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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Württemberg wie fragend auf den Reitergeneral Seydlitz deutet, der zur Angriff
ruft, und zu Pferde das Hintere Eckstück der linken Seitenansicht bildet. Roßbach
und Zorndorf, zwei Schlachten, die er durch kühne Flankenangriffe günstig ent¬
scheiden half, erhalten der Nachwelt seinen Namen. Im flachen Relief des Hin¬
tergrundes bemerken wir den Prinzen von Preußen Friedrich Wilhelm und den
Generallieutenant Belliug.

Hiermit ist die Betrachtung des Kriegsgemäldes beendet. Die Rückseite,
welche noch unbetrachtet blieb, enthält die Männer des Friedens. In ihrer Mitte
sitzt ans einem Lehnsessel der Großcanzler v. Carmer, der im Verein mit Suarez
und Klein das allgemeine Landrecht entwarf. In der Hand hält er eiuen Folio-
band, auf dessen unterer Seite, dem beschauenden Publicum bemerkbar, zu lesen
ist: "Allgemeines Gesetzbuch für die Preußischen Staaten". Das Landrecht wurde
freilich unter Friedrichs des Großen Regierung uicht vollendet, aber ihm gehören
Plan und Grundzüge desselben, ihm die Urheberschaft eines Werkes, durch das
zuerst ein allgemeiner Rechtszustand in Preußen begründet wurde. Der Geist,
in welchem er es zu vollenden dachte, geht am Klarsten gerade aus denjenigen
Sätzen hervor, welche sein Nachfolger vor der Publication daraus entfernen ließ.
Friedrich hatte an die Spitze des Gesetzbuchs den Satz gestellt: "Machtsprüche
oder solche Verfügungen der obern Gewalt, welche in streitigen Fällen ohne
rechtliche Erkenntniß ertheilt worden sind , können weder Rechte noch Verbindlich¬
keiten bewirken." Dieser Passus und viele andere wurden weggestrichen, da man
von der bequemen Cabinetsjustiz nicht lassen mochte, und das von Friedrich be¬
gonnene Werk gelaugte daher überhaupt nur in verstümmelter Gestalt zur Giltig-
keit. Rechts von Carmer stehen die Minister Schlaberndorf und Finkenstein, links
hinter ihm der jüngere Graun, den Friedrich bereits als Kronprinz nach Rheins-
berg in seine Kapelle berief und zum Concertmeister ernannte. Aus dem Noten¬
blatte in des Tondichters Hand lesen wir die Worte: "Tod Jesu, Cantate".
Graun blickt, wie in begeistertem Schaffen, zum Himmel; die lebhafte Erregung
seiner Phantasie prägt sich im Antlitz aus.

Nun endlich schließt eine der interessantesten Gruppen diese ganze, geschichtlich
so bedeutende Gestaltenwelt: Immanuel Kant und Gotthold Ephraim Lessing im
kritischen Disput. Sie vertreten in dem Denkmal Wissenschaft und Literatur, und
der Künstler hatte Recht, gerade ihre Persönlichkeiten zu wählen, wenn auch der
große König mit ihnen nicht eben in persönliche Berührung kam. Hätte Rauch
nur von dieser letztern Beziehung ausgehen wollen, so würden unter den Ver¬
tretern des Deutschen Geistes der Philosoph Wolf und der Dichter Gellert den
ersten Anspruch gehabt haben. Jenen erklärte Friedrich als Kronprinz in einem
Schreiben an Voltaire für den größten Philosophen seiner Zeit; Kant wurde erst
in den spätern Lebensjahren des Königs bedeutend, aber dann auch ungleich
bedeutender als Wolf. Dieser wurde von Friedrich Wilhelm dem Ersten verbannt,


Württemberg wie fragend auf den Reitergeneral Seydlitz deutet, der zur Angriff
ruft, und zu Pferde das Hintere Eckstück der linken Seitenansicht bildet. Roßbach
und Zorndorf, zwei Schlachten, die er durch kühne Flankenangriffe günstig ent¬
scheiden half, erhalten der Nachwelt seinen Namen. Im flachen Relief des Hin¬
tergrundes bemerken wir den Prinzen von Preußen Friedrich Wilhelm und den
Generallieutenant Belliug.

Hiermit ist die Betrachtung des Kriegsgemäldes beendet. Die Rückseite,
welche noch unbetrachtet blieb, enthält die Männer des Friedens. In ihrer Mitte
sitzt ans einem Lehnsessel der Großcanzler v. Carmer, der im Verein mit Suarez
und Klein das allgemeine Landrecht entwarf. In der Hand hält er eiuen Folio-
band, auf dessen unterer Seite, dem beschauenden Publicum bemerkbar, zu lesen
ist: „Allgemeines Gesetzbuch für die Preußischen Staaten". Das Landrecht wurde
freilich unter Friedrichs des Großen Regierung uicht vollendet, aber ihm gehören
Plan und Grundzüge desselben, ihm die Urheberschaft eines Werkes, durch das
zuerst ein allgemeiner Rechtszustand in Preußen begründet wurde. Der Geist,
in welchem er es zu vollenden dachte, geht am Klarsten gerade aus denjenigen
Sätzen hervor, welche sein Nachfolger vor der Publication daraus entfernen ließ.
Friedrich hatte an die Spitze des Gesetzbuchs den Satz gestellt: „Machtsprüche
oder solche Verfügungen der obern Gewalt, welche in streitigen Fällen ohne
rechtliche Erkenntniß ertheilt worden sind , können weder Rechte noch Verbindlich¬
keiten bewirken." Dieser Passus und viele andere wurden weggestrichen, da man
von der bequemen Cabinetsjustiz nicht lassen mochte, und das von Friedrich be¬
gonnene Werk gelaugte daher überhaupt nur in verstümmelter Gestalt zur Giltig-
keit. Rechts von Carmer stehen die Minister Schlaberndorf und Finkenstein, links
hinter ihm der jüngere Graun, den Friedrich bereits als Kronprinz nach Rheins-
berg in seine Kapelle berief und zum Concertmeister ernannte. Aus dem Noten¬
blatte in des Tondichters Hand lesen wir die Worte: „Tod Jesu, Cantate".
Graun blickt, wie in begeistertem Schaffen, zum Himmel; die lebhafte Erregung
seiner Phantasie prägt sich im Antlitz aus.

Nun endlich schließt eine der interessantesten Gruppen diese ganze, geschichtlich
so bedeutende Gestaltenwelt: Immanuel Kant und Gotthold Ephraim Lessing im
kritischen Disput. Sie vertreten in dem Denkmal Wissenschaft und Literatur, und
der Künstler hatte Recht, gerade ihre Persönlichkeiten zu wählen, wenn auch der
große König mit ihnen nicht eben in persönliche Berührung kam. Hätte Rauch
nur von dieser letztern Beziehung ausgehen wollen, so würden unter den Ver¬
tretern des Deutschen Geistes der Philosoph Wolf und der Dichter Gellert den
ersten Anspruch gehabt haben. Jenen erklärte Friedrich als Kronprinz in einem
Schreiben an Voltaire für den größten Philosophen seiner Zeit; Kant wurde erst
in den spätern Lebensjahren des Königs bedeutend, aber dann auch ungleich
bedeutender als Wolf. Dieser wurde von Friedrich Wilhelm dem Ersten verbannt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/298>, abgerufen am 01.09.2024.