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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Convenienz angehört. Gerade dieses specifisch Weibliche will unsre Gräfin nicht
allein erhalten, sondern sie will es auf den Thron des Lebens erheben, wie es
in der katholischen Kirche auf dem Thron des Himmels sitzt. Eben darum ist
ihre Befreiung des Weibes exclusiv, sie bezieht sich nur auf schöne Seelen "ud
Edelfrauen, die das specifisch Weibliche in ihrer Erscheinung zur vollendeten Form
entfaltet haben; Köchinnen und Bürgermädchen werden nicht emancipirt, ihre
rothen Hände und plumpen Füße erlauben es nicht. Das Leben soll sich durch
den Einfluß der Frauen verklären; die einseitigen, schroffen und unschönen Ten¬
denzen der Politik, der Akademie, des Rechts und der Kunst sollen um die Otto¬
mane einer schönen Seele kreisen, wie um einen Focus, und in ihm sich ver¬
mitteln; Politik und Religion sollen im Salon verhandelt werden, die Philo¬
sophie und Kunst als ihre höchste Aufgabe ansehen, an dem holden Räthsel eines
genialen Weibes ahnend herumzutasten. Wenn die Launen und Stimmungen
eines hysterischen genialen Weibes die Welt regieren, wenn Herr v. Nadvwitz
das düstere und langweilige Gewebe der Politik in einen Rebus zusammengefaßt
haben wird, an welchem ein feines Gemüth sich ahnend versucht, dann wird die
goldene Zeit für unsre Dichterin gekommen sein, denn sie wird ihre souveraine
Melancholie als die Melancholie der ganzen Welt Gott ins Gesicht werfen kön¬
nen, da sie die ganze Welt in ihrem Strickbeutel trägt.

Da aber eine solche Lösung des schönen Räthsels zu lauge auf sich warten
lassen könnte, liegt der andere Ausweg nahe: die ganze Fülle unverstandener
Sehnsucht und gegenstandloser, aber tiefer Seufzer in die Brust eines Wesens
zu senken, welches man sich gerade so vorstellt, wie man es braucht. Alle soge¬
nannten genialen Weiber haben Momente religiöser Ekstase, Augenblicke, in de¬
nen sie einen Gott suchen, der ihnen eigen angehöre. Das ist der Fall bei den
erdichteten Figuren dieser Art wie bei den wirklichen, bei der Lälia, der Lucinde,
der Wally, wie bei der Nadel und Bettiue. Auch die Stellung einer büßende"
Magdalene hat etwas Anziehendes und Reizendes, wenn sie mit einer passenden
Staffage umgeben ist. Freilich siud es nur Ausnahmsfalle, in denen die Bekeh¬
rung so weit getrieben wird, daß sie zu einer Ostentation vor dem Publicmu
führt, wie bei Frau v. Krüdener, deren Valerie (1804) in vielen Beziehungen
an die Novellen der Gräfin Hahn erinnert; aber auch in solchen Dingen thut
die Mode viel, und es ist nicht zu läugnen, daß gerade jetzt bei geistreichen Damen
eine intensive Religiosität eben so wieder zum guten Ton gehört, wie in frühern
Tagen eine starke Freigeisterei. Wir haben an der Johanna von Vandreuil vor
einiger Zeit ein Beispiel dieser Erweckung gezeichnet.

Die Wichtigkeit, die man alsdann geneigt ist, einer derartigen Veränderung
der Stimmung und Laune beizumessen, entspringt zum Theil ans dem unwahren
Verhältniß, in welchem sich der Ton des Umgangs zwischen Männern und Frauen
in unsern Tagen bewegt. Die Huldigung, die man den Frauen in chevaleresken


Convenienz angehört. Gerade dieses specifisch Weibliche will unsre Gräfin nicht
allein erhalten, sondern sie will es auf den Thron des Lebens erheben, wie es
in der katholischen Kirche auf dem Thron des Himmels sitzt. Eben darum ist
ihre Befreiung des Weibes exclusiv, sie bezieht sich nur auf schöne Seelen »ud
Edelfrauen, die das specifisch Weibliche in ihrer Erscheinung zur vollendeten Form
entfaltet haben; Köchinnen und Bürgermädchen werden nicht emancipirt, ihre
rothen Hände und plumpen Füße erlauben es nicht. Das Leben soll sich durch
den Einfluß der Frauen verklären; die einseitigen, schroffen und unschönen Ten¬
denzen der Politik, der Akademie, des Rechts und der Kunst sollen um die Otto¬
mane einer schönen Seele kreisen, wie um einen Focus, und in ihm sich ver¬
mitteln; Politik und Religion sollen im Salon verhandelt werden, die Philo¬
sophie und Kunst als ihre höchste Aufgabe ansehen, an dem holden Räthsel eines
genialen Weibes ahnend herumzutasten. Wenn die Launen und Stimmungen
eines hysterischen genialen Weibes die Welt regieren, wenn Herr v. Nadvwitz
das düstere und langweilige Gewebe der Politik in einen Rebus zusammengefaßt
haben wird, an welchem ein feines Gemüth sich ahnend versucht, dann wird die
goldene Zeit für unsre Dichterin gekommen sein, denn sie wird ihre souveraine
Melancholie als die Melancholie der ganzen Welt Gott ins Gesicht werfen kön¬
nen, da sie die ganze Welt in ihrem Strickbeutel trägt.

Da aber eine solche Lösung des schönen Räthsels zu lauge auf sich warten
lassen könnte, liegt der andere Ausweg nahe: die ganze Fülle unverstandener
Sehnsucht und gegenstandloser, aber tiefer Seufzer in die Brust eines Wesens
zu senken, welches man sich gerade so vorstellt, wie man es braucht. Alle soge¬
nannten genialen Weiber haben Momente religiöser Ekstase, Augenblicke, in de¬
nen sie einen Gott suchen, der ihnen eigen angehöre. Das ist der Fall bei den
erdichteten Figuren dieser Art wie bei den wirklichen, bei der Lälia, der Lucinde,
der Wally, wie bei der Nadel und Bettiue. Auch die Stellung einer büßende»
Magdalene hat etwas Anziehendes und Reizendes, wenn sie mit einer passenden
Staffage umgeben ist. Freilich siud es nur Ausnahmsfalle, in denen die Bekeh¬
rung so weit getrieben wird, daß sie zu einer Ostentation vor dem Publicmu
führt, wie bei Frau v. Krüdener, deren Valerie (1804) in vielen Beziehungen
an die Novellen der Gräfin Hahn erinnert; aber auch in solchen Dingen thut
die Mode viel, und es ist nicht zu läugnen, daß gerade jetzt bei geistreichen Damen
eine intensive Religiosität eben so wieder zum guten Ton gehört, wie in frühern
Tagen eine starke Freigeisterei. Wir haben an der Johanna von Vandreuil vor
einiger Zeit ein Beispiel dieser Erweckung gezeichnet.

Die Wichtigkeit, die man alsdann geneigt ist, einer derartigen Veränderung
der Stimmung und Laune beizumessen, entspringt zum Theil ans dem unwahren
Verhältniß, in welchem sich der Ton des Umgangs zwischen Männern und Frauen
in unsern Tagen bewegt. Die Huldigung, die man den Frauen in chevaleresken


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[0312] Convenienz angehört. Gerade dieses specifisch Weibliche will unsre Gräfin nicht allein erhalten, sondern sie will es auf den Thron des Lebens erheben, wie es in der katholischen Kirche auf dem Thron des Himmels sitzt. Eben darum ist ihre Befreiung des Weibes exclusiv, sie bezieht sich nur auf schöne Seelen »ud Edelfrauen, die das specifisch Weibliche in ihrer Erscheinung zur vollendeten Form entfaltet haben; Köchinnen und Bürgermädchen werden nicht emancipirt, ihre rothen Hände und plumpen Füße erlauben es nicht. Das Leben soll sich durch den Einfluß der Frauen verklären; die einseitigen, schroffen und unschönen Ten¬ denzen der Politik, der Akademie, des Rechts und der Kunst sollen um die Otto¬ mane einer schönen Seele kreisen, wie um einen Focus, und in ihm sich ver¬ mitteln; Politik und Religion sollen im Salon verhandelt werden, die Philo¬ sophie und Kunst als ihre höchste Aufgabe ansehen, an dem holden Räthsel eines genialen Weibes ahnend herumzutasten. Wenn die Launen und Stimmungen eines hysterischen genialen Weibes die Welt regieren, wenn Herr v. Nadvwitz das düstere und langweilige Gewebe der Politik in einen Rebus zusammengefaßt haben wird, an welchem ein feines Gemüth sich ahnend versucht, dann wird die goldene Zeit für unsre Dichterin gekommen sein, denn sie wird ihre souveraine Melancholie als die Melancholie der ganzen Welt Gott ins Gesicht werfen kön¬ nen, da sie die ganze Welt in ihrem Strickbeutel trägt. Da aber eine solche Lösung des schönen Räthsels zu lauge auf sich warten lassen könnte, liegt der andere Ausweg nahe: die ganze Fülle unverstandener Sehnsucht und gegenstandloser, aber tiefer Seufzer in die Brust eines Wesens zu senken, welches man sich gerade so vorstellt, wie man es braucht. Alle soge¬ nannten genialen Weiber haben Momente religiöser Ekstase, Augenblicke, in de¬ nen sie einen Gott suchen, der ihnen eigen angehöre. Das ist der Fall bei den erdichteten Figuren dieser Art wie bei den wirklichen, bei der Lälia, der Lucinde, der Wally, wie bei der Nadel und Bettiue. Auch die Stellung einer büßende» Magdalene hat etwas Anziehendes und Reizendes, wenn sie mit einer passenden Staffage umgeben ist. Freilich siud es nur Ausnahmsfalle, in denen die Bekeh¬ rung so weit getrieben wird, daß sie zu einer Ostentation vor dem Publicmu führt, wie bei Frau v. Krüdener, deren Valerie (1804) in vielen Beziehungen an die Novellen der Gräfin Hahn erinnert; aber auch in solchen Dingen thut die Mode viel, und es ist nicht zu läugnen, daß gerade jetzt bei geistreichen Damen eine intensive Religiosität eben so wieder zum guten Ton gehört, wie in frühern Tagen eine starke Freigeisterei. Wir haben an der Johanna von Vandreuil vor einiger Zeit ein Beispiel dieser Erweckung gezeichnet. Die Wichtigkeit, die man alsdann geneigt ist, einer derartigen Veränderung der Stimmung und Laune beizumessen, entspringt zum Theil ans dem unwahren Verhältniß, in welchem sich der Ton des Umgangs zwischen Männern und Frauen in unsern Tagen bewegt. Die Huldigung, die man den Frauen in chevaleresken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/312>, abgerufen am 28.07.2024.