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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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geschrieben worden war. Das Mittel war eine Salbe zum Aufstreichen; die
thörichte Freibeuterin aber nahm sie ein und bekam in Folge dieses dummen
Streiches einen langwierigen abscheulichen Ausschlag.

In den kleinen Städten "ut Dörfern steht die Sache natürlich noch "in Vieles
schlimmer, denn dort gesellt sich zu den falschen Begriffen ein wirklich diabolischer
Aberglaube. Jede kleine Stadt hat ihren Arzt, oft wol deren eine ganze Menge,
d. h. einen jüdischen Schwindler, der die ärztliche Praxis als Nebensache be-
trachtet. Sein Hauptgeschäft ist der Handel; er hält zugleich die Apotheke für
seine Patienten: einen Sack voll Kräuter, welche keine Wirkung thun, und
einige Giftwnrzeln, die Erbrechen erregen. Dazu sind diese Betrüger sehr kühne
Chirurgen, lassen muthig zur Ader mit ihrem gut geschärften Taschenmesser und
brechen die Zähne aus mit gewöhnlichen Nagelzangen.

Das Honorar, welches diese Doctoren, nachdem die Natur dem Patienten
geholfen hat, oder sein Tod in Folge der Giflwurzel eingetreten ist, fordern, ist
allerdings weit menschenfreundlicher, als das ihrer edleren College" in Warschau.
Geld fordern sie nie, weil sie solches nicht bekommen können; dagegen nehmen
sie Getreide, Lämmer, Schafe, Ziegen, Kälber und Pferde in Anspruch. Regel¬
mäßig accordiren sie voraus.

Uebrigens ist der Glaube an diese Art jüdischer Aerzte bei dem niedrigen
Volke so stark, daß der liebe Gott ganz zufrieden sein konnte, wenn er einen solchen
Glauben an sich bei den Vornehmen fände. Bisweilen nur erschüttern ihn die
katholischen Geistlichen ein Wenig, indem sie, neidisch ans den Gewinn der jüdi¬
schen Spitzbuben, die judenärztliche Praxis verdächtigen oder verdammen und ihre
Wunderkuren als die allein wirksamen anpreisen. Das thun sie oftmals sogar
von der Kanzel herab. Sehr viele katholischen Dorfpfarrer treiben Wunderarz¬
neikunst, practiciren mit religiösen Zauberformeln und beuten das körperlich leidende
Bauerngeschlecht mit durchaus nicht geringerer Unverschämtheit aus, als die
Juden. Einzelne erlauben es sich sogar, von Zeit zu Zeit Haus für Haus zu revi-
diren, jede Person nach dem Befinden zu fragen, auf die Zunge zu fühlen, die
Waden zu streichen, den Pulsschlag zu untersuchen :c., und sich demnach gleichsam für
einen Hausarzt zu betrachten, der ein Fixum in Anspruch zu nehmen das Recht hat.
Dieses Fixum kann natürlich nur in Eiern, Speck, Wurst, Getreide, Käse und der¬
gleichen bestehen. Der Herr Pfarrer macht eine Rundfahrt, hält vor jeder Hütte
und besucht dieselbe in Begleitung eines Knechtes, der mit einem Sacke versehen
ist, in welchen er,den Sold seines Herrn ausnimmt und auf den Wagen schleppt.

Diese Art von Doctoren knurr vorzugsweise mit kleinen, zinnernen Kreuzchen,
in Kreuzform geschnittenen Tnchstückchcn, dünnen Mehlteigscheibchen, in welche
Heiligenbilder eingedruckt sind, und mit Kräutern, welche nach ihrer lügenhaften
Versicherung auf dem heiligen Berge zu Czenstochan gewachsen sind, wo sich das
berühmteste wunderthätige Muttergottesbild der Polen befindet. Diese wackern


geschrieben worden war. Das Mittel war eine Salbe zum Aufstreichen; die
thörichte Freibeuterin aber nahm sie ein und bekam in Folge dieses dummen
Streiches einen langwierigen abscheulichen Ausschlag.

In den kleinen Städten »ut Dörfern steht die Sache natürlich noch »in Vieles
schlimmer, denn dort gesellt sich zu den falschen Begriffen ein wirklich diabolischer
Aberglaube. Jede kleine Stadt hat ihren Arzt, oft wol deren eine ganze Menge,
d. h. einen jüdischen Schwindler, der die ärztliche Praxis als Nebensache be-
trachtet. Sein Hauptgeschäft ist der Handel; er hält zugleich die Apotheke für
seine Patienten: einen Sack voll Kräuter, welche keine Wirkung thun, und
einige Giftwnrzeln, die Erbrechen erregen. Dazu sind diese Betrüger sehr kühne
Chirurgen, lassen muthig zur Ader mit ihrem gut geschärften Taschenmesser und
brechen die Zähne aus mit gewöhnlichen Nagelzangen.

Das Honorar, welches diese Doctoren, nachdem die Natur dem Patienten
geholfen hat, oder sein Tod in Folge der Giflwurzel eingetreten ist, fordern, ist
allerdings weit menschenfreundlicher, als das ihrer edleren College» in Warschau.
Geld fordern sie nie, weil sie solches nicht bekommen können; dagegen nehmen
sie Getreide, Lämmer, Schafe, Ziegen, Kälber und Pferde in Anspruch. Regel¬
mäßig accordiren sie voraus.

Uebrigens ist der Glaube an diese Art jüdischer Aerzte bei dem niedrigen
Volke so stark, daß der liebe Gott ganz zufrieden sein konnte, wenn er einen solchen
Glauben an sich bei den Vornehmen fände. Bisweilen nur erschüttern ihn die
katholischen Geistlichen ein Wenig, indem sie, neidisch ans den Gewinn der jüdi¬
schen Spitzbuben, die judenärztliche Praxis verdächtigen oder verdammen und ihre
Wunderkuren als die allein wirksamen anpreisen. Das thun sie oftmals sogar
von der Kanzel herab. Sehr viele katholischen Dorfpfarrer treiben Wunderarz¬
neikunst, practiciren mit religiösen Zauberformeln und beuten das körperlich leidende
Bauerngeschlecht mit durchaus nicht geringerer Unverschämtheit aus, als die
Juden. Einzelne erlauben es sich sogar, von Zeit zu Zeit Haus für Haus zu revi-
diren, jede Person nach dem Befinden zu fragen, auf die Zunge zu fühlen, die
Waden zu streichen, den Pulsschlag zu untersuchen :c., und sich demnach gleichsam für
einen Hausarzt zu betrachten, der ein Fixum in Anspruch zu nehmen das Recht hat.
Dieses Fixum kann natürlich nur in Eiern, Speck, Wurst, Getreide, Käse und der¬
gleichen bestehen. Der Herr Pfarrer macht eine Rundfahrt, hält vor jeder Hütte
und besucht dieselbe in Begleitung eines Knechtes, der mit einem Sacke versehen
ist, in welchen er,den Sold seines Herrn ausnimmt und auf den Wagen schleppt.

Diese Art von Doctoren knurr vorzugsweise mit kleinen, zinnernen Kreuzchen,
in Kreuzform geschnittenen Tnchstückchcn, dünnen Mehlteigscheibchen, in welche
Heiligenbilder eingedruckt sind, und mit Kräutern, welche nach ihrer lügenhaften
Versicherung auf dem heiligen Berge zu Czenstochan gewachsen sind, wo sich das
berühmteste wunderthätige Muttergottesbild der Polen befindet. Diese wackern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/358>, abgerufen am 01.09.2024.