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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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oder Lafontaine'schen Periode an; auch versichern die Leihbibliothekare, daß von
der gebildeten Welt Straßburgs sehr selten irgend ein Deutsches Buch verlangt
würde, und daß diese nnr Pariser Romane lesen wolle. Noch weniger findet
man solche Spuren des Deutsckthums in Mühlhausen und gar in Kolmar, wie
denn überhaupt Straßburg von allen größern Städten des Elsasses diejenige ist,
die ihren Deutschen Ursprung noch am Wenigsten verläugnet.

Ein recht anziehendes Schauspiel, bei dem ich besonders günstige Gele¬
genheit hatte, die Sitten und Neigungen des Volkes kennen zu lernen, ward
mir bei meiner letzten Anwesenheit im Elsaß, indem ich der Feier des dreijährigen
Bestandes der Französischen Republik (i>. Mai) beiwohnte. Sagt man übrigens
den jetzigen Civil- und Militärbehörden des Elsasses, die nnr eine getreue Copie
ihrer Herren und Meister in Paris sind, wol nicht mit Unrecht nach, daß sie im
Innern ihres Herzens gerade keine recht ehrlichen Republikaner seien, so hielt
man es denn doch für gerathen, vorläufig uoch "gute Miene zum bösen Spiel
zu machen." So verkündeten denn anch in Straßburg große Anschlagzettel an
den Straßenecken, daß die Civil-, Militair- und geistlichen Behörden in Gemein¬
schaft beschlossen hätten, am i. Mai den Jahrestag der Republik zu feiern, und
,alle Einwohner der Stadt eingeladen würden, Antheil zu nehmen. Am Morgen
des Festtages, der diesmal auf einen Sonntag fiel, leider aber ziemlich ungünstig
vom Wetter bedacht wurde, donnerten die Kanonen der Citadelle, läuteten die
Glocken von allen Thürmen. Gegen 10 Uhr füllte der Platz vor dem Münster sich
mit Gendarmen und Piquets der Infanterie; ein breites Spalier ward gebildet,
und unter dem rauschenden Klang einer vollen Militairmnstf, wobei die Trompete"
auf wahrhaft entsetzliche Weise schmetterten und die Tamboure mit aller Kraft
ihrer Arme das Trommelfell bearbeiteten, nahte sich ein langer Zug aller Civil-
nnd Militairpersonen der Stadt, voran 10--12 bärtige Sappenre eines Infanterie-
Regiments. Nicht im Mindesten republikanisch sahen diese Diener der Republik
aus, Ordenssterne bedeckten ihre Brust, Goldstickereien blitzten von ihren Unifor¬
men, reiche goldene Epauletts waren ans den Schultern. Mit affectirter Leichtig¬
keit und Grazie hüpften Alle einher und gaben dem Ganzen einen Anstrich einer
gut geordneten Theaterprocession. Auch das feierliche Tedeum im Münster trug
nicht den Charakter einer religiösen Handlung. Die Menge der Menschen, welche
die weiten Räume anfüllte, schien das Ganze wie ein Spectakelstück zu betrachten.
Man drängte und stieß sich, machte frivole Bemerkungen, musterte die Damen u. f. w.

Nach Beendigung des Gottesdienstes entfernte sich der Zug aller Behörden,
dem besonders auch die sehr zahlreiche" Officiere der starken Straßburger Gar¬
nison eine große Ausdehnung gaben, auf ebenso geräuschvolle Weise, wie er
gekommen. In den Straßen wogte eine sehr große Menschenmenge, da viele
Landleute aus der Umgegend gekommen waren, sich die Festlichkeiten zu beschauen-,
meistens große, feste Gestalten, mit blauen Augen und blondem Haur, wie die


oder Lafontaine'schen Periode an; auch versichern die Leihbibliothekare, daß von
der gebildeten Welt Straßburgs sehr selten irgend ein Deutsches Buch verlangt
würde, und daß diese nnr Pariser Romane lesen wolle. Noch weniger findet
man solche Spuren des Deutsckthums in Mühlhausen und gar in Kolmar, wie
denn überhaupt Straßburg von allen größern Städten des Elsasses diejenige ist,
die ihren Deutschen Ursprung noch am Wenigsten verläugnet.

Ein recht anziehendes Schauspiel, bei dem ich besonders günstige Gele¬
genheit hatte, die Sitten und Neigungen des Volkes kennen zu lernen, ward
mir bei meiner letzten Anwesenheit im Elsaß, indem ich der Feier des dreijährigen
Bestandes der Französischen Republik (i>. Mai) beiwohnte. Sagt man übrigens
den jetzigen Civil- und Militärbehörden des Elsasses, die nnr eine getreue Copie
ihrer Herren und Meister in Paris sind, wol nicht mit Unrecht nach, daß sie im
Innern ihres Herzens gerade keine recht ehrlichen Republikaner seien, so hielt
man es denn doch für gerathen, vorläufig uoch „gute Miene zum bösen Spiel
zu machen." So verkündeten denn anch in Straßburg große Anschlagzettel an
den Straßenecken, daß die Civil-, Militair- und geistlichen Behörden in Gemein¬
schaft beschlossen hätten, am i. Mai den Jahrestag der Republik zu feiern, und
,alle Einwohner der Stadt eingeladen würden, Antheil zu nehmen. Am Morgen
des Festtages, der diesmal auf einen Sonntag fiel, leider aber ziemlich ungünstig
vom Wetter bedacht wurde, donnerten die Kanonen der Citadelle, läuteten die
Glocken von allen Thürmen. Gegen 10 Uhr füllte der Platz vor dem Münster sich
mit Gendarmen und Piquets der Infanterie; ein breites Spalier ward gebildet,
und unter dem rauschenden Klang einer vollen Militairmnstf, wobei die Trompete»
auf wahrhaft entsetzliche Weise schmetterten und die Tamboure mit aller Kraft
ihrer Arme das Trommelfell bearbeiteten, nahte sich ein langer Zug aller Civil-
nnd Militairpersonen der Stadt, voran 10—12 bärtige Sappenre eines Infanterie-
Regiments. Nicht im Mindesten republikanisch sahen diese Diener der Republik
aus, Ordenssterne bedeckten ihre Brust, Goldstickereien blitzten von ihren Unifor¬
men, reiche goldene Epauletts waren ans den Schultern. Mit affectirter Leichtig¬
keit und Grazie hüpften Alle einher und gaben dem Ganzen einen Anstrich einer
gut geordneten Theaterprocession. Auch das feierliche Tedeum im Münster trug
nicht den Charakter einer religiösen Handlung. Die Menge der Menschen, welche
die weiten Räume anfüllte, schien das Ganze wie ein Spectakelstück zu betrachten.
Man drängte und stieß sich, machte frivole Bemerkungen, musterte die Damen u. f. w.

Nach Beendigung des Gottesdienstes entfernte sich der Zug aller Behörden,
dem besonders auch die sehr zahlreiche« Officiere der starken Straßburger Gar¬
nison eine große Ausdehnung gaben, auf ebenso geräuschvolle Weise, wie er
gekommen. In den Straßen wogte eine sehr große Menschenmenge, da viele
Landleute aus der Umgegend gekommen waren, sich die Festlichkeiten zu beschauen-,
meistens große, feste Gestalten, mit blauen Augen und blondem Haur, wie die


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[0353] oder Lafontaine'schen Periode an; auch versichern die Leihbibliothekare, daß von der gebildeten Welt Straßburgs sehr selten irgend ein Deutsches Buch verlangt würde, und daß diese nnr Pariser Romane lesen wolle. Noch weniger findet man solche Spuren des Deutsckthums in Mühlhausen und gar in Kolmar, wie denn überhaupt Straßburg von allen größern Städten des Elsasses diejenige ist, die ihren Deutschen Ursprung noch am Wenigsten verläugnet. Ein recht anziehendes Schauspiel, bei dem ich besonders günstige Gele¬ genheit hatte, die Sitten und Neigungen des Volkes kennen zu lernen, ward mir bei meiner letzten Anwesenheit im Elsaß, indem ich der Feier des dreijährigen Bestandes der Französischen Republik (i>. Mai) beiwohnte. Sagt man übrigens den jetzigen Civil- und Militärbehörden des Elsasses, die nnr eine getreue Copie ihrer Herren und Meister in Paris sind, wol nicht mit Unrecht nach, daß sie im Innern ihres Herzens gerade keine recht ehrlichen Republikaner seien, so hielt man es denn doch für gerathen, vorläufig uoch „gute Miene zum bösen Spiel zu machen." So verkündeten denn anch in Straßburg große Anschlagzettel an den Straßenecken, daß die Civil-, Militair- und geistlichen Behörden in Gemein¬ schaft beschlossen hätten, am i. Mai den Jahrestag der Republik zu feiern, und ,alle Einwohner der Stadt eingeladen würden, Antheil zu nehmen. Am Morgen des Festtages, der diesmal auf einen Sonntag fiel, leider aber ziemlich ungünstig vom Wetter bedacht wurde, donnerten die Kanonen der Citadelle, läuteten die Glocken von allen Thürmen. Gegen 10 Uhr füllte der Platz vor dem Münster sich mit Gendarmen und Piquets der Infanterie; ein breites Spalier ward gebildet, und unter dem rauschenden Klang einer vollen Militairmnstf, wobei die Trompete» auf wahrhaft entsetzliche Weise schmetterten und die Tamboure mit aller Kraft ihrer Arme das Trommelfell bearbeiteten, nahte sich ein langer Zug aller Civil- nnd Militairpersonen der Stadt, voran 10—12 bärtige Sappenre eines Infanterie- Regiments. Nicht im Mindesten republikanisch sahen diese Diener der Republik aus, Ordenssterne bedeckten ihre Brust, Goldstickereien blitzten von ihren Unifor¬ men, reiche goldene Epauletts waren ans den Schultern. Mit affectirter Leichtig¬ keit und Grazie hüpften Alle einher und gaben dem Ganzen einen Anstrich einer gut geordneten Theaterprocession. Auch das feierliche Tedeum im Münster trug nicht den Charakter einer religiösen Handlung. Die Menge der Menschen, welche die weiten Räume anfüllte, schien das Ganze wie ein Spectakelstück zu betrachten. Man drängte und stieß sich, machte frivole Bemerkungen, musterte die Damen u. f. w. Nach Beendigung des Gottesdienstes entfernte sich der Zug aller Behörden, dem besonders auch die sehr zahlreiche« Officiere der starken Straßburger Gar¬ nison eine große Ausdehnung gaben, auf ebenso geräuschvolle Weise, wie er gekommen. In den Straßen wogte eine sehr große Menschenmenge, da viele Landleute aus der Umgegend gekommen waren, sich die Festlichkeiten zu beschauen-, meistens große, feste Gestalten, mit blauen Augen und blondem Haur, wie die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/353>, abgerufen am 27.07.2024.