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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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steht fest. Gar manche Vagabonden, ja selbst gemeine Verbrecher, haben sich unde!
der Maske politischer Flüchtlinge herumgetrieben, und die Gutmüthigkeit der
Straßburger ist oft bitter getäuscht worden. Man ist daher jetzt sehr mißtrauisch.
Augenblicklich befinden sich übrigens fast gar keine politischen Flüchtlinge aus den
letzten Jahren mehr im Elsaß. Die nicht große Zahl derselben, die überhaupt
noch in Frankreich weilt, ist von der Französischen Regierung neuerdings wieder in
die innern Departements vertheilt worden. Bisweilen treibt materielle Noth oder
auch moralische Verzweiflung, solche Unglückliche dazu, sich freiwillig auszuliefern,
obschon sie wissen, daß der Kerker sie ans lange Jahre umschließen wird; sie über¬
liefern sich dann selbst in Kehl den dort stets stationirten Badischen Gendarmen.
Ziemlich hänftg sieht man anch noch in Straßburg und im Elsaß Oestreichische
Deserteure aus den Garnisonen von Rastatt oder Mainz in voller Uniform an¬
kommen, um sich entweder von Havre nach Amerika einzuschiffen, oder, wenn ihnen
die Mittel hierzu fehlen, was hänfig der Fall ist, sich für die Fremdenlegion an¬
werben zu lassen. Meistens sind diese Oestreichischen Deserteure Polen, Italiener
oder Ungarn.

Häufig findet man auch ans den Logisankündigungen nnter dem "I^oxement
g, lousr" noch "Wohnung zu verleimen". Letzteres alte Deutsche Wort ist in
Straßburg statt vermiethen noch gebräuchlich. Besteht man sich diese zu ver-
miethenden Wohnungen, so wird, selbst wenn man die Wirthe Deutsch anredet,
die erste Antwort fast immer Französisch sein. Fährt man aber unbekümmert
darum immer fort, Deutsch zu reden, so sangen endlich anch die Vermiether an,
in ihrem Deutsch-Straßburger Dialekt zu antworten. Verstanden wird von den
gebornen Elsassem das Deutsche noch überall, gesprochen, wenn anch schlecht,
ebenfalls von den Meisten; auf dem Lande, besonders in dem Departement des
Niederrheins, spricht das Landvolk uoch stets unter sich Deutsch, und es giebt hier
große Dörfer, wo die alten Bauern noch kein Wort Französisch verstehen. Auch
in Straßburg sprechen die Dienstboten und niedern Arbeiter unter sich fast nur
Deutsch, und auch in einzelnen alten Bürgerfamilien bedient man sich desselben
noch als Hcmsspr-ache. Einzelne Französische Worte kommen aber sehr häufig
dazwischen schon vor. So wird z. B. die Anrede stets ,Mor>8wu,r" sein, wenn
auch später Deutsch darauf weiter geredet wird. In den Kaffeehäusern, im
Theater, auf den Gassen hört man in Straßburg sonst nur Französisch sprechen,
und auch die Kinder der höhern und mittlern Stände bedienen sich bei ihren
Spielen Französischer Worte. Auffallender Weise verstehen aber die Bauern und
Bürger in den Dörfern und kleinern Städten des Niederrheins selten das Fran¬
zösische zu lesen, wenn sie es auch sprechen können. Alle Provinzialzeitungen des
Elsasses, die auch mehr auf die mittlern und untern Stände berechnet sind, haben
daher neben ihren Französischen Spalten stets eine Deutsche Uebersetzung, wie
auch allen amtlichen Erlassen, die für das Landvolk berechnet sind, immer eine


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steht fest. Gar manche Vagabonden, ja selbst gemeine Verbrecher, haben sich unde!
der Maske politischer Flüchtlinge herumgetrieben, und die Gutmüthigkeit der
Straßburger ist oft bitter getäuscht worden. Man ist daher jetzt sehr mißtrauisch.
Augenblicklich befinden sich übrigens fast gar keine politischen Flüchtlinge aus den
letzten Jahren mehr im Elsaß. Die nicht große Zahl derselben, die überhaupt
noch in Frankreich weilt, ist von der Französischen Regierung neuerdings wieder in
die innern Departements vertheilt worden. Bisweilen treibt materielle Noth oder
auch moralische Verzweiflung, solche Unglückliche dazu, sich freiwillig auszuliefern,
obschon sie wissen, daß der Kerker sie ans lange Jahre umschließen wird; sie über¬
liefern sich dann selbst in Kehl den dort stets stationirten Badischen Gendarmen.
Ziemlich hänftg sieht man anch noch in Straßburg und im Elsaß Oestreichische
Deserteure aus den Garnisonen von Rastatt oder Mainz in voller Uniform an¬
kommen, um sich entweder von Havre nach Amerika einzuschiffen, oder, wenn ihnen
die Mittel hierzu fehlen, was hänfig der Fall ist, sich für die Fremdenlegion an¬
werben zu lassen. Meistens sind diese Oestreichischen Deserteure Polen, Italiener
oder Ungarn.

Häufig findet man auch ans den Logisankündigungen nnter dem „I^oxement
g, lousr" noch „Wohnung zu verleimen". Letzteres alte Deutsche Wort ist in
Straßburg statt vermiethen noch gebräuchlich. Besteht man sich diese zu ver-
miethenden Wohnungen, so wird, selbst wenn man die Wirthe Deutsch anredet,
die erste Antwort fast immer Französisch sein. Fährt man aber unbekümmert
darum immer fort, Deutsch zu reden, so sangen endlich anch die Vermiether an,
in ihrem Deutsch-Straßburger Dialekt zu antworten. Verstanden wird von den
gebornen Elsassem das Deutsche noch überall, gesprochen, wenn anch schlecht,
ebenfalls von den Meisten; auf dem Lande, besonders in dem Departement des
Niederrheins, spricht das Landvolk uoch stets unter sich Deutsch, und es giebt hier
große Dörfer, wo die alten Bauern noch kein Wort Französisch verstehen. Auch
in Straßburg sprechen die Dienstboten und niedern Arbeiter unter sich fast nur
Deutsch, und auch in einzelnen alten Bürgerfamilien bedient man sich desselben
noch als Hcmsspr-ache. Einzelne Französische Worte kommen aber sehr häufig
dazwischen schon vor. So wird z. B. die Anrede stets ,Mor>8wu,r" sein, wenn
auch später Deutsch darauf weiter geredet wird. In den Kaffeehäusern, im
Theater, auf den Gassen hört man in Straßburg sonst nur Französisch sprechen,
und auch die Kinder der höhern und mittlern Stände bedienen sich bei ihren
Spielen Französischer Worte. Auffallender Weise verstehen aber die Bauern und
Bürger in den Dörfern und kleinern Städten des Niederrheins selten das Fran¬
zösische zu lesen, wenn sie es auch sprechen können. Alle Provinzialzeitungen des
Elsasses, die auch mehr auf die mittlern und untern Stände berechnet sind, haben
daher neben ihren Französischen Spalten stets eine Deutsche Uebersetzung, wie
auch allen amtlichen Erlassen, die für das Landvolk berechnet sind, immer eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/351>, abgerufen am 27.07.2024.