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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Erörterung bedürfte. Wenn dagegen Spinoza an die Spitze seiner Ethik den
Grundsatz stellt: 8ubstaniicr <Z8t la, quo in^ux, nil eoAwri potegt, floh in, ^uoÄ
ron xorsst ovssit^ri nisi öxistsns, so fordert die Möglichkeit, einen solchen Ge¬
danken, der den Namen Substanz führen soll, zu denken, eine so langwierige
Untersuchung, daß die ganze Ethik gegen diesen einen Satz als unbedeutend
zusammenschrumpft. Wenn man es dagegen mit der Abstraction, auf welche das
System gebaut werden soll, genan nimmt, wie z. B. Fichte mit seinem Ich und
Nicht-Ich, so kommt dabei eben nichts Anderes heraus, als die beständige Wieder¬
holung jener ersten Abstraction in der beständigen Verkleinerung periodischer De¬
cimalbrüche. Anstatt daß die Metaphysik ehrlich zu Werke gehen sollte und
zugestehen, daß sie ihre Gegenstände aus den andern Wissenschaften entlehnt und
sich uur dadurch von denselben unterscheidet, daß sie die ersten Grundbegriffe einer
strengern Untersuchung unterwirft, behauptet sie, aus diesen Grundbegriffen allein
eine Realität herzustellen, mit demselben Recht, mit dem der Anatom behaupten
wollte, in der sorgfältigen Secirung des Nervengeflechts den ganzen Menschen zu
haben. Sie kann es daher nicht lassen, in jedem Augenblick ihr System dadurch
zu ergänze", daß sie Beobachtungen vou anderer Seite her entlehnt; und da
diese ihrer eignen Methode nicht unterliegen, also auch in ihrem Sinn nicht als
Beweisführung gelten können, so wird dieser Mangel des Schlusses durch die
Zuversichtlichkeit der Versicherung verdeckt, und der subjective Ausdruck des Pathos
oder des Witzes mischt sich in die Objectivität ihrer Kritik. Es wird keine syste¬
matische Philosophie geben, d. h. keine Philosophie, die in sich selbst die Totali¬
tät des Wissens zu begreifen wähnt, welche sich dieser Sophistik enthalten könnte.

Die vermeintliche Nothwendigkeit von der Kontinuität und Vollständigkeit
des philosophischen Systems führt noch zu einem andern Uebelstand. Nachdem
man vorher die Fächer vollständig registrirt hat, in welche die einzelnen Unter¬
suchungen gelegt werden sollen, hält man es für seine Pflicht, über jedes dieser
Fächer auch wirklich Etwas zu sagen, gleichviel ob man darüber Etwas zu sagen
weiß oder nicht. Wenn das Gefühl der Leerheit dadurch gar zu stark hervortritt,
so verdeckt man es durch unklare Ausdrücke, die deu Schein der Tiefe haben,
die aber nur darum unverständlich sind, weil sie theils die bekannten einfachen
Formen der Satzverbindung durch künstliche ersetzen, an die man sich erst gewöhnt
haben muß, um zu wissen, daß sie nichts Anderes bedeuten, als jene alten ein¬
fachen Formen, theils die Worte und Begriffe in einer neuen, mit mehr oder
weniger Willkür hineingelegten Bedeutung gebrauchen. Das ist seit Hegel noch
schlimmer geworden, seitdem Dieser die frühern Griechischen und Lateinischen Aus¬
drücke der Philosophie durch Deutsche ersetzt hat. Seitdem hat man sich nicht
allein daran gewöhnen müssen, Präpositionen, Adverbia und dergleichen als Sub-
stantiva anzusehen, sondern man muß auch bei ganz bekannten Worten von der
gewöhnlichen Bedeutung abstrahiren lernen. Da diese aber auch in der gewöhnlichen


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Erörterung bedürfte. Wenn dagegen Spinoza an die Spitze seiner Ethik den
Grundsatz stellt: 8ubstaniicr <Z8t la, quo in^ux, nil eoAwri potegt, floh in, ^uoÄ
ron xorsst ovssit^ri nisi öxistsns, so fordert die Möglichkeit, einen solchen Ge¬
danken, der den Namen Substanz führen soll, zu denken, eine so langwierige
Untersuchung, daß die ganze Ethik gegen diesen einen Satz als unbedeutend
zusammenschrumpft. Wenn man es dagegen mit der Abstraction, auf welche das
System gebaut werden soll, genan nimmt, wie z. B. Fichte mit seinem Ich und
Nicht-Ich, so kommt dabei eben nichts Anderes heraus, als die beständige Wieder¬
holung jener ersten Abstraction in der beständigen Verkleinerung periodischer De¬
cimalbrüche. Anstatt daß die Metaphysik ehrlich zu Werke gehen sollte und
zugestehen, daß sie ihre Gegenstände aus den andern Wissenschaften entlehnt und
sich uur dadurch von denselben unterscheidet, daß sie die ersten Grundbegriffe einer
strengern Untersuchung unterwirft, behauptet sie, aus diesen Grundbegriffen allein
eine Realität herzustellen, mit demselben Recht, mit dem der Anatom behaupten
wollte, in der sorgfältigen Secirung des Nervengeflechts den ganzen Menschen zu
haben. Sie kann es daher nicht lassen, in jedem Augenblick ihr System dadurch
zu ergänze», daß sie Beobachtungen vou anderer Seite her entlehnt; und da
diese ihrer eignen Methode nicht unterliegen, also auch in ihrem Sinn nicht als
Beweisführung gelten können, so wird dieser Mangel des Schlusses durch die
Zuversichtlichkeit der Versicherung verdeckt, und der subjective Ausdruck des Pathos
oder des Witzes mischt sich in die Objectivität ihrer Kritik. Es wird keine syste¬
matische Philosophie geben, d. h. keine Philosophie, die in sich selbst die Totali¬
tät des Wissens zu begreifen wähnt, welche sich dieser Sophistik enthalten könnte.

Die vermeintliche Nothwendigkeit von der Kontinuität und Vollständigkeit
des philosophischen Systems führt noch zu einem andern Uebelstand. Nachdem
man vorher die Fächer vollständig registrirt hat, in welche die einzelnen Unter¬
suchungen gelegt werden sollen, hält man es für seine Pflicht, über jedes dieser
Fächer auch wirklich Etwas zu sagen, gleichviel ob man darüber Etwas zu sagen
weiß oder nicht. Wenn das Gefühl der Leerheit dadurch gar zu stark hervortritt,
so verdeckt man es durch unklare Ausdrücke, die deu Schein der Tiefe haben,
die aber nur darum unverständlich sind, weil sie theils die bekannten einfachen
Formen der Satzverbindung durch künstliche ersetzen, an die man sich erst gewöhnt
haben muß, um zu wissen, daß sie nichts Anderes bedeuten, als jene alten ein¬
fachen Formen, theils die Worte und Begriffe in einer neuen, mit mehr oder
weniger Willkür hineingelegten Bedeutung gebrauchen. Das ist seit Hegel noch
schlimmer geworden, seitdem Dieser die frühern Griechischen und Lateinischen Aus¬
drücke der Philosophie durch Deutsche ersetzt hat. Seitdem hat man sich nicht
allein daran gewöhnen müssen, Präpositionen, Adverbia und dergleichen als Sub-
stantiva anzusehen, sondern man muß auch bei ganz bekannten Worten von der
gewöhnlichen Bedeutung abstrahiren lernen. Da diese aber auch in der gewöhnlichen


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[0375] Erörterung bedürfte. Wenn dagegen Spinoza an die Spitze seiner Ethik den Grundsatz stellt: 8ubstaniicr <Z8t la, quo in^ux, nil eoAwri potegt, floh in, ^uoÄ ron xorsst ovssit^ri nisi öxistsns, so fordert die Möglichkeit, einen solchen Ge¬ danken, der den Namen Substanz führen soll, zu denken, eine so langwierige Untersuchung, daß die ganze Ethik gegen diesen einen Satz als unbedeutend zusammenschrumpft. Wenn man es dagegen mit der Abstraction, auf welche das System gebaut werden soll, genan nimmt, wie z. B. Fichte mit seinem Ich und Nicht-Ich, so kommt dabei eben nichts Anderes heraus, als die beständige Wieder¬ holung jener ersten Abstraction in der beständigen Verkleinerung periodischer De¬ cimalbrüche. Anstatt daß die Metaphysik ehrlich zu Werke gehen sollte und zugestehen, daß sie ihre Gegenstände aus den andern Wissenschaften entlehnt und sich uur dadurch von denselben unterscheidet, daß sie die ersten Grundbegriffe einer strengern Untersuchung unterwirft, behauptet sie, aus diesen Grundbegriffen allein eine Realität herzustellen, mit demselben Recht, mit dem der Anatom behaupten wollte, in der sorgfältigen Secirung des Nervengeflechts den ganzen Menschen zu haben. Sie kann es daher nicht lassen, in jedem Augenblick ihr System dadurch zu ergänze», daß sie Beobachtungen vou anderer Seite her entlehnt; und da diese ihrer eignen Methode nicht unterliegen, also auch in ihrem Sinn nicht als Beweisführung gelten können, so wird dieser Mangel des Schlusses durch die Zuversichtlichkeit der Versicherung verdeckt, und der subjective Ausdruck des Pathos oder des Witzes mischt sich in die Objectivität ihrer Kritik. Es wird keine syste¬ matische Philosophie geben, d. h. keine Philosophie, die in sich selbst die Totali¬ tät des Wissens zu begreifen wähnt, welche sich dieser Sophistik enthalten könnte. Die vermeintliche Nothwendigkeit von der Kontinuität und Vollständigkeit des philosophischen Systems führt noch zu einem andern Uebelstand. Nachdem man vorher die Fächer vollständig registrirt hat, in welche die einzelnen Unter¬ suchungen gelegt werden sollen, hält man es für seine Pflicht, über jedes dieser Fächer auch wirklich Etwas zu sagen, gleichviel ob man darüber Etwas zu sagen weiß oder nicht. Wenn das Gefühl der Leerheit dadurch gar zu stark hervortritt, so verdeckt man es durch unklare Ausdrücke, die deu Schein der Tiefe haben, die aber nur darum unverständlich sind, weil sie theils die bekannten einfachen Formen der Satzverbindung durch künstliche ersetzen, an die man sich erst gewöhnt haben muß, um zu wissen, daß sie nichts Anderes bedeuten, als jene alten ein¬ fachen Formen, theils die Worte und Begriffe in einer neuen, mit mehr oder weniger Willkür hineingelegten Bedeutung gebrauchen. Das ist seit Hegel noch schlimmer geworden, seitdem Dieser die frühern Griechischen und Lateinischen Aus¬ drücke der Philosophie durch Deutsche ersetzt hat. Seitdem hat man sich nicht allein daran gewöhnen müssen, Präpositionen, Adverbia und dergleichen als Sub- stantiva anzusehen, sondern man muß auch bei ganz bekannten Worten von der gewöhnlichen Bedeutung abstrahiren lernen. Da diese aber auch in der gewöhnlichen 46*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/375>, abgerufen am 27.07.2024.