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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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ches ihrem Geiste ein" eigenthümliche Richtung geben mußte. Das zweite kam
bald darauf hinzu. Sie hatte mit ihrer Mutter an verschiedenen Orten Deutsch¬
lands gelebt, bis sie sich im 21. Jahre zu Greifswalde mit ihrem sehr reichen
Vetter Friedrich Hahn vermählte, der nur ein Jahr älter war, als sie. Die
Ehe war unglücklich und mußte bereits im Jahre -1829 gelöst werden; sie hatte
-also ein ähnliches Schicksal wie Georges Sand. Kurze Zeit darauf begann sie
ihre unruhige Laufbahn. Unflat eilte sie von einem Ort zum andern, 183S nach
der Schweiz, 36 und 37 "ach Wien, 38 und 39 nach Italien, i0 und i-I wie¬
der durch Italien, Spanien und Frankreich, 42 nach dem Norden, wo es ihr
zu kalt war und sie sich unbehaglich fühlte, 43 und 44- nach dem Orient, von
wo sie mit großer Abneigung gegen die Europäischen Wirre" zurückkehrte: "Das
tumultuarische Abendland machte mir einen unangenehmen beklemmenden Eindruck.
So eben habe ich zwei volle Monate auf den stillen Fluchen des Nils, umringt
von der stillen Wüste, zwischen stillen Ruinen gelebt, und nnn auf einmal dieses
Lärmen, dieses Treiben, dieser Lurus, diese Hantirung in allen Richtungen des
Lebens. Das betäubte mich. Ich war nur zehn Monate entfernt gewesen, allein
so gründlich, so mit allen Gedanken und Gesinnungen entfernt, daß ich wie aus
einer andern Welt heimkehrte und die Zustände der Heimischen wie mit frisch ge¬
waschenen Augen verwundert betrachtete." Sie suchte sich zu orientiren, sie las
einige communistische Bücher und machte sich darüber Vorstellungen, wie etwa die
Bestrebungen der Zeit beschaffen sein möchten, ungefähr in der vornehm nachläs¬
sigen Manier des Herrn vou Nadowitz in seinen "Gesprächen aus der Gegenwart
über Staat und Kirche." Das wollte ihr Alles nicht gefallen. Sie fand ihre
Seele zu fein gestimmt und zu edel für dieses zerfahrene Wesen, das sie °in der
Welt sehen wollte und das sie doch uur hiueingeträumt hatte. Im September
18i7 ging sie wieder nach Italien. Der Verdruß über eine so eben erschienene
Satyre, Divgena, die im belletristischen Publicum viel Anklang fand, hatte ihr
Dentschland ohnehin verleidet. In Italien traf sie die Revolution, und das Ent-
sejzen über den Abgrund, der sich ihr zu öffnen schien, trieb sie heftiger als sonst
nach dem alleinseligmachenden Born der Gnade. "Ganz stupid sah sie ans die
allgemeinen Zustände." Nach Dresden zurückgekehrt, brach sie allen Umgang ab,
denn die meisten ihrer Freunde hatten sich der verhaßten Sache der Revolution
hingegeben. "Ich lebte wie der Salamander im Feuer, in dem unauslöschlichsten
Haß und der unbesieglichsten Verachtung des demokratischen Princips und seiner
Vertreter, Anhänger, Nachbeter, und zwar mit solcher Vehemenz und Intensität,
daß ich nicht begreife,, wie mein Herz nicht hundertmal zerbrochen ist bei all den
Unthaten. -- Für Kunst, für Literatur hatte ich so wenig Interesse, daß sie gar
nicht mehr für mich existirten. -- Nach außen schloß ich mich streng ab. Ich will
eine Oreade sein, sprach ich zu mir selbst, ein Geist, der im Felsen wohnt, im
harten, schroffen, abwehrenden Felsen. Wer weiß, welch eine Kraft sich durch


ches ihrem Geiste ein« eigenthümliche Richtung geben mußte. Das zweite kam
bald darauf hinzu. Sie hatte mit ihrer Mutter an verschiedenen Orten Deutsch¬
lands gelebt, bis sie sich im 21. Jahre zu Greifswalde mit ihrem sehr reichen
Vetter Friedrich Hahn vermählte, der nur ein Jahr älter war, als sie. Die
Ehe war unglücklich und mußte bereits im Jahre -1829 gelöst werden; sie hatte
-also ein ähnliches Schicksal wie Georges Sand. Kurze Zeit darauf begann sie
ihre unruhige Laufbahn. Unflat eilte sie von einem Ort zum andern, 183S nach
der Schweiz, 36 und 37 »ach Wien, 38 und 39 nach Italien, i0 und i-I wie¬
der durch Italien, Spanien und Frankreich, 42 nach dem Norden, wo es ihr
zu kalt war und sie sich unbehaglich fühlte, 43 und 44- nach dem Orient, von
wo sie mit großer Abneigung gegen die Europäischen Wirre» zurückkehrte: „Das
tumultuarische Abendland machte mir einen unangenehmen beklemmenden Eindruck.
So eben habe ich zwei volle Monate auf den stillen Fluchen des Nils, umringt
von der stillen Wüste, zwischen stillen Ruinen gelebt, und nnn auf einmal dieses
Lärmen, dieses Treiben, dieser Lurus, diese Hantirung in allen Richtungen des
Lebens. Das betäubte mich. Ich war nur zehn Monate entfernt gewesen, allein
so gründlich, so mit allen Gedanken und Gesinnungen entfernt, daß ich wie aus
einer andern Welt heimkehrte und die Zustände der Heimischen wie mit frisch ge¬
waschenen Augen verwundert betrachtete." Sie suchte sich zu orientiren, sie las
einige communistische Bücher und machte sich darüber Vorstellungen, wie etwa die
Bestrebungen der Zeit beschaffen sein möchten, ungefähr in der vornehm nachläs¬
sigen Manier des Herrn vou Nadowitz in seinen „Gesprächen aus der Gegenwart
über Staat und Kirche." Das wollte ihr Alles nicht gefallen. Sie fand ihre
Seele zu fein gestimmt und zu edel für dieses zerfahrene Wesen, das sie °in der
Welt sehen wollte und das sie doch uur hiueingeträumt hatte. Im September
18i7 ging sie wieder nach Italien. Der Verdruß über eine so eben erschienene
Satyre, Divgena, die im belletristischen Publicum viel Anklang fand, hatte ihr
Dentschland ohnehin verleidet. In Italien traf sie die Revolution, und das Ent-
sejzen über den Abgrund, der sich ihr zu öffnen schien, trieb sie heftiger als sonst
nach dem alleinseligmachenden Born der Gnade. „Ganz stupid sah sie ans die
allgemeinen Zustände." Nach Dresden zurückgekehrt, brach sie allen Umgang ab,
denn die meisten ihrer Freunde hatten sich der verhaßten Sache der Revolution
hingegeben. „Ich lebte wie der Salamander im Feuer, in dem unauslöschlichsten
Haß und der unbesieglichsten Verachtung des demokratischen Princips und seiner
Vertreter, Anhänger, Nachbeter, und zwar mit solcher Vehemenz und Intensität,
daß ich nicht begreife,, wie mein Herz nicht hundertmal zerbrochen ist bei all den
Unthaten. — Für Kunst, für Literatur hatte ich so wenig Interesse, daß sie gar
nicht mehr für mich existirten. — Nach außen schloß ich mich streng ab. Ich will
eine Oreade sein, sprach ich zu mir selbst, ein Geist, der im Felsen wohnt, im
harten, schroffen, abwehrenden Felsen. Wer weiß, welch eine Kraft sich durch


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[0304] ches ihrem Geiste ein« eigenthümliche Richtung geben mußte. Das zweite kam bald darauf hinzu. Sie hatte mit ihrer Mutter an verschiedenen Orten Deutsch¬ lands gelebt, bis sie sich im 21. Jahre zu Greifswalde mit ihrem sehr reichen Vetter Friedrich Hahn vermählte, der nur ein Jahr älter war, als sie. Die Ehe war unglücklich und mußte bereits im Jahre -1829 gelöst werden; sie hatte -also ein ähnliches Schicksal wie Georges Sand. Kurze Zeit darauf begann sie ihre unruhige Laufbahn. Unflat eilte sie von einem Ort zum andern, 183S nach der Schweiz, 36 und 37 »ach Wien, 38 und 39 nach Italien, i0 und i-I wie¬ der durch Italien, Spanien und Frankreich, 42 nach dem Norden, wo es ihr zu kalt war und sie sich unbehaglich fühlte, 43 und 44- nach dem Orient, von wo sie mit großer Abneigung gegen die Europäischen Wirre» zurückkehrte: „Das tumultuarische Abendland machte mir einen unangenehmen beklemmenden Eindruck. So eben habe ich zwei volle Monate auf den stillen Fluchen des Nils, umringt von der stillen Wüste, zwischen stillen Ruinen gelebt, und nnn auf einmal dieses Lärmen, dieses Treiben, dieser Lurus, diese Hantirung in allen Richtungen des Lebens. Das betäubte mich. Ich war nur zehn Monate entfernt gewesen, allein so gründlich, so mit allen Gedanken und Gesinnungen entfernt, daß ich wie aus einer andern Welt heimkehrte und die Zustände der Heimischen wie mit frisch ge¬ waschenen Augen verwundert betrachtete." Sie suchte sich zu orientiren, sie las einige communistische Bücher und machte sich darüber Vorstellungen, wie etwa die Bestrebungen der Zeit beschaffen sein möchten, ungefähr in der vornehm nachläs¬ sigen Manier des Herrn vou Nadowitz in seinen „Gesprächen aus der Gegenwart über Staat und Kirche." Das wollte ihr Alles nicht gefallen. Sie fand ihre Seele zu fein gestimmt und zu edel für dieses zerfahrene Wesen, das sie °in der Welt sehen wollte und das sie doch uur hiueingeträumt hatte. Im September 18i7 ging sie wieder nach Italien. Der Verdruß über eine so eben erschienene Satyre, Divgena, die im belletristischen Publicum viel Anklang fand, hatte ihr Dentschland ohnehin verleidet. In Italien traf sie die Revolution, und das Ent- sejzen über den Abgrund, der sich ihr zu öffnen schien, trieb sie heftiger als sonst nach dem alleinseligmachenden Born der Gnade. „Ganz stupid sah sie ans die allgemeinen Zustände." Nach Dresden zurückgekehrt, brach sie allen Umgang ab, denn die meisten ihrer Freunde hatten sich der verhaßten Sache der Revolution hingegeben. „Ich lebte wie der Salamander im Feuer, in dem unauslöschlichsten Haß und der unbesieglichsten Verachtung des demokratischen Princips und seiner Vertreter, Anhänger, Nachbeter, und zwar mit solcher Vehemenz und Intensität, daß ich nicht begreife,, wie mein Herz nicht hundertmal zerbrochen ist bei all den Unthaten. — Für Kunst, für Literatur hatte ich so wenig Interesse, daß sie gar nicht mehr für mich existirten. — Nach außen schloß ich mich streng ab. Ich will eine Oreade sein, sprach ich zu mir selbst, ein Geist, der im Felsen wohnt, im harten, schroffen, abwehrenden Felsen. Wer weiß, welch eine Kraft sich durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/304>, abgerufen am 27.07.2024.