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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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der bürgerlichen Unfähigkeit und der herrschaftlichen Ratlosigkeit für ihr Ideal,
sprachen sie es aus, daß das Band zwischen Volk und Regierung zerrissen sei
und beide sich als Fremde gegenüberstehen. Während die Entfernung, die zwi¬
schen beiden eingetreten, die Vereinbarung unmöglich machte, die Unfähigkeit und
Ratlosigkeit ein gemeinsames Werk nicht zu Stande bringen konnten, bewiesen
Herrscher und Dienende wenigstens das Eine, daß sie gleich ermattet, dem gleichen
Fatum unterworfen seien -- von Fremden, da der Quell des eigenen Raths
und Entschlusses in ihrem Innern versiegt war, beherrscht sein wollen. Weder
die Volksvertretungen, noch die Regierungen haben den Absolutismus gründen
können, in dein die Revolution ihren Schluß und ihre Gestaltung findet. Meide
strebten ihm zwar zu -- die Volksvertretungen endigten aber ihr Werk, in dem
sie sich dem Absolutismus der Regierungen unterwarfen, -- die Regierungen
bringen es nnr zu Versuchen, deren Gebrechlichkeit ihre Ohnmacht zugleich und
die unüberwindliche Gestaltlosigkeit der Volksmasse bezeugt -- beide wollen den
Absolutismus, aber zu schwach ihn selbst zu üben, zu muthlos, um nach der Ge¬
walt zu greifen und sie festzuhalten, wollen sie ihre Abgestumpftheit als ein frem¬
des Fatum erfahren." -- Wenn Bruno Bauer dieses Bild der Hoffnungslosigkeit
als ein objectives Resultat seiner Forschung in Dingen hinstellt, die ihn selber
Nichts angingen, so liegt doch der Gedanke, daß die üblen Folgen ihn selber
treffen, zu nahe, als daß man nicht auch diesen Pessimismus für dasselbe erken¬
nen sollte, was er stets ist, als das schmerzvolle Gefühl der Abspannung und
Leerheit nach der Hitze eines unnatürlich gesteigerten Idealismus.

Die Frivolität, mit welcher der Kritiker coquettirt, liegt keineswegs in dem
Leichtsinn seines Gemüths, sondern in dem Maugel an Ernst, mit dem er seine
Studien betreibt. Es findet sich sehr häufig ein scharfer, durchdringender
Blick für die Schwächen der Einzelnen und der Gesammtheit verbunden mit einem
vollkommenen Mangel an Gestaltungskraft. Ohne diese Gestaltungskraft fördert
aber auch nicht einmal der richtige Blick. Man kann alle die Schwächen, die
Bruno Bauer in dem ganzen Zeitalter und seinen vorzüglichsten Repräsentanten
mit großem Aufwand von Witz und Scharfsinn aufspürt, zugeben, und muß doch
behaupten, daß sein Bild ein vollkommen unrichtiges ist. Man vergleiche z. B.
das Gemälde, welches Macaulay von den Bestrebungen des Englischen Liberalis¬
mus im Jahre 1688 entwirft, und der Eindruck der Schwäche und Ratlosig¬
keit wird nicht geringer sein; aber der große Geschichtschreiber versteht es, uns
auch in diesem confusen Durcheinander den Faden erkennen zu lassen, an den die
künftige Entwickelung sich anknüpft. Macaulay steht über der Zeit, die er schil¬
dert, Bruno Bauer ist in ihr befangen; er schwelgt in den Bildern der Verwe¬
sung, die doch jedes Mikroskop in jeder Blüthe aufweist, mit einem krankhaften
Behagen, ungefähr wie die Epigoneuliteratur der 30er und 40er Jahre, jene
Tendenzromane des jungen Deutschland, die Gutzkow, Laube, Immermann bis


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der bürgerlichen Unfähigkeit und der herrschaftlichen Ratlosigkeit für ihr Ideal,
sprachen sie es aus, daß das Band zwischen Volk und Regierung zerrissen sei
und beide sich als Fremde gegenüberstehen. Während die Entfernung, die zwi¬
schen beiden eingetreten, die Vereinbarung unmöglich machte, die Unfähigkeit und
Ratlosigkeit ein gemeinsames Werk nicht zu Stande bringen konnten, bewiesen
Herrscher und Dienende wenigstens das Eine, daß sie gleich ermattet, dem gleichen
Fatum unterworfen seien — von Fremden, da der Quell des eigenen Raths
und Entschlusses in ihrem Innern versiegt war, beherrscht sein wollen. Weder
die Volksvertretungen, noch die Regierungen haben den Absolutismus gründen
können, in dein die Revolution ihren Schluß und ihre Gestaltung findet. Meide
strebten ihm zwar zu — die Volksvertretungen endigten aber ihr Werk, in dem
sie sich dem Absolutismus der Regierungen unterwarfen, — die Regierungen
bringen es nnr zu Versuchen, deren Gebrechlichkeit ihre Ohnmacht zugleich und
die unüberwindliche Gestaltlosigkeit der Volksmasse bezeugt — beide wollen den
Absolutismus, aber zu schwach ihn selbst zu üben, zu muthlos, um nach der Ge¬
walt zu greifen und sie festzuhalten, wollen sie ihre Abgestumpftheit als ein frem¬
des Fatum erfahren." — Wenn Bruno Bauer dieses Bild der Hoffnungslosigkeit
als ein objectives Resultat seiner Forschung in Dingen hinstellt, die ihn selber
Nichts angingen, so liegt doch der Gedanke, daß die üblen Folgen ihn selber
treffen, zu nahe, als daß man nicht auch diesen Pessimismus für dasselbe erken¬
nen sollte, was er stets ist, als das schmerzvolle Gefühl der Abspannung und
Leerheit nach der Hitze eines unnatürlich gesteigerten Idealismus.

Die Frivolität, mit welcher der Kritiker coquettirt, liegt keineswegs in dem
Leichtsinn seines Gemüths, sondern in dem Maugel an Ernst, mit dem er seine
Studien betreibt. Es findet sich sehr häufig ein scharfer, durchdringender
Blick für die Schwächen der Einzelnen und der Gesammtheit verbunden mit einem
vollkommenen Mangel an Gestaltungskraft. Ohne diese Gestaltungskraft fördert
aber auch nicht einmal der richtige Blick. Man kann alle die Schwächen, die
Bruno Bauer in dem ganzen Zeitalter und seinen vorzüglichsten Repräsentanten
mit großem Aufwand von Witz und Scharfsinn aufspürt, zugeben, und muß doch
behaupten, daß sein Bild ein vollkommen unrichtiges ist. Man vergleiche z. B.
das Gemälde, welches Macaulay von den Bestrebungen des Englischen Liberalis¬
mus im Jahre 1688 entwirft, und der Eindruck der Schwäche und Ratlosig¬
keit wird nicht geringer sein; aber der große Geschichtschreiber versteht es, uns
auch in diesem confusen Durcheinander den Faden erkennen zu lassen, an den die
künftige Entwickelung sich anknüpft. Macaulay steht über der Zeit, die er schil¬
dert, Bruno Bauer ist in ihr befangen; er schwelgt in den Bildern der Verwe¬
sung, die doch jedes Mikroskop in jeder Blüthe aufweist, mit einem krankhaften
Behagen, ungefähr wie die Epigoneuliteratur der 30er und 40er Jahre, jene
Tendenzromane des jungen Deutschland, die Gutzkow, Laube, Immermann bis


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[0255] der bürgerlichen Unfähigkeit und der herrschaftlichen Ratlosigkeit für ihr Ideal, sprachen sie es aus, daß das Band zwischen Volk und Regierung zerrissen sei und beide sich als Fremde gegenüberstehen. Während die Entfernung, die zwi¬ schen beiden eingetreten, die Vereinbarung unmöglich machte, die Unfähigkeit und Ratlosigkeit ein gemeinsames Werk nicht zu Stande bringen konnten, bewiesen Herrscher und Dienende wenigstens das Eine, daß sie gleich ermattet, dem gleichen Fatum unterworfen seien — von Fremden, da der Quell des eigenen Raths und Entschlusses in ihrem Innern versiegt war, beherrscht sein wollen. Weder die Volksvertretungen, noch die Regierungen haben den Absolutismus gründen können, in dein die Revolution ihren Schluß und ihre Gestaltung findet. Meide strebten ihm zwar zu — die Volksvertretungen endigten aber ihr Werk, in dem sie sich dem Absolutismus der Regierungen unterwarfen, — die Regierungen bringen es nnr zu Versuchen, deren Gebrechlichkeit ihre Ohnmacht zugleich und die unüberwindliche Gestaltlosigkeit der Volksmasse bezeugt — beide wollen den Absolutismus, aber zu schwach ihn selbst zu üben, zu muthlos, um nach der Ge¬ walt zu greifen und sie festzuhalten, wollen sie ihre Abgestumpftheit als ein frem¬ des Fatum erfahren." — Wenn Bruno Bauer dieses Bild der Hoffnungslosigkeit als ein objectives Resultat seiner Forschung in Dingen hinstellt, die ihn selber Nichts angingen, so liegt doch der Gedanke, daß die üblen Folgen ihn selber treffen, zu nahe, als daß man nicht auch diesen Pessimismus für dasselbe erken¬ nen sollte, was er stets ist, als das schmerzvolle Gefühl der Abspannung und Leerheit nach der Hitze eines unnatürlich gesteigerten Idealismus. Die Frivolität, mit welcher der Kritiker coquettirt, liegt keineswegs in dem Leichtsinn seines Gemüths, sondern in dem Maugel an Ernst, mit dem er seine Studien betreibt. Es findet sich sehr häufig ein scharfer, durchdringender Blick für die Schwächen der Einzelnen und der Gesammtheit verbunden mit einem vollkommenen Mangel an Gestaltungskraft. Ohne diese Gestaltungskraft fördert aber auch nicht einmal der richtige Blick. Man kann alle die Schwächen, die Bruno Bauer in dem ganzen Zeitalter und seinen vorzüglichsten Repräsentanten mit großem Aufwand von Witz und Scharfsinn aufspürt, zugeben, und muß doch behaupten, daß sein Bild ein vollkommen unrichtiges ist. Man vergleiche z. B. das Gemälde, welches Macaulay von den Bestrebungen des Englischen Liberalis¬ mus im Jahre 1688 entwirft, und der Eindruck der Schwäche und Ratlosig¬ keit wird nicht geringer sein; aber der große Geschichtschreiber versteht es, uns auch in diesem confusen Durcheinander den Faden erkennen zu lassen, an den die künftige Entwickelung sich anknüpft. Macaulay steht über der Zeit, die er schil¬ dert, Bruno Bauer ist in ihr befangen; er schwelgt in den Bildern der Verwe¬ sung, die doch jedes Mikroskop in jeder Blüthe aufweist, mit einem krankhaften Behagen, ungefähr wie die Epigoneuliteratur der 30er und 40er Jahre, jene Tendenzromane des jungen Deutschland, die Gutzkow, Laube, Immermann bis 31 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/255>, abgerufen am 27.07.2024.