schmeichelte es seinem Anhänger, seinen Glauben in dem System
des transscendentalen Idealismus auf eine Weise entwickelt zu sehen, die nur
dem tiefern Denken zugänglich war, allein das Wesentliche dieses Glaubens war
ihm doch schon in den kleinen populairen Schriften des Meisters gegenwärtig, die
einen wesentlich erbaulichen Charakter an sich trugen. War auf dieser Seite bei
aller Inbrunst eine gewisse Einförmigkeit nicht zu vermeiden, so erfreute man sich
bei den eigentlichen Mystikern einer um so bunteren Fülle. Die Schelling, No¬
valis, Schlegel, Bader, Görres u. s. w. gaben neben den- Reminiscenzen aus
der frühern Scholastik anch noch eine Menge geistreicher und sinniger Anschauun¬
gen aus den Gebieten der Natur und der Geschichte, und das Alles in einer
bequemen Form, die nicht selten an den Roman erinnerte. Bei Jacobi und
Schleiermacher — bei dem Letzten meine ich natürlich nur die Schriften der da¬
maligen Periode — ließ sich das Gefühl am Unbefangensten gehen, und suchte
auch nicht einmal den Schein eines dialektischen Zusammenhanges anzunehmen. —
Wenn diese Reden und Weissagungen im Anfang wie ein daut xoül angesehen
wurden, welcher nur dem auserlesenen Geschmack verständlich war, so gab das
Unglück Deutschlands in den Französischen Kriegen Veranlassung, die vistouaire
Stimmung in die gesammte Jngend einzuführen. Alle Welt redete in über¬
schwenglichen Ausdrücken nud steigerte sich zu einer anhaltenden Ekstase. Wenn
man heutzutage die Schriften liest, die damals Epoche machten, so wird Einem
zuweilen zu Muthe, als wäre das Ganze nur ein Traum.

Diese naive Periode der Populairphilosophie hat einen ziemlich bestimmten
Abschluß. Seit der Ermordung Kotzebue's fuhr ein gewaltiger Schreck über die
dämonischen Kräfte des souverainen Gefühls in die damals herrschenden Kreise.
Es begann jene Reaction, die sich nicht blos gegen den Liberalismus und die
Aufklärung, sondern eben sowol gegen die Mystik des romantischen Zeitalters
richtete. Ein Ausdruck dieser Reaction ist die Stellung, welche Hegel in Berlin
einnahm. Die Philosophie begriff die Unpvpularität als ihre erste Pflicht, sie
gab die Ausprüche an das Gefühl und an die Willenskraft aus, sie drückte das
Recht der Subjectivität zu Boden, und sie umhüllte sich nicht allein mit dem Ne¬
bel dunkler Formen, sondern sie verlangte von ihren Schülern, diese Dunkelheit
durch ein energisches Begreifen zu überwinden. Früher hatte man sich Hinein¬
phantastren können, und der Glaube allein machte selig; man stand mit andachts¬
vollem Staunen vor dem Dreifuß der Pythia. Damit war es uun vorüber. Die
Philosophie, die sich nun ganz auf das Hegel'sche System zusammenzog, hatte
mit dem allgemeinen Leben der Nation Nichts mehr zu thun. Man hörte zwar
von ihr, daß sie im Gegensatz gegen die Flachheit der Aufklärung alles Wirk¬
liche zu begreifen und zu rechtfertigen behaupte, und der wieder auftauchende alte
Liberalismus mißbilligte sie, ohne sie zu kennen; allein eigentlich erregte sie eine
so heilige Scheu, daß man sie sich so fern als möglich hielt. Zwar trat von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/378>, abgerufen am 01.09.2024.