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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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von Außen entgegenkomme", gerade wie es mit der eigentlichen Gespensterfurcht
der Fall ist. Solche wüste Geschichten, wie "die heilige Cäcilie," "der Zweikampf,"
"das Bettelweib von Lncarno" u. s. w., machen nicht den Eindruck der Frende
und des Behagens an dem wildromantischen Gegenstand, wie es z. B. bei
Hoffmann immer der Fall ist, sondern den Eindruck einer gewissen Angst, die
sich hinter anscheinender Kälte versteckt. Auch in seinen großem Werken fehlt
dieser unheimliche Eindruck nicht. Mitten im Rausch der herrlichsten Poesie durch¬
bebt uns oft eine eiskalte Empfindung; wir werden um so mehr verstimmt, weil
wir dennoch gefesselt bleiben. Im "Kohlhaas" verläuft der verständige und
tief empfundene Grundgedanke plötzlich in einen abenteuerlichen, unbehaglichen
Irrgarten der Mystik; in "Käthchen" und der "Pentheftlea" wird der schönste
Zauber der Liebe an einen krankhaften Gegenstand verschwendet; dort erscheint sie
hündisch, hier tigerartig bacchantisch; in der "Herrmannsschlacht" zieht sich der
edle Heldenzorn in einem bittern verbissenen Grimm zusammen; in "Prinz von
Homburg" mischt sich das fremdartige Getändel einer somnambulen unreifen
Stimmung in den Ernst des sittlichen Conflict's, und diese Fehler sind nicht
etwa, wie es Tieck voraussetzt, accidentell, sie entspringen aus dem Innersten seiner
Gedanken und sind tief in den Organismus seiner Gestalten verwachsen; jeder
Schnitt würde ihren Lebensnerv auf's Tödtlichste verletzen.

Selbst in seiner Leidenschaft für die Wahrheit, in seinem Haß gegen die
Phrase ist etwas Reflectirtes; es ist wenigstens eine seltsame Objectivität, die sich
auch in das Verworrene und in das Unschöne vertieft und zum Theil darin ver¬
liert. Von einem gewissen ästhetischen Standpunkt unsrer Zeit, der sich mehr
dnrch das Raffinement seiner Principien, als durch die Bestimmtheit und Ge¬
wissenhaftigkeit derselben auszeichnet, werden solche Scenen, wie die Todesfurcht
des Prinzen von Homburg, oder die scheußliche Ermordung des Ventidins durch
Thusnelde, des Achilles durch Penthefllea, oder das Auspeitschen Katheders durch
ihren Geliebten, oder, um in's Komische überzugehen, jene Anzeige der Marquise
von O., sie wolle Denjenigen heirathen, der sich als Vater ihres Kindes legiti-
mirte, als Züge wunderbarer Kühnheit und Freiheit bewundert. Wir können
diese Bewunderung nicht theilen, anch wenn man für jeden dieser Züge eine ana¬
loge Geschichte aus dem wirklichen Leben auffinden wollte, denn in der Kunst ist
nur das Schöne und Begreifliche wahr, wie uur das Wahre schön ist.

Sehr Vieles zu diesen Verirrungen mag der Umstand beigetragen haben,
daß Kleist ein einsamer Poet war. Er hat das Theater wenig gekannt, zu
welchem ihn doch sein starker realistischer Trieb hindrängen mußte. Gerade ein
kräftiges Gemüth ist geneigt, bei unklaren Vorstellungen über die Form sich dnrch
seine Reflexionen oder auch durch seine Empfindungen in's Maßlose treiben zu
lassen, und je concentrirter seine Anlage, desto schreiender wird der sich in ihr
ergebende Mißlaut.


von Außen entgegenkomme», gerade wie es mit der eigentlichen Gespensterfurcht
der Fall ist. Solche wüste Geschichten, wie „die heilige Cäcilie," „der Zweikampf,"
„das Bettelweib von Lncarno" u. s. w., machen nicht den Eindruck der Frende
und des Behagens an dem wildromantischen Gegenstand, wie es z. B. bei
Hoffmann immer der Fall ist, sondern den Eindruck einer gewissen Angst, die
sich hinter anscheinender Kälte versteckt. Auch in seinen großem Werken fehlt
dieser unheimliche Eindruck nicht. Mitten im Rausch der herrlichsten Poesie durch¬
bebt uns oft eine eiskalte Empfindung; wir werden um so mehr verstimmt, weil
wir dennoch gefesselt bleiben. Im „Kohlhaas" verläuft der verständige und
tief empfundene Grundgedanke plötzlich in einen abenteuerlichen, unbehaglichen
Irrgarten der Mystik; in „Käthchen" und der „Pentheftlea" wird der schönste
Zauber der Liebe an einen krankhaften Gegenstand verschwendet; dort erscheint sie
hündisch, hier tigerartig bacchantisch; in der „Herrmannsschlacht" zieht sich der
edle Heldenzorn in einem bittern verbissenen Grimm zusammen; in „Prinz von
Homburg" mischt sich das fremdartige Getändel einer somnambulen unreifen
Stimmung in den Ernst des sittlichen Conflict's, und diese Fehler sind nicht
etwa, wie es Tieck voraussetzt, accidentell, sie entspringen aus dem Innersten seiner
Gedanken und sind tief in den Organismus seiner Gestalten verwachsen; jeder
Schnitt würde ihren Lebensnerv auf's Tödtlichste verletzen.

Selbst in seiner Leidenschaft für die Wahrheit, in seinem Haß gegen die
Phrase ist etwas Reflectirtes; es ist wenigstens eine seltsame Objectivität, die sich
auch in das Verworrene und in das Unschöne vertieft und zum Theil darin ver¬
liert. Von einem gewissen ästhetischen Standpunkt unsrer Zeit, der sich mehr
dnrch das Raffinement seiner Principien, als durch die Bestimmtheit und Ge¬
wissenhaftigkeit derselben auszeichnet, werden solche Scenen, wie die Todesfurcht
des Prinzen von Homburg, oder die scheußliche Ermordung des Ventidins durch
Thusnelde, des Achilles durch Penthefllea, oder das Auspeitschen Katheders durch
ihren Geliebten, oder, um in's Komische überzugehen, jene Anzeige der Marquise
von O., sie wolle Denjenigen heirathen, der sich als Vater ihres Kindes legiti-
mirte, als Züge wunderbarer Kühnheit und Freiheit bewundert. Wir können
diese Bewunderung nicht theilen, anch wenn man für jeden dieser Züge eine ana¬
loge Geschichte aus dem wirklichen Leben auffinden wollte, denn in der Kunst ist
nur das Schöne und Begreifliche wahr, wie uur das Wahre schön ist.

Sehr Vieles zu diesen Verirrungen mag der Umstand beigetragen haben,
daß Kleist ein einsamer Poet war. Er hat das Theater wenig gekannt, zu
welchem ihn doch sein starker realistischer Trieb hindrängen mußte. Gerade ein
kräftiges Gemüth ist geneigt, bei unklaren Vorstellungen über die Form sich dnrch
seine Reflexionen oder auch durch seine Empfindungen in's Maßlose treiben zu
lassen, und je concentrirter seine Anlage, desto schreiender wird der sich in ihr
ergebende Mißlaut.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/336>, abgerufen am 06.10.2024.