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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Die düstere Stimmung seiner Seele gewann dnrch den Bruch in allen
öffentlichen Verhältnissen eine ernstere Bedeutung. Das Unglück Deutschlands
gab der suchenden Melancholie einen wirtlichen und sehr ausreichenden Gegen¬
stand. Auch hier kam nach einem tiefen Gesetz der Geschichte die innere Ent¬
wickelung des Deutschen Geistes der äußern Nothwendigkeit entgegen. Es war
nicht blos die unmittelbare Erfahrung, welche das Deutsche Weltbürgerthum be¬
kehrte; diese Bekehrung war vielmehr der Ausgang, auf den die Unklarheit des
Freiheitsdranges nothwendig führen mußte. Das rastlose Vagabondiren in dem
orbis pietus aller Nationen, um irgendwo oder in allen zugleich jenes Ideal zu
finden, das man in seinen Träumen hegte, mußte endlich zur Abspannung und
zu der demüthigenden Erkenntniß führen, daß man zuerst in der Nähe hätte
suchen sollen. Die Griechischen Götter, die Gothischen Heiligenbilder, die nordi¬
schen Niesen und Zwerge, der Blnthenrausch der Orientalischen Phantasie, das
Alles wollte sich nicht mit einander vertragen. Aus ihrer natürlichen Umgebung
gerissen und in eine fremdartige Welt verpflanzt, bekamen alle diese Gestalten
einen geheimnißvollen und unheimlichen Ausdruck, der eigentlich gar nicht zu
ihrem Wesen gehörte. Die holdselige Griechische Göttin wird im romantischen
Venusberg zu einem nächtlichen Teufelsspuk. Umgeben von diesen Geistern, die
man heraufbeschworen hatte, ohne sie verstehen und ohne sie bannen zu können,
erinnerte man sich an die früheste" Eindrücke der Kindheit; man schlug ein Kreuz,
betete ein Ave Maria nud floh in eine heimliche Gothische Kapelle, um in der
Beschränktheit der heimischen Penaten Schutz gegen die verwirrenden Eindrücke
zu suchen, deren man nicht mehr Herr werden konnte. Ein specifisches Deutsch-
thum und ein specifisches Christenthum wurde auf den Straßen verkündigt, wie
weder das Eine noch das Ändere je in der Welt existirt hatte. Man sammelte
die Deutschen Volkslieder und ahmte sie nach, wie es Walter Scott bei den
Engländern that. Man führte die Poesie der Spinnstuben in die feine Gesell¬
schaft ein; man sammelte die Heiligenbilder der Rheinisch-Byzantischen Schule, die
schon, dnrch ihre wunderliche Bezeichnung andeutete, was es mit diesem specifischen
Deutschthume für eine Bcwandmß habe. Man emancipirte den nationalen Teufel
und die christlichen Hexen. Man reinigte die Sprache auf eine so gewaltsame
Weise durch Entlehnungen der alten Formen, daß sie vollständig den Eindruck
einer ausländischen machte, und man vertiefte sich mit großer Andacht und Ehr¬
erbietung in den Geist des Deutschen Volks, aus dem man bis dahin nicht viel
hatte machen wollen. Diese Umwandlung erfolgte ziemlich gleichzeitig in der ge¬
stimmten Romantik. Görres bekehrte sich von Wischnu und Brama zu Christus,
Schlegel von der heidnischen Lucinde zu der mürrischen Muse des christlich-Germa¬
nischen Rechts, und so alle Uebrigen. Auch Fichte, der noch in seinen Grund-
zügen des gegenwärtigen Zeitalters dem freien, sonneverwandteu Geiste das Recht
vindicirt hatte, über die engen Schranken der Nationalität hinauszugehen, fand


Die düstere Stimmung seiner Seele gewann dnrch den Bruch in allen
öffentlichen Verhältnissen eine ernstere Bedeutung. Das Unglück Deutschlands
gab der suchenden Melancholie einen wirtlichen und sehr ausreichenden Gegen¬
stand. Auch hier kam nach einem tiefen Gesetz der Geschichte die innere Ent¬
wickelung des Deutschen Geistes der äußern Nothwendigkeit entgegen. Es war
nicht blos die unmittelbare Erfahrung, welche das Deutsche Weltbürgerthum be¬
kehrte; diese Bekehrung war vielmehr der Ausgang, auf den die Unklarheit des
Freiheitsdranges nothwendig führen mußte. Das rastlose Vagabondiren in dem
orbis pietus aller Nationen, um irgendwo oder in allen zugleich jenes Ideal zu
finden, das man in seinen Träumen hegte, mußte endlich zur Abspannung und
zu der demüthigenden Erkenntniß führen, daß man zuerst in der Nähe hätte
suchen sollen. Die Griechischen Götter, die Gothischen Heiligenbilder, die nordi¬
schen Niesen und Zwerge, der Blnthenrausch der Orientalischen Phantasie, das
Alles wollte sich nicht mit einander vertragen. Aus ihrer natürlichen Umgebung
gerissen und in eine fremdartige Welt verpflanzt, bekamen alle diese Gestalten
einen geheimnißvollen und unheimlichen Ausdruck, der eigentlich gar nicht zu
ihrem Wesen gehörte. Die holdselige Griechische Göttin wird im romantischen
Venusberg zu einem nächtlichen Teufelsspuk. Umgeben von diesen Geistern, die
man heraufbeschworen hatte, ohne sie verstehen und ohne sie bannen zu können,
erinnerte man sich an die früheste» Eindrücke der Kindheit; man schlug ein Kreuz,
betete ein Ave Maria nud floh in eine heimliche Gothische Kapelle, um in der
Beschränktheit der heimischen Penaten Schutz gegen die verwirrenden Eindrücke
zu suchen, deren man nicht mehr Herr werden konnte. Ein specifisches Deutsch-
thum und ein specifisches Christenthum wurde auf den Straßen verkündigt, wie
weder das Eine noch das Ändere je in der Welt existirt hatte. Man sammelte
die Deutschen Volkslieder und ahmte sie nach, wie es Walter Scott bei den
Engländern that. Man führte die Poesie der Spinnstuben in die feine Gesell¬
schaft ein; man sammelte die Heiligenbilder der Rheinisch-Byzantischen Schule, die
schon, dnrch ihre wunderliche Bezeichnung andeutete, was es mit diesem specifischen
Deutschthume für eine Bcwandmß habe. Man emancipirte den nationalen Teufel
und die christlichen Hexen. Man reinigte die Sprache auf eine so gewaltsame
Weise durch Entlehnungen der alten Formen, daß sie vollständig den Eindruck
einer ausländischen machte, und man vertiefte sich mit großer Andacht und Ehr¬
erbietung in den Geist des Deutschen Volks, aus dem man bis dahin nicht viel
hatte machen wollen. Diese Umwandlung erfolgte ziemlich gleichzeitig in der ge¬
stimmten Romantik. Görres bekehrte sich von Wischnu und Brama zu Christus,
Schlegel von der heidnischen Lucinde zu der mürrischen Muse des christlich-Germa¬
nischen Rechts, und so alle Uebrigen. Auch Fichte, der noch in seinen Grund-
zügen des gegenwärtigen Zeitalters dem freien, sonneverwandteu Geiste das Recht
vindicirt hatte, über die engen Schranken der Nationalität hinauszugehen, fand


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[0337] Die düstere Stimmung seiner Seele gewann dnrch den Bruch in allen öffentlichen Verhältnissen eine ernstere Bedeutung. Das Unglück Deutschlands gab der suchenden Melancholie einen wirtlichen und sehr ausreichenden Gegen¬ stand. Auch hier kam nach einem tiefen Gesetz der Geschichte die innere Ent¬ wickelung des Deutschen Geistes der äußern Nothwendigkeit entgegen. Es war nicht blos die unmittelbare Erfahrung, welche das Deutsche Weltbürgerthum be¬ kehrte; diese Bekehrung war vielmehr der Ausgang, auf den die Unklarheit des Freiheitsdranges nothwendig führen mußte. Das rastlose Vagabondiren in dem orbis pietus aller Nationen, um irgendwo oder in allen zugleich jenes Ideal zu finden, das man in seinen Träumen hegte, mußte endlich zur Abspannung und zu der demüthigenden Erkenntniß führen, daß man zuerst in der Nähe hätte suchen sollen. Die Griechischen Götter, die Gothischen Heiligenbilder, die nordi¬ schen Niesen und Zwerge, der Blnthenrausch der Orientalischen Phantasie, das Alles wollte sich nicht mit einander vertragen. Aus ihrer natürlichen Umgebung gerissen und in eine fremdartige Welt verpflanzt, bekamen alle diese Gestalten einen geheimnißvollen und unheimlichen Ausdruck, der eigentlich gar nicht zu ihrem Wesen gehörte. Die holdselige Griechische Göttin wird im romantischen Venusberg zu einem nächtlichen Teufelsspuk. Umgeben von diesen Geistern, die man heraufbeschworen hatte, ohne sie verstehen und ohne sie bannen zu können, erinnerte man sich an die früheste» Eindrücke der Kindheit; man schlug ein Kreuz, betete ein Ave Maria nud floh in eine heimliche Gothische Kapelle, um in der Beschränktheit der heimischen Penaten Schutz gegen die verwirrenden Eindrücke zu suchen, deren man nicht mehr Herr werden konnte. Ein specifisches Deutsch- thum und ein specifisches Christenthum wurde auf den Straßen verkündigt, wie weder das Eine noch das Ändere je in der Welt existirt hatte. Man sammelte die Deutschen Volkslieder und ahmte sie nach, wie es Walter Scott bei den Engländern that. Man führte die Poesie der Spinnstuben in die feine Gesell¬ schaft ein; man sammelte die Heiligenbilder der Rheinisch-Byzantischen Schule, die schon, dnrch ihre wunderliche Bezeichnung andeutete, was es mit diesem specifischen Deutschthume für eine Bcwandmß habe. Man emancipirte den nationalen Teufel und die christlichen Hexen. Man reinigte die Sprache auf eine so gewaltsame Weise durch Entlehnungen der alten Formen, daß sie vollständig den Eindruck einer ausländischen machte, und man vertiefte sich mit großer Andacht und Ehr¬ erbietung in den Geist des Deutschen Volks, aus dem man bis dahin nicht viel hatte machen wollen. Diese Umwandlung erfolgte ziemlich gleichzeitig in der ge¬ stimmten Romantik. Görres bekehrte sich von Wischnu und Brama zu Christus, Schlegel von der heidnischen Lucinde zu der mürrischen Muse des christlich-Germa¬ nischen Rechts, und so alle Uebrigen. Auch Fichte, der noch in seinen Grund- zügen des gegenwärtigen Zeitalters dem freien, sonneverwandteu Geiste das Recht vindicirt hatte, über die engen Schranken der Nationalität hinauszugehen, fand

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/337>, abgerufen am 01.09.2024.