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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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zum Tannhäuser und den modernen Titanen herunter. Er läßt sich von dem
Grauen der allgemeinen Nichtigkeit durchzittern, wie Büchner, Lenau, Hebbel,
Alfred de Musset; er zwingt sich zu einem krampfhaften Lachen, wie Heine, aber
ohne den Humor, deu bei dem Letztern die wirkliche Gleichgiltigkeit erzeugt; n
ist unglücklich über die vollständige Ohnmacht und Kraftlosigkeit des Zeitalters,
wie Thackeray, aber er ist zu hochmüthig, um gleich diesem in Thränen auszu-
brechen. So macht seine Darstellung nie einen erschütternden oder versöhnenden
Eindruck, sondern lediglich einen unbehagliche", um so mehr, da man trotz sei¬
ner Verirrungen überall die Spuren eines geistvollen und scharfsinnigen Mannes
entdeckt. Diesen unbehaglichen Eindruck zu zerstreuen, lohnt es sich schon der
Mühe, seine Methode etwas schärfer ins Auge zu fassen.

Wir finden diese Methode schon in seinen frühern kritisch-historischen Schrif¬
ten wieder. Es hatte bei ihm große Noth und Mühe gebraucht, bevor er sich
den Voraussetzungen des Christenthums, in denen er doch später die Spitze des
menschlichen Wahnsinns zu erkennen glaubte, entwand. Mit eiuer gewissen Aengst-
lichkeit hat er daher dann alle Spuren, welche von diesen Voraussetzungen noch
in seinem Gemüth übrig geblieben waren, aufgesucht und mit leidenschaftlicher
Hast vertilgt. Dieselbe Aengstlichkeit zeigt er in der Betrachtung Anderer. Wo
ihm nur eine schwacher Nachklang einer theologischen Empfindung entgegentrit, da ist
der Theologe außer sich, gleichgültig, ob sie bei Luther, bei Goethe, oder bei
irgend einem obscureu Scribenten der Vossischen Zeitung sich vorfindet. Der
Mann ist unwiederbringlich verloren, er ist ein "Christ", ein "Pfaff", ein "Bür¬
ger", ein "Lichtfreund", kurz er verfällt in alle die Kategorien, welche die anti¬
christliche Theologie als das Verachtuugswürdigste und Unmenschlichste aufgedeckt
hat, und verliert jede Eigenschaft, die aus ihm ein concretes Wesen macht.
Dieses Gespenst der Theologie, welches ihn nie verläßt, läßt ihn in der Bewe¬
gung der letzten Jahre nichts Andres sehen, als religiöse Zuckungen. In seiner
ziemlich einzigen historischen Quelle, der Vossischen Zeitung, sieht er Nichts als
die lichtfreundlichen und deutschkatholischen Artikel: die Artikel über Jenny Lind
und die Rachel, über Eisenbahnen und Spanische Papiere, über Museen und
Kunstausstellnngeu, über den Luftdruck und dergleichen übersieht er vollständig.
Es ist bei ihm einmal Dogma, daß es seit der Einführung des Christenthums
nur einen religiösen Enthusiasmus gibt; daß derMeusch, und namentlich der
Berliner, überhaupt ein erwärmendes Princip braucht, und daß in Zeiten großer
Dürre neben Jenny Lind, Franz Liszt n. s. w. mich Norge und Mich ihre
Stelle finden, dies ist ihm vollkommen unbegreiflich. So hat er auch in seiner
Culturgeschichte des 18. Jahrhunderts nur Sinn für die theologischen Klopffech-
tereien, und da diese in der That sehr ledern waren, und er von dem gleich¬
zeitigen Aufschwung der Naturwissenschaft,'der Kunst u. f. w. -- Nichts weiß,
so ist ihm das ganze Zeitalter ledern. In der ganzen Märzrevolution sieht er


zum Tannhäuser und den modernen Titanen herunter. Er läßt sich von dem
Grauen der allgemeinen Nichtigkeit durchzittern, wie Büchner, Lenau, Hebbel,
Alfred de Musset; er zwingt sich zu einem krampfhaften Lachen, wie Heine, aber
ohne den Humor, deu bei dem Letztern die wirkliche Gleichgiltigkeit erzeugt; n
ist unglücklich über die vollständige Ohnmacht und Kraftlosigkeit des Zeitalters,
wie Thackeray, aber er ist zu hochmüthig, um gleich diesem in Thränen auszu-
brechen. So macht seine Darstellung nie einen erschütternden oder versöhnenden
Eindruck, sondern lediglich einen unbehagliche«, um so mehr, da man trotz sei¬
ner Verirrungen überall die Spuren eines geistvollen und scharfsinnigen Mannes
entdeckt. Diesen unbehaglichen Eindruck zu zerstreuen, lohnt es sich schon der
Mühe, seine Methode etwas schärfer ins Auge zu fassen.

Wir finden diese Methode schon in seinen frühern kritisch-historischen Schrif¬
ten wieder. Es hatte bei ihm große Noth und Mühe gebraucht, bevor er sich
den Voraussetzungen des Christenthums, in denen er doch später die Spitze des
menschlichen Wahnsinns zu erkennen glaubte, entwand. Mit eiuer gewissen Aengst-
lichkeit hat er daher dann alle Spuren, welche von diesen Voraussetzungen noch
in seinem Gemüth übrig geblieben waren, aufgesucht und mit leidenschaftlicher
Hast vertilgt. Dieselbe Aengstlichkeit zeigt er in der Betrachtung Anderer. Wo
ihm nur eine schwacher Nachklang einer theologischen Empfindung entgegentrit, da ist
der Theologe außer sich, gleichgültig, ob sie bei Luther, bei Goethe, oder bei
irgend einem obscureu Scribenten der Vossischen Zeitung sich vorfindet. Der
Mann ist unwiederbringlich verloren, er ist ein „Christ", ein „Pfaff", ein „Bür¬
ger", ein „Lichtfreund", kurz er verfällt in alle die Kategorien, welche die anti¬
christliche Theologie als das Verachtuugswürdigste und Unmenschlichste aufgedeckt
hat, und verliert jede Eigenschaft, die aus ihm ein concretes Wesen macht.
Dieses Gespenst der Theologie, welches ihn nie verläßt, läßt ihn in der Bewe¬
gung der letzten Jahre nichts Andres sehen, als religiöse Zuckungen. In seiner
ziemlich einzigen historischen Quelle, der Vossischen Zeitung, sieht er Nichts als
die lichtfreundlichen und deutschkatholischen Artikel: die Artikel über Jenny Lind
und die Rachel, über Eisenbahnen und Spanische Papiere, über Museen und
Kunstausstellnngeu, über den Luftdruck und dergleichen übersieht er vollständig.
Es ist bei ihm einmal Dogma, daß es seit der Einführung des Christenthums
nur einen religiösen Enthusiasmus gibt; daß derMeusch, und namentlich der
Berliner, überhaupt ein erwärmendes Princip braucht, und daß in Zeiten großer
Dürre neben Jenny Lind, Franz Liszt n. s. w. mich Norge und Mich ihre
Stelle finden, dies ist ihm vollkommen unbegreiflich. So hat er auch in seiner
Culturgeschichte des 18. Jahrhunderts nur Sinn für die theologischen Klopffech-
tereien, und da diese in der That sehr ledern waren, und er von dem gleich¬
zeitigen Aufschwung der Naturwissenschaft,'der Kunst u. f. w. — Nichts weiß,
so ist ihm das ganze Zeitalter ledern. In der ganzen Märzrevolution sieht er


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[0256] zum Tannhäuser und den modernen Titanen herunter. Er läßt sich von dem Grauen der allgemeinen Nichtigkeit durchzittern, wie Büchner, Lenau, Hebbel, Alfred de Musset; er zwingt sich zu einem krampfhaften Lachen, wie Heine, aber ohne den Humor, deu bei dem Letztern die wirkliche Gleichgiltigkeit erzeugt; n ist unglücklich über die vollständige Ohnmacht und Kraftlosigkeit des Zeitalters, wie Thackeray, aber er ist zu hochmüthig, um gleich diesem in Thränen auszu- brechen. So macht seine Darstellung nie einen erschütternden oder versöhnenden Eindruck, sondern lediglich einen unbehagliche«, um so mehr, da man trotz sei¬ ner Verirrungen überall die Spuren eines geistvollen und scharfsinnigen Mannes entdeckt. Diesen unbehaglichen Eindruck zu zerstreuen, lohnt es sich schon der Mühe, seine Methode etwas schärfer ins Auge zu fassen. Wir finden diese Methode schon in seinen frühern kritisch-historischen Schrif¬ ten wieder. Es hatte bei ihm große Noth und Mühe gebraucht, bevor er sich den Voraussetzungen des Christenthums, in denen er doch später die Spitze des menschlichen Wahnsinns zu erkennen glaubte, entwand. Mit eiuer gewissen Aengst- lichkeit hat er daher dann alle Spuren, welche von diesen Voraussetzungen noch in seinem Gemüth übrig geblieben waren, aufgesucht und mit leidenschaftlicher Hast vertilgt. Dieselbe Aengstlichkeit zeigt er in der Betrachtung Anderer. Wo ihm nur eine schwacher Nachklang einer theologischen Empfindung entgegentrit, da ist der Theologe außer sich, gleichgültig, ob sie bei Luther, bei Goethe, oder bei irgend einem obscureu Scribenten der Vossischen Zeitung sich vorfindet. Der Mann ist unwiederbringlich verloren, er ist ein „Christ", ein „Pfaff", ein „Bür¬ ger", ein „Lichtfreund", kurz er verfällt in alle die Kategorien, welche die anti¬ christliche Theologie als das Verachtuugswürdigste und Unmenschlichste aufgedeckt hat, und verliert jede Eigenschaft, die aus ihm ein concretes Wesen macht. Dieses Gespenst der Theologie, welches ihn nie verläßt, läßt ihn in der Bewe¬ gung der letzten Jahre nichts Andres sehen, als religiöse Zuckungen. In seiner ziemlich einzigen historischen Quelle, der Vossischen Zeitung, sieht er Nichts als die lichtfreundlichen und deutschkatholischen Artikel: die Artikel über Jenny Lind und die Rachel, über Eisenbahnen und Spanische Papiere, über Museen und Kunstausstellnngeu, über den Luftdruck und dergleichen übersieht er vollständig. Es ist bei ihm einmal Dogma, daß es seit der Einführung des Christenthums nur einen religiösen Enthusiasmus gibt; daß derMeusch, und namentlich der Berliner, überhaupt ein erwärmendes Princip braucht, und daß in Zeiten großer Dürre neben Jenny Lind, Franz Liszt n. s. w. mich Norge und Mich ihre Stelle finden, dies ist ihm vollkommen unbegreiflich. So hat er auch in seiner Culturgeschichte des 18. Jahrhunderts nur Sinn für die theologischen Klopffech- tereien, und da diese in der That sehr ledern waren, und er von dem gleich¬ zeitigen Aufschwung der Naturwissenschaft,'der Kunst u. f. w. — Nichts weiß, so ist ihm das ganze Zeitalter ledern. In der ganzen Märzrevolution sieht er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/256>, abgerufen am 27.07.2024.