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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Motiv ist, während der Manu sich stets in eine objective Thätigkeit versenkt. So
kann die Dichterin Morgen- und Abendland, Süden und Norden mit dem sinnig¬
sten Blick von der Welt durchschauen, und sie wird doch bei dem größten Farben-
reichthum in ihren Gestalten immer uur das Konterfei ihrer eigenen kleinen
Welt geben.

Schon die erste Bildung der Frau ist ungesunder, als die unsrige. Nach unserm
modernen Erziehungssystem lernen sie sehr viel; sie gewinnen nicht allem Kennt-
nisse, sondern auch vorzugsweise Fertigkeiten, aber sie lernen nicht den Ernst der
Arbeit. Es wird ihnen Alles aus der zweiten Hand überliefert, sie lernen
sehr leicht Urtheile über Religion, Politik, Literatur, einzelne Menschen mit großer
Geläufigkeit als geprägte Münzen ausgeben, und find um so verschwenderischer da¬
mit und halte" sich für um so unbefangener, je gedankenloser sie den Analogien
folge", welche die erste" Eindrücke ihrer Kindheit ihnen biete". Bei ihrer ""-
vollkommenen "ut lückenhaften Bildung haben sie die größte Neigung zu Para¬
doxen, weil ihnen bei der Beschränkung ihrer Kenntniß ans das Einzelne überall
die Vermittelung fehlt. Die Neigung zu Paradoxien ist ein untrügliches Zeichen
für einen halbreifen Menschen; sie hat aber etwas sehr Anziehendes, wenn sie
mit Wit) und einer gewissen Empfindung gepaart ist. Es wird dann jene raffi-
nirte, mit starker Ironie zerschte Empfindsamkeit daraus, welche sich bei der
weiblichen Literatur unserer Tage nicht blos auf die Frauen erstreckt. Es ist
daher anch selten, daß Frauen einen guten Dialog schreiben können, obgleich
ihre wirkliche Unterhaltung in der Regel besser ist, als die der Männer. Bei
dem geschriebene" Dialog verlangt mau Konsistenz und Zweck und wird durch
beständige Sprünge verwirrt, während in der wirklichen Unterhaltung ein leichtes,
gegenstandloscs Spiel die angenehmste Form ist.

Bei einer starken und geistig wirklich begabten Natur muß diese Stellung
des Weibes, wenn sie nicht durch die gesunde Erfüllung beschränkter und bestimm¬
ter Pflichten corrigirt wird, das Gefühl der Unbehaglichkeit, Leere und Unwahr¬
heit hervorrufen. Daher jene Sehnsucht nach der sogenannten Emancipation der
Frauen, wobei sich Jeder etwas Anderes und Niemand etwas Bestimmtes denkt.
Schon in ihrem ersten Romane sprach die Gräfin den Wunsch aus, entweder zu
den Zeiten der Aspasia, oder der heilige" Therese gelebt zu haben, weil eine
immense Seele sich uur in immenser Lust oder in immenser Aufopferung befrie¬
digt. Sie hat wol von der Einen so wenig Vorstellung gehabt wie von der An¬
dern. Eine praktische Emancipation "ach Art der Lota Montcz, oder wie sie in
weniger üblem Sinne jede Künstlerin bis zu einem gewissen Grade durchführt,
wird ihr uicht genügen, weil dieser der aristokratische Dust fehlt, in welchem
sich die Neigung einer zart gestimmten Seele allein bewegen kann. Noch
weniger jene projectirte Emancipation der Radicalen, die darauf herauskommt,
das specifisch Weibliche aufzuheben,' so weit es nicht der Natur, sonder" der


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Motiv ist, während der Manu sich stets in eine objective Thätigkeit versenkt. So
kann die Dichterin Morgen- und Abendland, Süden und Norden mit dem sinnig¬
sten Blick von der Welt durchschauen, und sie wird doch bei dem größten Farben-
reichthum in ihren Gestalten immer uur das Konterfei ihrer eigenen kleinen
Welt geben.

Schon die erste Bildung der Frau ist ungesunder, als die unsrige. Nach unserm
modernen Erziehungssystem lernen sie sehr viel; sie gewinnen nicht allem Kennt-
nisse, sondern auch vorzugsweise Fertigkeiten, aber sie lernen nicht den Ernst der
Arbeit. Es wird ihnen Alles aus der zweiten Hand überliefert, sie lernen
sehr leicht Urtheile über Religion, Politik, Literatur, einzelne Menschen mit großer
Geläufigkeit als geprägte Münzen ausgeben, und find um so verschwenderischer da¬
mit und halte» sich für um so unbefangener, je gedankenloser sie den Analogien
folge», welche die erste» Eindrücke ihrer Kindheit ihnen biete». Bei ihrer »»-
vollkommenen »ut lückenhaften Bildung haben sie die größte Neigung zu Para¬
doxen, weil ihnen bei der Beschränkung ihrer Kenntniß ans das Einzelne überall
die Vermittelung fehlt. Die Neigung zu Paradoxien ist ein untrügliches Zeichen
für einen halbreifen Menschen; sie hat aber etwas sehr Anziehendes, wenn sie
mit Wit) und einer gewissen Empfindung gepaart ist. Es wird dann jene raffi-
nirte, mit starker Ironie zerschte Empfindsamkeit daraus, welche sich bei der
weiblichen Literatur unserer Tage nicht blos auf die Frauen erstreckt. Es ist
daher anch selten, daß Frauen einen guten Dialog schreiben können, obgleich
ihre wirkliche Unterhaltung in der Regel besser ist, als die der Männer. Bei
dem geschriebene» Dialog verlangt mau Konsistenz und Zweck und wird durch
beständige Sprünge verwirrt, während in der wirklichen Unterhaltung ein leichtes,
gegenstandloscs Spiel die angenehmste Form ist.

Bei einer starken und geistig wirklich begabten Natur muß diese Stellung
des Weibes, wenn sie nicht durch die gesunde Erfüllung beschränkter und bestimm¬
ter Pflichten corrigirt wird, das Gefühl der Unbehaglichkeit, Leere und Unwahr¬
heit hervorrufen. Daher jene Sehnsucht nach der sogenannten Emancipation der
Frauen, wobei sich Jeder etwas Anderes und Niemand etwas Bestimmtes denkt.
Schon in ihrem ersten Romane sprach die Gräfin den Wunsch aus, entweder zu
den Zeiten der Aspasia, oder der heilige» Therese gelebt zu haben, weil eine
immense Seele sich uur in immenser Lust oder in immenser Aufopferung befrie¬
digt. Sie hat wol von der Einen so wenig Vorstellung gehabt wie von der An¬
dern. Eine praktische Emancipation »ach Art der Lota Montcz, oder wie sie in
weniger üblem Sinne jede Künstlerin bis zu einem gewissen Grade durchführt,
wird ihr uicht genügen, weil dieser der aristokratische Dust fehlt, in welchem
sich die Neigung einer zart gestimmten Seele allein bewegen kann. Noch
weniger jene projectirte Emancipation der Radicalen, die darauf herauskommt,
das specifisch Weibliche aufzuheben,' so weit es nicht der Natur, sonder» der


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[0311] Motiv ist, während der Manu sich stets in eine objective Thätigkeit versenkt. So kann die Dichterin Morgen- und Abendland, Süden und Norden mit dem sinnig¬ sten Blick von der Welt durchschauen, und sie wird doch bei dem größten Farben- reichthum in ihren Gestalten immer uur das Konterfei ihrer eigenen kleinen Welt geben. Schon die erste Bildung der Frau ist ungesunder, als die unsrige. Nach unserm modernen Erziehungssystem lernen sie sehr viel; sie gewinnen nicht allem Kennt- nisse, sondern auch vorzugsweise Fertigkeiten, aber sie lernen nicht den Ernst der Arbeit. Es wird ihnen Alles aus der zweiten Hand überliefert, sie lernen sehr leicht Urtheile über Religion, Politik, Literatur, einzelne Menschen mit großer Geläufigkeit als geprägte Münzen ausgeben, und find um so verschwenderischer da¬ mit und halte» sich für um so unbefangener, je gedankenloser sie den Analogien folge», welche die erste» Eindrücke ihrer Kindheit ihnen biete». Bei ihrer »»- vollkommenen »ut lückenhaften Bildung haben sie die größte Neigung zu Para¬ doxen, weil ihnen bei der Beschränkung ihrer Kenntniß ans das Einzelne überall die Vermittelung fehlt. Die Neigung zu Paradoxien ist ein untrügliches Zeichen für einen halbreifen Menschen; sie hat aber etwas sehr Anziehendes, wenn sie mit Wit) und einer gewissen Empfindung gepaart ist. Es wird dann jene raffi- nirte, mit starker Ironie zerschte Empfindsamkeit daraus, welche sich bei der weiblichen Literatur unserer Tage nicht blos auf die Frauen erstreckt. Es ist daher anch selten, daß Frauen einen guten Dialog schreiben können, obgleich ihre wirkliche Unterhaltung in der Regel besser ist, als die der Männer. Bei dem geschriebene» Dialog verlangt mau Konsistenz und Zweck und wird durch beständige Sprünge verwirrt, während in der wirklichen Unterhaltung ein leichtes, gegenstandloscs Spiel die angenehmste Form ist. Bei einer starken und geistig wirklich begabten Natur muß diese Stellung des Weibes, wenn sie nicht durch die gesunde Erfüllung beschränkter und bestimm¬ ter Pflichten corrigirt wird, das Gefühl der Unbehaglichkeit, Leere und Unwahr¬ heit hervorrufen. Daher jene Sehnsucht nach der sogenannten Emancipation der Frauen, wobei sich Jeder etwas Anderes und Niemand etwas Bestimmtes denkt. Schon in ihrem ersten Romane sprach die Gräfin den Wunsch aus, entweder zu den Zeiten der Aspasia, oder der heilige» Therese gelebt zu haben, weil eine immense Seele sich uur in immenser Lust oder in immenser Aufopferung befrie¬ digt. Sie hat wol von der Einen so wenig Vorstellung gehabt wie von der An¬ dern. Eine praktische Emancipation »ach Art der Lota Montcz, oder wie sie in weniger üblem Sinne jede Künstlerin bis zu einem gewissen Grade durchführt, wird ihr uicht genügen, weil dieser der aristokratische Dust fehlt, in welchem sich die Neigung einer zart gestimmten Seele allein bewegen kann. Noch weniger jene projectirte Emancipation der Radicalen, die darauf herauskommt, das specifisch Weibliche aufzuheben,' so weit es nicht der Natur, sonder» der 38*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/311>, abgerufen am 28.07.2024.