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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Zeit in gerechter Abneigung gegen die romantische Vermischung aller mögliche"
Stylarten ans eine strenge Unterscheidung deö Tons, wie er in der Tragödie und
in der Komödie anwendbar ist, gedrungen, vielleicht zu sehr verleitet durch Shake¬
speare'" Beispiel, der zwar die Gattungen nicht auseinanderhält, wol aber in
jedem seiner Stücke zwei verschiedene, schon dnrch den Rhythmus getrennte Formen
beobachtet. Bei Kleist ist es nun interessant, zu beobachten, wie die beiden Formen
auf eine zweckmäßige Weise sich einander nähern. Er hat sein Lustspiel, "der
zerbrochene Krug", in fünffüßigen Jamben geschrieben, und wenn man den noth¬
wendigen Einfluß des Stoffes auf die Sprache abrechnet, so ist die Form dessel¬
ben nicht wesentlich anders, als die seiner Tragödien. Dies scheint uus auch der
richtige Weg, das Theater zu eiuer gewissen Einheit zu idealisiren. Es kommt
darauf an, im Tragischen wie im Komischen jenes Maß zu beobachten, welches
der tragischen wie der komischen Wirkung keinen Eintrag thut. Shakespeare hat
dieses Maß keineswegs beobachtet, und daher machen seine Tragödie" doch ziem¬
lich ohne Unterschied den Eindruck, als ob eine Reihe köstlicher Poesien durch
gleichgiltige und stiefmütterlich behandelte Zwischcnscenen mit einander in Ver¬
bindung gesetzt wären. Auch sind viele seiner poetischen Stellen, die wir beim
Lesen vollkommen zu würdigen wissen, nicht für den unmittelbaren Eindruck der
Recitation berechnet, und bei verständigen Theatern ist man jetzt allmälig zu der
Einsicht gekommen, eine mäßige und schonende Umarbeitung der Sprache bei der
Aufführung für nothwendig zu halten. -- Kleist versteht es außerdem, trotz
dieser Gleichmäßigkeit deö Styls sür jede seiner Handlungen die ent¬
sprechende Grundfärbung zu treffen, und ist darin nur mit Schiller zu ver¬
gleichen. Das rüstige Kriegsleben im "Prinzen von Homburg", das Nieder¬
ländische Genre im "Dorfrichter Adam", die gesteigerte Sinnlichkeit in dem
bacchantischen Gemälde der "Peuthesilea" u. s. w., das Alles ist ganz vortrefflich
ausgedrückt trotz des gleichmäßigen Verses und der gebildeten, durchsichtigen
Sprache. Kleist giebt sich nie die unfruchtbare Mühe, sich an die zufälligen
Aeußerlichkeiten, an die historischen Curiositäten zu halten, er läßt seinen großen
Kurfürsten nicht im Jargon des siebzehnten Jahrhunderts sprechen, er coquettirt
bei seinen Griechischen Gestalten nicht mit Mythologischer Gelehrsamkeit, ja er
treibt die Kühnheit so weit, in seinem Prinzen von Homburg das poetische "Du"
mit der "Excellenz" und der "Durchlaucht" zu verbinden, und es gelingt ihm
vollkommen, eben weil er ein echter Dichter ist. Von dieser Seite verdient Kleist
das unbedingteste Lob und das ernsthafteste Studium jüngerer Dichter, und wenn
er hin und wieder bei dem gewöhnlichen Publicum dnrch die anscheinende Härte
und Kälte seines Styls anstößt, so ist das nur der Verweichlichung durch die
Schillersche Schule beizumessen. -- Wir gehe" jetzt zu den einzelnen Stücken über:

Der z c r b r o es e n e K r n g (-181 l) ist lange Zeit vom Theater fern geblieben.
Man glaubte/ daß die sorgfältige, gewissenhafte und bis ins Kleinste durchgear-


Grenzbote". U. I85l, 62

Zeit in gerechter Abneigung gegen die romantische Vermischung aller mögliche»
Stylarten ans eine strenge Unterscheidung deö Tons, wie er in der Tragödie und
in der Komödie anwendbar ist, gedrungen, vielleicht zu sehr verleitet durch Shake¬
speare'« Beispiel, der zwar die Gattungen nicht auseinanderhält, wol aber in
jedem seiner Stücke zwei verschiedene, schon dnrch den Rhythmus getrennte Formen
beobachtet. Bei Kleist ist es nun interessant, zu beobachten, wie die beiden Formen
auf eine zweckmäßige Weise sich einander nähern. Er hat sein Lustspiel, „der
zerbrochene Krug", in fünffüßigen Jamben geschrieben, und wenn man den noth¬
wendigen Einfluß des Stoffes auf die Sprache abrechnet, so ist die Form dessel¬
ben nicht wesentlich anders, als die seiner Tragödien. Dies scheint uus auch der
richtige Weg, das Theater zu eiuer gewissen Einheit zu idealisiren. Es kommt
darauf an, im Tragischen wie im Komischen jenes Maß zu beobachten, welches
der tragischen wie der komischen Wirkung keinen Eintrag thut. Shakespeare hat
dieses Maß keineswegs beobachtet, und daher machen seine Tragödie» doch ziem¬
lich ohne Unterschied den Eindruck, als ob eine Reihe köstlicher Poesien durch
gleichgiltige und stiefmütterlich behandelte Zwischcnscenen mit einander in Ver¬
bindung gesetzt wären. Auch sind viele seiner poetischen Stellen, die wir beim
Lesen vollkommen zu würdigen wissen, nicht für den unmittelbaren Eindruck der
Recitation berechnet, und bei verständigen Theatern ist man jetzt allmälig zu der
Einsicht gekommen, eine mäßige und schonende Umarbeitung der Sprache bei der
Aufführung für nothwendig zu halten. — Kleist versteht es außerdem, trotz
dieser Gleichmäßigkeit deö Styls sür jede seiner Handlungen die ent¬
sprechende Grundfärbung zu treffen, und ist darin nur mit Schiller zu ver¬
gleichen. Das rüstige Kriegsleben im „Prinzen von Homburg", das Nieder¬
ländische Genre im „Dorfrichter Adam", die gesteigerte Sinnlichkeit in dem
bacchantischen Gemälde der „Peuthesilea" u. s. w., das Alles ist ganz vortrefflich
ausgedrückt trotz des gleichmäßigen Verses und der gebildeten, durchsichtigen
Sprache. Kleist giebt sich nie die unfruchtbare Mühe, sich an die zufälligen
Aeußerlichkeiten, an die historischen Curiositäten zu halten, er läßt seinen großen
Kurfürsten nicht im Jargon des siebzehnten Jahrhunderts sprechen, er coquettirt
bei seinen Griechischen Gestalten nicht mit Mythologischer Gelehrsamkeit, ja er
treibt die Kühnheit so weit, in seinem Prinzen von Homburg das poetische „Du"
mit der „Excellenz" und der „Durchlaucht" zu verbinden, und es gelingt ihm
vollkommen, eben weil er ein echter Dichter ist. Von dieser Seite verdient Kleist
das unbedingteste Lob und das ernsthafteste Studium jüngerer Dichter, und wenn
er hin und wieder bei dem gewöhnlichen Publicum dnrch die anscheinende Härte
und Kälte seines Styls anstößt, so ist das nur der Verweichlichung durch die
Schillersche Schule beizumessen. — Wir gehe» jetzt zu den einzelnen Stücken über:

Der z c r b r o es e n e K r n g (-181 l) ist lange Zeit vom Theater fern geblieben.
Man glaubte/ daß die sorgfältige, gewissenhafte und bis ins Kleinste durchgear-


Grenzbote». U. I85l, 62
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[0341] Zeit in gerechter Abneigung gegen die romantische Vermischung aller mögliche» Stylarten ans eine strenge Unterscheidung deö Tons, wie er in der Tragödie und in der Komödie anwendbar ist, gedrungen, vielleicht zu sehr verleitet durch Shake¬ speare'« Beispiel, der zwar die Gattungen nicht auseinanderhält, wol aber in jedem seiner Stücke zwei verschiedene, schon dnrch den Rhythmus getrennte Formen beobachtet. Bei Kleist ist es nun interessant, zu beobachten, wie die beiden Formen auf eine zweckmäßige Weise sich einander nähern. Er hat sein Lustspiel, „der zerbrochene Krug", in fünffüßigen Jamben geschrieben, und wenn man den noth¬ wendigen Einfluß des Stoffes auf die Sprache abrechnet, so ist die Form dessel¬ ben nicht wesentlich anders, als die seiner Tragödien. Dies scheint uus auch der richtige Weg, das Theater zu eiuer gewissen Einheit zu idealisiren. Es kommt darauf an, im Tragischen wie im Komischen jenes Maß zu beobachten, welches der tragischen wie der komischen Wirkung keinen Eintrag thut. Shakespeare hat dieses Maß keineswegs beobachtet, und daher machen seine Tragödie» doch ziem¬ lich ohne Unterschied den Eindruck, als ob eine Reihe köstlicher Poesien durch gleichgiltige und stiefmütterlich behandelte Zwischcnscenen mit einander in Ver¬ bindung gesetzt wären. Auch sind viele seiner poetischen Stellen, die wir beim Lesen vollkommen zu würdigen wissen, nicht für den unmittelbaren Eindruck der Recitation berechnet, und bei verständigen Theatern ist man jetzt allmälig zu der Einsicht gekommen, eine mäßige und schonende Umarbeitung der Sprache bei der Aufführung für nothwendig zu halten. — Kleist versteht es außerdem, trotz dieser Gleichmäßigkeit deö Styls sür jede seiner Handlungen die ent¬ sprechende Grundfärbung zu treffen, und ist darin nur mit Schiller zu ver¬ gleichen. Das rüstige Kriegsleben im „Prinzen von Homburg", das Nieder¬ ländische Genre im „Dorfrichter Adam", die gesteigerte Sinnlichkeit in dem bacchantischen Gemälde der „Peuthesilea" u. s. w., das Alles ist ganz vortrefflich ausgedrückt trotz des gleichmäßigen Verses und der gebildeten, durchsichtigen Sprache. Kleist giebt sich nie die unfruchtbare Mühe, sich an die zufälligen Aeußerlichkeiten, an die historischen Curiositäten zu halten, er läßt seinen großen Kurfürsten nicht im Jargon des siebzehnten Jahrhunderts sprechen, er coquettirt bei seinen Griechischen Gestalten nicht mit Mythologischer Gelehrsamkeit, ja er treibt die Kühnheit so weit, in seinem Prinzen von Homburg das poetische „Du" mit der „Excellenz" und der „Durchlaucht" zu verbinden, und es gelingt ihm vollkommen, eben weil er ein echter Dichter ist. Von dieser Seite verdient Kleist das unbedingteste Lob und das ernsthafteste Studium jüngerer Dichter, und wenn er hin und wieder bei dem gewöhnlichen Publicum dnrch die anscheinende Härte und Kälte seines Styls anstößt, so ist das nur der Verweichlichung durch die Schillersche Schule beizumessen. — Wir gehe» jetzt zu den einzelnen Stücken über: Der z c r b r o es e n e K r n g (-181 l) ist lange Zeit vom Theater fern geblieben. Man glaubte/ daß die sorgfältige, gewissenhafte und bis ins Kleinste durchgear- Grenzbote». U. I85l, 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/341>, abgerufen am 01.09.2024.