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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Zor" des Kampfes. -- Auch im Uebrigen bezieht sich fast jedes Wort direct "vif
die damaligen Zustände. Die ""historische Versöhnung zwischen Marbod und
Hermann, die ihre bisherige Eifersucht aufgeben, wo es sich um die große Sache
der Nation handelt, ist nichts Anderes als ein Ausruf an Oestreich und Preußen,
der leider durch die Verkehrtheit der beiderseitigen Staatsmänner'getmischt wurde. --
Der kürzeste Proceß wird "ut den Verräther" am Deutschen Vaterland" gemacht,
die sich ans die Souverainetät ihrer Staaten beziehen und gege" de" Patrio¬
tismus a" das formale Völkerrecht appelliren. Es wird in der Schlacht el"
Rheinbundfürst gefangen genommen, Aristan, der Adler, der als Beherrscher eines
freien Staats das Recht in Anspruch nimmt, nach Belieben Bimdmsse zu schließe":


Ich weiß, Aristan, diese Denkart kenn' ich.
Du bist im Stand' und treibst mich in die Enge,
Fragst, wo und wann Germanien gewesen?
Ob in dem Mond? und zu der Riesen Zeiten?
lind was der Witz sonst ein die Hand Dir giebt;
Doch jetzo, ich versichre Dich, jetzt wirst Dn
Mich schnell begreifen, wie ich es gemeint:
Führt ihn hinweg und werft das Haupt ihm nieder! --

Trotz dieser ans die Gegenwart gerichtete" patriotische" Begeisterung, die
als eigentliche Seele das ganze Stück dnrchhancht, ist doch in den Formen wie
in der Gruppirung des Ganzen der Geist des Mittelalters sehr g"t festgehalten.
Zwar verletzt das Diminutiv ThuSchcn ""her an dem Klopstocksche" Bardenstyl
geschultes Ohr, und anch im Uebrigen ist die Sprache nicht altdeutsch, sondern
modern; aber das thut der Charakteristik keinen Abbruch. sowol die diploma¬
tischen Intriguen Hermann's, als die Schlachtscenen sind vortrefflich arrangirt, das
Gesetz der Spannung auf das Gewissenhafteste beobachtet, und das einzige Mal,
wo durch eine Cheruskische Alraune, die dem Heere des Varus im Walde begegnet,
an das Costum erinnert wird, ist die Wirkung auf die Stimmung wunderbar.

Zwar fällt "us bei Hermann die Kälte, die er dem guten Wille" seiner
Landsleute entgegenbringt, weil sie alle an die Höhe seines Hasses und seiner
Entschlossenheit nicht hinaufreichen, unangenehm aus, aber seiue Heldennatur wird'
dadurch doch nicht unterdrückt, und nicht ohne Absicht hat der Dichter gegen den
Schluß der Handlung mehrere Züge barbarischer Wildheit angebracht, die sonst
z"r Entwickelung nicht gerade nöthig wären, um dieses Bild zu ergänzen. --
Ein anderes Heldengemälde: Robert GniSkard, ist leider Fragment geblieben.
Was wir davon haben, ist vielversprechend.

Der Prinz von Homburg, das beste unter Kleists Stücken, wurde erst
im Jahre -1821 gedruckt. Der sittliche Conflict dieses Stücks ist der nämliche,
den Schiller in seinem "Kampf mit dem Drachen" darstellt. Die freie Helden¬
kraft enipört sich mit dem unmittelbare" Bewußtsein ihrer hoher" Berechtigung
gegen die hergebrachte sittliche Ordnung. Die heidnische Tragödie wußte für


Zor» des Kampfes. — Auch im Uebrigen bezieht sich fast jedes Wort direct »vif
die damaligen Zustände. Die »»historische Versöhnung zwischen Marbod und
Hermann, die ihre bisherige Eifersucht aufgeben, wo es sich um die große Sache
der Nation handelt, ist nichts Anderes als ein Ausruf an Oestreich und Preußen,
der leider durch die Verkehrtheit der beiderseitigen Staatsmänner'getmischt wurde. —
Der kürzeste Proceß wird »ut den Verräther» am Deutschen Vaterland« gemacht,
die sich ans die Souverainetät ihrer Staaten beziehen und gege» de» Patrio¬
tismus a» das formale Völkerrecht appelliren. Es wird in der Schlacht el»
Rheinbundfürst gefangen genommen, Aristan, der Adler, der als Beherrscher eines
freien Staats das Recht in Anspruch nimmt, nach Belieben Bimdmsse zu schließe»:


Ich weiß, Aristan, diese Denkart kenn' ich.
Du bist im Stand' und treibst mich in die Enge,
Fragst, wo und wann Germanien gewesen?
Ob in dem Mond? und zu der Riesen Zeiten?
lind was der Witz sonst ein die Hand Dir giebt;
Doch jetzo, ich versichre Dich, jetzt wirst Dn
Mich schnell begreifen, wie ich es gemeint:
Führt ihn hinweg und werft das Haupt ihm nieder! —

Trotz dieser ans die Gegenwart gerichtete» patriotische» Begeisterung, die
als eigentliche Seele das ganze Stück dnrchhancht, ist doch in den Formen wie
in der Gruppirung des Ganzen der Geist des Mittelalters sehr g»t festgehalten.
Zwar verletzt das Diminutiv ThuSchcn »»her an dem Klopstocksche» Bardenstyl
geschultes Ohr, und anch im Uebrigen ist die Sprache nicht altdeutsch, sondern
modern; aber das thut der Charakteristik keinen Abbruch. sowol die diploma¬
tischen Intriguen Hermann's, als die Schlachtscenen sind vortrefflich arrangirt, das
Gesetz der Spannung auf das Gewissenhafteste beobachtet, und das einzige Mal,
wo durch eine Cheruskische Alraune, die dem Heere des Varus im Walde begegnet,
an das Costum erinnert wird, ist die Wirkung auf die Stimmung wunderbar.

Zwar fällt »us bei Hermann die Kälte, die er dem guten Wille» seiner
Landsleute entgegenbringt, weil sie alle an die Höhe seines Hasses und seiner
Entschlossenheit nicht hinaufreichen, unangenehm aus, aber seiue Heldennatur wird'
dadurch doch nicht unterdrückt, und nicht ohne Absicht hat der Dichter gegen den
Schluß der Handlung mehrere Züge barbarischer Wildheit angebracht, die sonst
z»r Entwickelung nicht gerade nöthig wären, um dieses Bild zu ergänzen. —
Ein anderes Heldengemälde: Robert GniSkard, ist leider Fragment geblieben.
Was wir davon haben, ist vielversprechend.

Der Prinz von Homburg, das beste unter Kleists Stücken, wurde erst
im Jahre -1821 gedruckt. Der sittliche Conflict dieses Stücks ist der nämliche,
den Schiller in seinem „Kampf mit dem Drachen" darstellt. Die freie Helden¬
kraft enipört sich mit dem unmittelbare» Bewußtsein ihrer hoher» Berechtigung
gegen die hergebrachte sittliche Ordnung. Die heidnische Tragödie wußte für


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[0345] Zor» des Kampfes. — Auch im Uebrigen bezieht sich fast jedes Wort direct »vif die damaligen Zustände. Die »»historische Versöhnung zwischen Marbod und Hermann, die ihre bisherige Eifersucht aufgeben, wo es sich um die große Sache der Nation handelt, ist nichts Anderes als ein Ausruf an Oestreich und Preußen, der leider durch die Verkehrtheit der beiderseitigen Staatsmänner'getmischt wurde. — Der kürzeste Proceß wird »ut den Verräther» am Deutschen Vaterland« gemacht, die sich ans die Souverainetät ihrer Staaten beziehen und gege» de» Patrio¬ tismus a» das formale Völkerrecht appelliren. Es wird in der Schlacht el» Rheinbundfürst gefangen genommen, Aristan, der Adler, der als Beherrscher eines freien Staats das Recht in Anspruch nimmt, nach Belieben Bimdmsse zu schließe»: Ich weiß, Aristan, diese Denkart kenn' ich. Du bist im Stand' und treibst mich in die Enge, Fragst, wo und wann Germanien gewesen? Ob in dem Mond? und zu der Riesen Zeiten? lind was der Witz sonst ein die Hand Dir giebt; Doch jetzo, ich versichre Dich, jetzt wirst Dn Mich schnell begreifen, wie ich es gemeint: Führt ihn hinweg und werft das Haupt ihm nieder! — Trotz dieser ans die Gegenwart gerichtete» patriotische» Begeisterung, die als eigentliche Seele das ganze Stück dnrchhancht, ist doch in den Formen wie in der Gruppirung des Ganzen der Geist des Mittelalters sehr g»t festgehalten. Zwar verletzt das Diminutiv ThuSchcn »»her an dem Klopstocksche» Bardenstyl geschultes Ohr, und anch im Uebrigen ist die Sprache nicht altdeutsch, sondern modern; aber das thut der Charakteristik keinen Abbruch. sowol die diploma¬ tischen Intriguen Hermann's, als die Schlachtscenen sind vortrefflich arrangirt, das Gesetz der Spannung auf das Gewissenhafteste beobachtet, und das einzige Mal, wo durch eine Cheruskische Alraune, die dem Heere des Varus im Walde begegnet, an das Costum erinnert wird, ist die Wirkung auf die Stimmung wunderbar. Zwar fällt »us bei Hermann die Kälte, die er dem guten Wille» seiner Landsleute entgegenbringt, weil sie alle an die Höhe seines Hasses und seiner Entschlossenheit nicht hinaufreichen, unangenehm aus, aber seiue Heldennatur wird' dadurch doch nicht unterdrückt, und nicht ohne Absicht hat der Dichter gegen den Schluß der Handlung mehrere Züge barbarischer Wildheit angebracht, die sonst z»r Entwickelung nicht gerade nöthig wären, um dieses Bild zu ergänzen. — Ein anderes Heldengemälde: Robert GniSkard, ist leider Fragment geblieben. Was wir davon haben, ist vielversprechend. Der Prinz von Homburg, das beste unter Kleists Stücken, wurde erst im Jahre -1821 gedruckt. Der sittliche Conflict dieses Stücks ist der nämliche, den Schiller in seinem „Kampf mit dem Drachen" darstellt. Die freie Helden¬ kraft enipört sich mit dem unmittelbare» Bewußtsein ihrer hoher» Berechtigung gegen die hergebrachte sittliche Ordnung. Die heidnische Tragödie wußte für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/345>, abgerufen am 01.09.2024.