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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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werde" kann, sich entwickeln soll, hängt nicht mehr von dem zusammenhängenden
Wirken einer Partei, sondern von dem Spiele des Zufalls ab. Wenn man aber
verlangt, die Gesellschaft solle sich selbst freiwillig die Hände binden, sie solle durch
die absolute Anerkennung des allgemeinen Wahlrechts sich jede Möglichkeit neh¬
men, ans dem Wege der Ordnung und des Gesetzes sich von dieser Tyrannei zu
befreien, so heißt das ihr so viel zumuthen, daß. man es fast für eine unschuldige
Schwärmerei halten sollte.

Aehnliche Widersprüche im Prineip selbst stoßen uns fortwährend in den
sehr verschiedenartigen Schichten ans, aus denen die sogenannte Demokratie zu¬
sammengesetzt ist. Ju unsrer Partei ist das nicht der Fall. Wir sind über die
Zweckmäßigkeit dieser oder jener Maßregel oft genug uneinig gewesen, wie das
bei den sehr verwickelten Voraussetzungen, ans denen unsre neuste politische Thä¬
tigkeit hervorging, nicht anders möglich ist; aber niemals über den eigentlichen
Zweck. Dieser Zweck ist durch den gesammten Deutschen Liberalismus seit dem
Jahre 1806 verfolgt worden, und es ist eigentlich eine ganz schiefe Bezeichnung,
wenn man unsern Namen von einem einzelnen nicht gerade sehr wichtigen Act
herleitet. Der Radicalismus dagegen hat sich zwar vielfach mit den Staatsformen
in allen ihren Konsequenzen beschäftigt, aber niemals mit der Substanz des Staats,
mit jener Darstellung der Souverainetät, die doch den Brennpunkt aller politischen
Bewegung hergeben muß. Er bringt wol souveraine Versammlungen zusammen,
für ganz Deutschland, für ganz Oestreich, für Preußen, wie für Hessen-Homburg,
aber das Mittelglied, wodurch die souverainen Beschlüsse dieser Versammlungen
die wirkliche Giltigkeit erlangen sollen, hat er noch nicht entdeckt. Der Reichs¬
verweser leistete nicht, was er leisten sollte, die Herren Raveaux, Simon n. s. w.
auch nicht, und Herr Itzstein würde es eben so wenig im Stande gewesen sein.
Es kommt aber gar nicht darauf an, nach welcher Form das Parlament zusam¬
mengesetzt ist, sondern wie weit seine reale Macht geht. Das ohnmächtigste aller
Parlamente ist dasjenige, welches sich aus den Pöbel stützt; das mächtigste das
aristokratische, d. h. dasjenige, welches alle wirklich einflußreichen Männer des
Landes in sich vereinigt. Eine Wahlform zu senden, ans welcher diese Aristokratie
wirklich hervorgeht, wäre die höchste Aufgabe der constituirenden Thätigkeit.
Die Demokratie aber entzieht sich dieser Aufgabe, wenn sie sich von vorn herein
an eine bestimmte Formel bindet, ohne Rücksicht auf das Resultat.

Die eigentlich demokratische Partei v-rwahrt sich jeden Augenblick gegen die
Solidarität mit ihren Auswüchsen, und doch beruft sie sich wieder fortwährend
auf die Masse des Volkes, die hinter ihr stehe. Das ist nicht sowol ein jesuitischer
Versuch, die Andern zu täuschen, als eine innere Unklarheit. Sie hat bis jetzt
das Glück gehabt, sich überall in der Opposition zu befinden, und daher sich theils
auf Ausbrüche des Gefühls, theils aus den Scharfsinn einer äußerlichen Kritik
beschränken zu können. Wenn man daher die vorzüglichsten parlamentarischen


werde» kann, sich entwickeln soll, hängt nicht mehr von dem zusammenhängenden
Wirken einer Partei, sondern von dem Spiele des Zufalls ab. Wenn man aber
verlangt, die Gesellschaft solle sich selbst freiwillig die Hände binden, sie solle durch
die absolute Anerkennung des allgemeinen Wahlrechts sich jede Möglichkeit neh¬
men, ans dem Wege der Ordnung und des Gesetzes sich von dieser Tyrannei zu
befreien, so heißt das ihr so viel zumuthen, daß. man es fast für eine unschuldige
Schwärmerei halten sollte.

Aehnliche Widersprüche im Prineip selbst stoßen uns fortwährend in den
sehr verschiedenartigen Schichten ans, aus denen die sogenannte Demokratie zu¬
sammengesetzt ist. Ju unsrer Partei ist das nicht der Fall. Wir sind über die
Zweckmäßigkeit dieser oder jener Maßregel oft genug uneinig gewesen, wie das
bei den sehr verwickelten Voraussetzungen, ans denen unsre neuste politische Thä¬
tigkeit hervorging, nicht anders möglich ist; aber niemals über den eigentlichen
Zweck. Dieser Zweck ist durch den gesammten Deutschen Liberalismus seit dem
Jahre 1806 verfolgt worden, und es ist eigentlich eine ganz schiefe Bezeichnung,
wenn man unsern Namen von einem einzelnen nicht gerade sehr wichtigen Act
herleitet. Der Radicalismus dagegen hat sich zwar vielfach mit den Staatsformen
in allen ihren Konsequenzen beschäftigt, aber niemals mit der Substanz des Staats,
mit jener Darstellung der Souverainetät, die doch den Brennpunkt aller politischen
Bewegung hergeben muß. Er bringt wol souveraine Versammlungen zusammen,
für ganz Deutschland, für ganz Oestreich, für Preußen, wie für Hessen-Homburg,
aber das Mittelglied, wodurch die souverainen Beschlüsse dieser Versammlungen
die wirkliche Giltigkeit erlangen sollen, hat er noch nicht entdeckt. Der Reichs¬
verweser leistete nicht, was er leisten sollte, die Herren Raveaux, Simon n. s. w.
auch nicht, und Herr Itzstein würde es eben so wenig im Stande gewesen sein.
Es kommt aber gar nicht darauf an, nach welcher Form das Parlament zusam¬
mengesetzt ist, sondern wie weit seine reale Macht geht. Das ohnmächtigste aller
Parlamente ist dasjenige, welches sich aus den Pöbel stützt; das mächtigste das
aristokratische, d. h. dasjenige, welches alle wirklich einflußreichen Männer des
Landes in sich vereinigt. Eine Wahlform zu senden, ans welcher diese Aristokratie
wirklich hervorgeht, wäre die höchste Aufgabe der constituirenden Thätigkeit.
Die Demokratie aber entzieht sich dieser Aufgabe, wenn sie sich von vorn herein
an eine bestimmte Formel bindet, ohne Rücksicht auf das Resultat.

Die eigentlich demokratische Partei v-rwahrt sich jeden Augenblick gegen die
Solidarität mit ihren Auswüchsen, und doch beruft sie sich wieder fortwährend
auf die Masse des Volkes, die hinter ihr stehe. Das ist nicht sowol ein jesuitischer
Versuch, die Andern zu täuschen, als eine innere Unklarheit. Sie hat bis jetzt
das Glück gehabt, sich überall in der Opposition zu befinden, und daher sich theils
auf Ausbrüche des Gefühls, theils aus den Scharfsinn einer äußerlichen Kritik
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[0363] werde» kann, sich entwickeln soll, hängt nicht mehr von dem zusammenhängenden Wirken einer Partei, sondern von dem Spiele des Zufalls ab. Wenn man aber verlangt, die Gesellschaft solle sich selbst freiwillig die Hände binden, sie solle durch die absolute Anerkennung des allgemeinen Wahlrechts sich jede Möglichkeit neh¬ men, ans dem Wege der Ordnung und des Gesetzes sich von dieser Tyrannei zu befreien, so heißt das ihr so viel zumuthen, daß. man es fast für eine unschuldige Schwärmerei halten sollte. Aehnliche Widersprüche im Prineip selbst stoßen uns fortwährend in den sehr verschiedenartigen Schichten ans, aus denen die sogenannte Demokratie zu¬ sammengesetzt ist. Ju unsrer Partei ist das nicht der Fall. Wir sind über die Zweckmäßigkeit dieser oder jener Maßregel oft genug uneinig gewesen, wie das bei den sehr verwickelten Voraussetzungen, ans denen unsre neuste politische Thä¬ tigkeit hervorging, nicht anders möglich ist; aber niemals über den eigentlichen Zweck. Dieser Zweck ist durch den gesammten Deutschen Liberalismus seit dem Jahre 1806 verfolgt worden, und es ist eigentlich eine ganz schiefe Bezeichnung, wenn man unsern Namen von einem einzelnen nicht gerade sehr wichtigen Act herleitet. Der Radicalismus dagegen hat sich zwar vielfach mit den Staatsformen in allen ihren Konsequenzen beschäftigt, aber niemals mit der Substanz des Staats, mit jener Darstellung der Souverainetät, die doch den Brennpunkt aller politischen Bewegung hergeben muß. Er bringt wol souveraine Versammlungen zusammen, für ganz Deutschland, für ganz Oestreich, für Preußen, wie für Hessen-Homburg, aber das Mittelglied, wodurch die souverainen Beschlüsse dieser Versammlungen die wirkliche Giltigkeit erlangen sollen, hat er noch nicht entdeckt. Der Reichs¬ verweser leistete nicht, was er leisten sollte, die Herren Raveaux, Simon n. s. w. auch nicht, und Herr Itzstein würde es eben so wenig im Stande gewesen sein. Es kommt aber gar nicht darauf an, nach welcher Form das Parlament zusam¬ mengesetzt ist, sondern wie weit seine reale Macht geht. Das ohnmächtigste aller Parlamente ist dasjenige, welches sich aus den Pöbel stützt; das mächtigste das aristokratische, d. h. dasjenige, welches alle wirklich einflußreichen Männer des Landes in sich vereinigt. Eine Wahlform zu senden, ans welcher diese Aristokratie wirklich hervorgeht, wäre die höchste Aufgabe der constituirenden Thätigkeit. Die Demokratie aber entzieht sich dieser Aufgabe, wenn sie sich von vorn herein an eine bestimmte Formel bindet, ohne Rücksicht auf das Resultat. Die eigentlich demokratische Partei v-rwahrt sich jeden Augenblick gegen die Solidarität mit ihren Auswüchsen, und doch beruft sie sich wieder fortwährend auf die Masse des Volkes, die hinter ihr stehe. Das ist nicht sowol ein jesuitischer Versuch, die Andern zu täuschen, als eine innere Unklarheit. Sie hat bis jetzt das Glück gehabt, sich überall in der Opposition zu befinden, und daher sich theils auf Ausbrüche des Gefühls, theils aus den Scharfsinn einer äußerlichen Kritik beschränken zu können. Wenn man daher die vorzüglichsten parlamentarischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/363>, abgerufen am 01.09.2024.