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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Die Kunst zu lernen war ich nie zu träge,
D'rum hab' ich neue Bahnen aufgeschlossen,
In Reim und Rhythmus meinen Geist ergossen,
Die dauernd find, wofern ich recht erwäge.
Gesänge formt' ich aus verschiednen Stoffen,
Lustspiele sind und Märchen mir gelungen
In einem Stil, den Keiner übertroffen:
Der ich der Ode zweiten Preis errungen,
Und im Sonett des Lebens Schmerz und Hoffen,
Und diesen Vers für meine Gruft gesungen.

Ich gehe jetzt zu der dramatischen Poesie Platen's über. In der ersten
Periode derselben geht er dem neckischen Vorbilde nach und gibt uns phantastische,
märchenhaft romantische Lustspiele; in der zweiten schreibt er aristophanisch.
Sein erster Versuch, "Ma rat's Tod", ist von ihm selber bei Seite gelegt,
weil er aus theoretischer Ueberzeugung das Gräßliche für unangemessen der Bühne
hielt. Es folgte (-1823) "der gläserne Pantoffel", ein Lustspiel, in welchem
die Fabeln von Aschenbrödel und Dornröschen zu einer Handlung combinirt sind.
Das zweite Lustspiel "der Schatz des Nhamsinit" (182Y ist dem Herodot
entlehnt. Das dritte, "Berengar" (182-i) gibt in der Form zuerst die Schei¬
dung von Vers und Prosa, nach Shakespeare und Tieck. "Treue um Treue"
(-1823), einem Französchen Fabliau entnommen und etwas breiter ausgeführt, als
die frühern Stücke, ist dreimal ausgeführt worden; das erste Mal ist der Dichter
hervorgerufen worden und hat dem Publicum seinen Dank in nnprovisirten Versen
abgestattet. Das letzte Stück dieser specifisch romantischen Periode ist "der ThurM
mit sieben Pforten"; der Stoff ist dem Volksbuch von den sieben weisen
Meistern entlehnt. -- Ich habe schon mehrmals Gelegenheit gehabt, mich darüber
anzusprechen, daß das phantastische Drama, welches sich sowol in der Anlage
der Begebenheiten, als in der Motivirung der Charaktere, als anch in dem
sittlichen Grundgedanken von der menschlichen Natur und von dem logischen
Zusammenhang lossagt, eine verwerfliche Gattung sei, welche nnr durch eine sehr
lebendige Komik, durch glänzenden Witz und durch eine frei hervorsprudelnde
Poesie ein immer nur verhältnißmäßiges Recht erwirbt; daß es aber um so
verwerflicher ist, wenn es mit der Prätension einer höhern Kunstform anstritt und
in die künstliche Naivetät des Ammenmärchens die rasstnirte Reflexion der literarisch
gebildeten Gesellschaft einmischt. Ich finde diese Fehler bereits in Tieck's
bekannten Dramen Därmchen, gestiefelter Kater, Fortunat, Zerbino u. s. w.;
man weiß niemals recht, in welche Stimmung der Dichter uns eigentlich versetzen
will, ob er seine eigne Anschauung ironifirt, oder ob es ihm Ernst damit ist, und
diese Ungewißheit ist zwar sehr romantisch, aber sehr wenig poetisch. Indessen,
einmal war diese Richtung bei Tieck etwas Neues, ein Versuch, den mau sich in


Grenzboten. II. 1861. 27
Die Kunst zu lernen war ich nie zu träge,
D'rum hab' ich neue Bahnen aufgeschlossen,
In Reim und Rhythmus meinen Geist ergossen,
Die dauernd find, wofern ich recht erwäge.
Gesänge formt' ich aus verschiednen Stoffen,
Lustspiele sind und Märchen mir gelungen
In einem Stil, den Keiner übertroffen:
Der ich der Ode zweiten Preis errungen,
Und im Sonett des Lebens Schmerz und Hoffen,
Und diesen Vers für meine Gruft gesungen.

Ich gehe jetzt zu der dramatischen Poesie Platen's über. In der ersten
Periode derselben geht er dem neckischen Vorbilde nach und gibt uns phantastische,
märchenhaft romantische Lustspiele; in der zweiten schreibt er aristophanisch.
Sein erster Versuch, „Ma rat's Tod", ist von ihm selber bei Seite gelegt,
weil er aus theoretischer Ueberzeugung das Gräßliche für unangemessen der Bühne
hielt. Es folgte (-1823) „der gläserne Pantoffel", ein Lustspiel, in welchem
die Fabeln von Aschenbrödel und Dornröschen zu einer Handlung combinirt sind.
Das zweite Lustspiel „der Schatz des Nhamsinit" (182Y ist dem Herodot
entlehnt. Das dritte, „Berengar" (182-i) gibt in der Form zuerst die Schei¬
dung von Vers und Prosa, nach Shakespeare und Tieck. „Treue um Treue"
(-1823), einem Französchen Fabliau entnommen und etwas breiter ausgeführt, als
die frühern Stücke, ist dreimal ausgeführt worden; das erste Mal ist der Dichter
hervorgerufen worden und hat dem Publicum seinen Dank in nnprovisirten Versen
abgestattet. Das letzte Stück dieser specifisch romantischen Periode ist „der ThurM
mit sieben Pforten"; der Stoff ist dem Volksbuch von den sieben weisen
Meistern entlehnt. — Ich habe schon mehrmals Gelegenheit gehabt, mich darüber
anzusprechen, daß das phantastische Drama, welches sich sowol in der Anlage
der Begebenheiten, als in der Motivirung der Charaktere, als anch in dem
sittlichen Grundgedanken von der menschlichen Natur und von dem logischen
Zusammenhang lossagt, eine verwerfliche Gattung sei, welche nnr durch eine sehr
lebendige Komik, durch glänzenden Witz und durch eine frei hervorsprudelnde
Poesie ein immer nur verhältnißmäßiges Recht erwirbt; daß es aber um so
verwerflicher ist, wenn es mit der Prätension einer höhern Kunstform anstritt und
in die künstliche Naivetät des Ammenmärchens die rasstnirte Reflexion der literarisch
gebildeten Gesellschaft einmischt. Ich finde diese Fehler bereits in Tieck's
bekannten Dramen Därmchen, gestiefelter Kater, Fortunat, Zerbino u. s. w.;
man weiß niemals recht, in welche Stimmung der Dichter uns eigentlich versetzen
will, ob er seine eigne Anschauung ironifirt, oder ob es ihm Ernst damit ist, und
diese Ungewißheit ist zwar sehr romantisch, aber sehr wenig poetisch. Indessen,
einmal war diese Richtung bei Tieck etwas Neues, ein Versuch, den mau sich in


Grenzboten. II. 1861. 27
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[0221] Die Kunst zu lernen war ich nie zu träge, D'rum hab' ich neue Bahnen aufgeschlossen, In Reim und Rhythmus meinen Geist ergossen, Die dauernd find, wofern ich recht erwäge. Gesänge formt' ich aus verschiednen Stoffen, Lustspiele sind und Märchen mir gelungen In einem Stil, den Keiner übertroffen: Der ich der Ode zweiten Preis errungen, Und im Sonett des Lebens Schmerz und Hoffen, Und diesen Vers für meine Gruft gesungen. Ich gehe jetzt zu der dramatischen Poesie Platen's über. In der ersten Periode derselben geht er dem neckischen Vorbilde nach und gibt uns phantastische, märchenhaft romantische Lustspiele; in der zweiten schreibt er aristophanisch. Sein erster Versuch, „Ma rat's Tod", ist von ihm selber bei Seite gelegt, weil er aus theoretischer Ueberzeugung das Gräßliche für unangemessen der Bühne hielt. Es folgte (-1823) „der gläserne Pantoffel", ein Lustspiel, in welchem die Fabeln von Aschenbrödel und Dornröschen zu einer Handlung combinirt sind. Das zweite Lustspiel „der Schatz des Nhamsinit" (182Y ist dem Herodot entlehnt. Das dritte, „Berengar" (182-i) gibt in der Form zuerst die Schei¬ dung von Vers und Prosa, nach Shakespeare und Tieck. „Treue um Treue" (-1823), einem Französchen Fabliau entnommen und etwas breiter ausgeführt, als die frühern Stücke, ist dreimal ausgeführt worden; das erste Mal ist der Dichter hervorgerufen worden und hat dem Publicum seinen Dank in nnprovisirten Versen abgestattet. Das letzte Stück dieser specifisch romantischen Periode ist „der ThurM mit sieben Pforten"; der Stoff ist dem Volksbuch von den sieben weisen Meistern entlehnt. — Ich habe schon mehrmals Gelegenheit gehabt, mich darüber anzusprechen, daß das phantastische Drama, welches sich sowol in der Anlage der Begebenheiten, als in der Motivirung der Charaktere, als anch in dem sittlichen Grundgedanken von der menschlichen Natur und von dem logischen Zusammenhang lossagt, eine verwerfliche Gattung sei, welche nnr durch eine sehr lebendige Komik, durch glänzenden Witz und durch eine frei hervorsprudelnde Poesie ein immer nur verhältnißmäßiges Recht erwirbt; daß es aber um so verwerflicher ist, wenn es mit der Prätension einer höhern Kunstform anstritt und in die künstliche Naivetät des Ammenmärchens die rasstnirte Reflexion der literarisch gebildeten Gesellschaft einmischt. Ich finde diese Fehler bereits in Tieck's bekannten Dramen Därmchen, gestiefelter Kater, Fortunat, Zerbino u. s. w.; man weiß niemals recht, in welche Stimmung der Dichter uns eigentlich versetzen will, ob er seine eigne Anschauung ironifirt, oder ob es ihm Ernst damit ist, und diese Ungewißheit ist zwar sehr romantisch, aber sehr wenig poetisch. Indessen, einmal war diese Richtung bei Tieck etwas Neues, ein Versuch, den mau sich in Grenzboten. II. 1861. 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/221>, abgerufen am 27.07.2024.