Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.Freilich würde es ungerecht sein, von diesen häufig genug vorkommenden Ver¬ Außer den orientalischen Formen haben wir achtnndachtzig Sonette, die sich Freilich würde es ungerecht sein, von diesen häufig genug vorkommenden Ver¬ Außer den orientalischen Formen haben wir achtnndachtzig Sonette, die sich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0218" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91411"/> <p xml:id="ID_602" prev="#ID_601"> Freilich würde es ungerecht sein, von diesen häufig genug vorkommenden Ver¬<lb/> stößen auf alle übrigen Gedichte schließen zu wollen; es finden sich so manche,<lb/> in denen die Sprache völlig rein und die Diction wenigstens einigermaßen poe¬<lb/> tisch ist; allein jene Verstöße geben uns über die Methode seines Dichtens Auf¬<lb/> schluß, und diese gilt sür alle seine Werke. Es ist bei ihm nie der Strom eines<lb/> gewaltigen oder innigen Gefühls, der sich seine angemessene Form sucht, soudern<lb/> überall die kalte Reflexion, die von der Form zum Inhalt übergeht und höchstens<lb/> zu einem epigrammatischen Effect gelangt. Ueberhaupt wird unsre Lyrik dadurch<lb/> verkümmert, daß wir uns gewöhnt haben, unsre Lieder, über deren Werth nur<lb/> der Gesang oder wenigstens ein lautes Vorlesen zu entscheiden hat, blos mit den<lb/> Augen zu lesen. Empfindung, Bild und Melodie gehen gleichmäßig an diesem<lb/> abstracten Verhalten zu Grunde.</p><lb/> <p xml:id="ID_603" next="#ID_604"> Außer den orientalischen Formen haben wir achtnndachtzig Sonette, die sich<lb/> von den Sonetten andrer Dichter nicht wesentlich unterscheiden. Das Sonett<lb/> gehört der Reflexivnspoeste an und stört wieder die Breite und Tiefe der Re¬<lb/> flexion durch seine geschraubte Form. Auch die übertriebene Anwendung des<lb/> Sonett's, das nnr als metrische, zuweilen freilich ganz allerliebste Grille gelten<lb/> kann, beruht auf einem Verkennen der deutschen Sprache. Bei den Italienern<lb/> macht die Freude am sinnlichen Klang der Reime, die große Leichtigkeit derselben,<lb/> das vollkommen freie Metrum und die durch Gelehrsamkeit und Reflexion noch<lb/> nicht verwirrte Anschauung das Sonett zu einem bequemen und heitern Spiele<lb/> des Witzes; bei uns Deutschen dagegen hebt es alle Unmittelbarkeit ans und hat<lb/> anch in dem besten Fall, so lange man noch auf Metrum und Reim überhaupt<lb/> aufmerksam gemacht wird, so lauge man sie nicht über deu Inhalt vollständig<lb/> vergißt, wodurch doch der Sinn des Verses aufgehoben würde, einen sehr pe¬<lb/> dantischen Anstrich. — Ich bemerke beiläufig, daß auf den Inhalt dieser Sonette,<lb/> der sich in dem gewohnten Sonettenkreise bewegt, wenig ankommt, und daß der<lb/> Vorwurf der Knabenliebe, den Heine in seinein ebenso schmutzigen als einfältigen<lb/> Angriff gegen Platen ausspricht, auf nichts weiter beruht, als auf einer unbe¬<lb/> wußten Reminiscenz unsres nicht sehr erfinderischen. Dichters an die Shakespeare-<lb/> schen Sonette, für welche ich beiläufig nicht die gleiche Begeisterung empfinden<lb/> kann, wie die meisten unsrer Kritiker. — Noch viel gleich giltiger sind die ver¬<lb/> schiedenen Ansichten, die Platen in den Sonetten, Oktaven, Terzinen u. s. w. über<lb/> literarische Gegenstände, über Goethe, Schelling, Uhland n. A. ausspricht. Sie<lb/> haben nnr das einzige Bemerkenswerthe, daß jene Coquetterie der Dichter¬<lb/> zunft, die sich beständig selber ansinge, die in ewigen Wiederholungen versichert,<lb/> Dichter A. und Dichter B. gehören einer höhern Weltordnung an, sie dürfen für<lb/> keinen Andern sprechen, als für sich selber, das Volk sei eine einfältige Masse,<lb/> und der Kritiker, der anders mit ihnen zu sprechen wage, als auf den Knien,<lb/> ein Bauerlümmel, schon jeder Versuch, sie zu verstehen, sei eine Majestätsbelei-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0218]
Freilich würde es ungerecht sein, von diesen häufig genug vorkommenden Ver¬
stößen auf alle übrigen Gedichte schließen zu wollen; es finden sich so manche,
in denen die Sprache völlig rein und die Diction wenigstens einigermaßen poe¬
tisch ist; allein jene Verstöße geben uns über die Methode seines Dichtens Auf¬
schluß, und diese gilt sür alle seine Werke. Es ist bei ihm nie der Strom eines
gewaltigen oder innigen Gefühls, der sich seine angemessene Form sucht, soudern
überall die kalte Reflexion, die von der Form zum Inhalt übergeht und höchstens
zu einem epigrammatischen Effect gelangt. Ueberhaupt wird unsre Lyrik dadurch
verkümmert, daß wir uns gewöhnt haben, unsre Lieder, über deren Werth nur
der Gesang oder wenigstens ein lautes Vorlesen zu entscheiden hat, blos mit den
Augen zu lesen. Empfindung, Bild und Melodie gehen gleichmäßig an diesem
abstracten Verhalten zu Grunde.
Außer den orientalischen Formen haben wir achtnndachtzig Sonette, die sich
von den Sonetten andrer Dichter nicht wesentlich unterscheiden. Das Sonett
gehört der Reflexivnspoeste an und stört wieder die Breite und Tiefe der Re¬
flexion durch seine geschraubte Form. Auch die übertriebene Anwendung des
Sonett's, das nnr als metrische, zuweilen freilich ganz allerliebste Grille gelten
kann, beruht auf einem Verkennen der deutschen Sprache. Bei den Italienern
macht die Freude am sinnlichen Klang der Reime, die große Leichtigkeit derselben,
das vollkommen freie Metrum und die durch Gelehrsamkeit und Reflexion noch
nicht verwirrte Anschauung das Sonett zu einem bequemen und heitern Spiele
des Witzes; bei uns Deutschen dagegen hebt es alle Unmittelbarkeit ans und hat
anch in dem besten Fall, so lange man noch auf Metrum und Reim überhaupt
aufmerksam gemacht wird, so lauge man sie nicht über deu Inhalt vollständig
vergißt, wodurch doch der Sinn des Verses aufgehoben würde, einen sehr pe¬
dantischen Anstrich. — Ich bemerke beiläufig, daß auf den Inhalt dieser Sonette,
der sich in dem gewohnten Sonettenkreise bewegt, wenig ankommt, und daß der
Vorwurf der Knabenliebe, den Heine in seinein ebenso schmutzigen als einfältigen
Angriff gegen Platen ausspricht, auf nichts weiter beruht, als auf einer unbe¬
wußten Reminiscenz unsres nicht sehr erfinderischen. Dichters an die Shakespeare-
schen Sonette, für welche ich beiläufig nicht die gleiche Begeisterung empfinden
kann, wie die meisten unsrer Kritiker. — Noch viel gleich giltiger sind die ver¬
schiedenen Ansichten, die Platen in den Sonetten, Oktaven, Terzinen u. s. w. über
literarische Gegenstände, über Goethe, Schelling, Uhland n. A. ausspricht. Sie
haben nnr das einzige Bemerkenswerthe, daß jene Coquetterie der Dichter¬
zunft, die sich beständig selber ansinge, die in ewigen Wiederholungen versichert,
Dichter A. und Dichter B. gehören einer höhern Weltordnung an, sie dürfen für
keinen Andern sprechen, als für sich selber, das Volk sei eine einfältige Masse,
und der Kritiker, der anders mit ihnen zu sprechen wage, als auf den Knien,
ein Bauerlümmel, schon jeder Versuch, sie zu verstehen, sei eine Majestätsbelei-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |