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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Wenn aber dieses Geständnis; der Armuth nicht dem Dichter, sondern dem
deutschen Volke gelten soll, so muß dieses dagegen Protestiren; der Blick in die
erste beste Sammlung von Volkslieder" kann uus überzeugen, daß wir an einheimi¬
schen Weisen reicher sind, als die Sicilianer, die Franzosen, die Florentiner, die
Spanier und die Perser.

Platen hat gleichzeitig auch eine Reihe von Gedichten in deutschen Formen
geschrieben, und es zeugen einige darunter von einer natürlichen Anlage sür
Melodie, die wol hätte entwickelt werden können; doch anch nur einige. In den
meisten Liedern, Balladen und Romanzen wird die deutsche Weise gerade so be¬
handelt, wie die ausländische: die Form ist das prius, dem die Empfindungen,
Bilder und Gedanken sich anbequemen müssen. Was soll man z. B. zu folgendem
Versuch sagen, dnrch Alliteration die Sprache weicher zu machen:

Welcher Mensch kann das lesen! Abgesehen von der Undeutlichkeit des Sinns,
die durch die verschrobene Alliteration bedingt wird, ist anch der Klang ein wahr¬
haft abscheulicher. Wenn man überhaupt Platen das Verdienst zuspricht, ein
Herr über die Form zu sein, ein Verdienst, welches er selber mehrere hundertmal
ausgesprochen hat, so ist es doch sehr mit Unterschied zu verstehen. Er ist aller¬
dings im Stande gewesen, in jedem, auch in dem schwierigsten Versmaße, in
Versmaßen, die er blos ihrer Schwierigkeit halber sich selber erdacht hat, eine
gewisse Combination von Wörtern zu Stande zu bringen, in denen, wenn man
sich Mühe gibt, eine Art von grammatischer Construction aufzufinden ist; aber
darin besteht noch nicht die Herrschaft über die Form. Victor Hugo, der eine
ganz ähnliche Richtung hat, versteht es, das wunderbarste Maß anzuwenden, und
doch dabei verständlich, correct und wenigstens im Ausdruck poetisch zu bleiben.
Bei Platen ist das aber nicht der Fall. Man vergleiche folgende Verse:

Oder folgende:

Hier ist von deutscher Sprache gar nicht mehr die Rede. Selbst bei deutschen
Versen begegnet es ihm zuweilen, z. B.


Wenn aber dieses Geständnis; der Armuth nicht dem Dichter, sondern dem
deutschen Volke gelten soll, so muß dieses dagegen Protestiren; der Blick in die
erste beste Sammlung von Volkslieder» kann uus überzeugen, daß wir an einheimi¬
schen Weisen reicher sind, als die Sicilianer, die Franzosen, die Florentiner, die
Spanier und die Perser.

Platen hat gleichzeitig auch eine Reihe von Gedichten in deutschen Formen
geschrieben, und es zeugen einige darunter von einer natürlichen Anlage sür
Melodie, die wol hätte entwickelt werden können; doch anch nur einige. In den
meisten Liedern, Balladen und Romanzen wird die deutsche Weise gerade so be¬
handelt, wie die ausländische: die Form ist das prius, dem die Empfindungen,
Bilder und Gedanken sich anbequemen müssen. Was soll man z. B. zu folgendem
Versuch sagen, dnrch Alliteration die Sprache weicher zu machen:

Welcher Mensch kann das lesen! Abgesehen von der Undeutlichkeit des Sinns,
die durch die verschrobene Alliteration bedingt wird, ist anch der Klang ein wahr¬
haft abscheulicher. Wenn man überhaupt Platen das Verdienst zuspricht, ein
Herr über die Form zu sein, ein Verdienst, welches er selber mehrere hundertmal
ausgesprochen hat, so ist es doch sehr mit Unterschied zu verstehen. Er ist aller¬
dings im Stande gewesen, in jedem, auch in dem schwierigsten Versmaße, in
Versmaßen, die er blos ihrer Schwierigkeit halber sich selber erdacht hat, eine
gewisse Combination von Wörtern zu Stande zu bringen, in denen, wenn man
sich Mühe gibt, eine Art von grammatischer Construction aufzufinden ist; aber
darin besteht noch nicht die Herrschaft über die Form. Victor Hugo, der eine
ganz ähnliche Richtung hat, versteht es, das wunderbarste Maß anzuwenden, und
doch dabei verständlich, correct und wenigstens im Ausdruck poetisch zu bleiben.
Bei Platen ist das aber nicht der Fall. Man vergleiche folgende Verse:

Oder folgende:

Hier ist von deutscher Sprache gar nicht mehr die Rede. Selbst bei deutschen
Versen begegnet es ihm zuweilen, z. B.


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[0217] Wenn aber dieses Geständnis; der Armuth nicht dem Dichter, sondern dem deutschen Volke gelten soll, so muß dieses dagegen Protestiren; der Blick in die erste beste Sammlung von Volkslieder» kann uus überzeugen, daß wir an einheimi¬ schen Weisen reicher sind, als die Sicilianer, die Franzosen, die Florentiner, die Spanier und die Perser. Platen hat gleichzeitig auch eine Reihe von Gedichten in deutschen Formen geschrieben, und es zeugen einige darunter von einer natürlichen Anlage sür Melodie, die wol hätte entwickelt werden können; doch anch nur einige. In den meisten Liedern, Balladen und Romanzen wird die deutsche Weise gerade so be¬ handelt, wie die ausländische: die Form ist das prius, dem die Empfindungen, Bilder und Gedanken sich anbequemen müssen. Was soll man z. B. zu folgendem Versuch sagen, dnrch Alliteration die Sprache weicher zu machen: Welcher Mensch kann das lesen! Abgesehen von der Undeutlichkeit des Sinns, die durch die verschrobene Alliteration bedingt wird, ist anch der Klang ein wahr¬ haft abscheulicher. Wenn man überhaupt Platen das Verdienst zuspricht, ein Herr über die Form zu sein, ein Verdienst, welches er selber mehrere hundertmal ausgesprochen hat, so ist es doch sehr mit Unterschied zu verstehen. Er ist aller¬ dings im Stande gewesen, in jedem, auch in dem schwierigsten Versmaße, in Versmaßen, die er blos ihrer Schwierigkeit halber sich selber erdacht hat, eine gewisse Combination von Wörtern zu Stande zu bringen, in denen, wenn man sich Mühe gibt, eine Art von grammatischer Construction aufzufinden ist; aber darin besteht noch nicht die Herrschaft über die Form. Victor Hugo, der eine ganz ähnliche Richtung hat, versteht es, das wunderbarste Maß anzuwenden, und doch dabei verständlich, correct und wenigstens im Ausdruck poetisch zu bleiben. Bei Platen ist das aber nicht der Fall. Man vergleiche folgende Verse: Oder folgende: Hier ist von deutscher Sprache gar nicht mehr die Rede. Selbst bei deutschen Versen begegnet es ihm zuweilen, z. B.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/217>, abgerufen am 01.09.2024.