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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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verbunden mit der Ueberzeugung einer nur noch nicht wahrnehmbaren Kraft,
was ihn treibt. Sein Leben ist also kein glückliches gewesen, und seine Dichtun¬
gen machen keinen heitern Eindruck.

Wir betrachten zunächst seine lyrischen Gedichte. Sie scheiden sich, wie
auch seine dramatischen Werke, in zwei Perioden, die romantische und die classische,
die durch die italienische Reise getrennt werden. In beiden Perioden ist aber
das Gemeinsame, daß er zunächst uach einer Form strebt, und zwar nach einer
so künstlichen Form als möglich, um alsdann dieser den Inhalt anzupassen.
Zuerst waren es die Seltsamkeiten der orientalischen Poesie, welche ihn anzogen.
Dieselbe war in Deutschland durch Schlegel's Werk über die Weisheit der Jndier
(1808) angeregt, dann durch Hammer's Uebersetzungen und durch Goethe's west¬
östlichen Divan (1820) in die eigentliche Literatur eingeführt. Platen hatte sich
aus einer Reise nach Nürnberg von Friedrich Rückert, dem großen Kenner der
orientalischen Poesie, darin einweihen lassen. Die Folge dieser Belehrungen war
ein Büchlein "Ghaselen", welches 1821 erschien. In einer Widmung an Goethe
sagte er: "Der Orient sei neu bewegt, soll nicht nach Dir die Welt vernüchtern";
und er hat in Prosa und Poesie alles Mögliche aufgeboten, um das Publicum
davon zu überzeugen, daß eine neue Phase der Poesie damit begänne. Das
Publicum ließ sich nicht überzeugen. Deutschland strebte damals gerade sehr
lebhaft nach einer nationalen Dichtung. Wenn man von ihm nun plötzlich ein
selbstloses Versenken in die Gedanken und Empfindungen des Orients verlangte,
wenn man in einer Sprache zu ihm redete, die ihm schon durch die fortwäh¬
renden Anspielungen fremdartig vorkommen mußte, so ließ es sich das allen¬
falls bei Goethe gefallen, der das unbedingte Recht hatte, zu thun, was er
wollte; ein junger Dichter aber konnte damit nicht durchdringen. Zudem hatte
man nicht einmal den reinen Orient, wie in Rückert's "östlichen Rosen", was
wenigstens das Interesse der höher Gebildeten erregt haben würde; diese Illusion
wurde vielmehr durch fortwährende einzelne Anspielungen gestört, und man wußte
nie recht, in welchen Zonen man sich eigentlich bewegte. Ich muß beiläufig
gestehen, daß mir die nämliche Vermischung den größten Theil des "westostlicken
Divans" ebenso unerträglich macht. -- Im folgenden Jahre (1822) folgte der
"Spiegel des Hafis", der durch seine complicirte Neimspielerei noch mehr
gegen den herrschenden Geschmack verstieß; 1823 die "neuen Ghaselen",
deren veränderte Tendenz durch das Motto bezeichnet wird:


Der Orient ist abgethan,
Nun seht die Form als unser an.

Günstige Kritiker erkannten bereitwillig, "daß ein dem Orient gewachsener
Poet den Occident so erfaßt habe, wie etwa einer jener östlichen Dichter, wenn
er bei uns lebte, ihn würde aufgefaßt und beschaut haben." Eine wunderliche
Art der Poesie, die nur bei uns Deutschen möglich ist. Dagegen theilte Heine


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verbunden mit der Ueberzeugung einer nur noch nicht wahrnehmbaren Kraft,
was ihn treibt. Sein Leben ist also kein glückliches gewesen, und seine Dichtun¬
gen machen keinen heitern Eindruck.

Wir betrachten zunächst seine lyrischen Gedichte. Sie scheiden sich, wie
auch seine dramatischen Werke, in zwei Perioden, die romantische und die classische,
die durch die italienische Reise getrennt werden. In beiden Perioden ist aber
das Gemeinsame, daß er zunächst uach einer Form strebt, und zwar nach einer
so künstlichen Form als möglich, um alsdann dieser den Inhalt anzupassen.
Zuerst waren es die Seltsamkeiten der orientalischen Poesie, welche ihn anzogen.
Dieselbe war in Deutschland durch Schlegel's Werk über die Weisheit der Jndier
(1808) angeregt, dann durch Hammer's Uebersetzungen und durch Goethe's west¬
östlichen Divan (1820) in die eigentliche Literatur eingeführt. Platen hatte sich
aus einer Reise nach Nürnberg von Friedrich Rückert, dem großen Kenner der
orientalischen Poesie, darin einweihen lassen. Die Folge dieser Belehrungen war
ein Büchlein „Ghaselen", welches 1821 erschien. In einer Widmung an Goethe
sagte er: „Der Orient sei neu bewegt, soll nicht nach Dir die Welt vernüchtern";
und er hat in Prosa und Poesie alles Mögliche aufgeboten, um das Publicum
davon zu überzeugen, daß eine neue Phase der Poesie damit begänne. Das
Publicum ließ sich nicht überzeugen. Deutschland strebte damals gerade sehr
lebhaft nach einer nationalen Dichtung. Wenn man von ihm nun plötzlich ein
selbstloses Versenken in die Gedanken und Empfindungen des Orients verlangte,
wenn man in einer Sprache zu ihm redete, die ihm schon durch die fortwäh¬
renden Anspielungen fremdartig vorkommen mußte, so ließ es sich das allen¬
falls bei Goethe gefallen, der das unbedingte Recht hatte, zu thun, was er
wollte; ein junger Dichter aber konnte damit nicht durchdringen. Zudem hatte
man nicht einmal den reinen Orient, wie in Rückert's „östlichen Rosen", was
wenigstens das Interesse der höher Gebildeten erregt haben würde; diese Illusion
wurde vielmehr durch fortwährende einzelne Anspielungen gestört, und man wußte
nie recht, in welchen Zonen man sich eigentlich bewegte. Ich muß beiläufig
gestehen, daß mir die nämliche Vermischung den größten Theil des „westostlicken
Divans" ebenso unerträglich macht. — Im folgenden Jahre (1822) folgte der
„Spiegel des Hafis", der durch seine complicirte Neimspielerei noch mehr
gegen den herrschenden Geschmack verstieß; 1823 die „neuen Ghaselen",
deren veränderte Tendenz durch das Motto bezeichnet wird:


Der Orient ist abgethan,
Nun seht die Form als unser an.

Günstige Kritiker erkannten bereitwillig, „daß ein dem Orient gewachsener
Poet den Occident so erfaßt habe, wie etwa einer jener östlichen Dichter, wenn
er bei uns lebte, ihn würde aufgefaßt und beschaut haben." Eine wunderliche
Art der Poesie, die nur bei uns Deutschen möglich ist. Dagegen theilte Heine


26*
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[0215] verbunden mit der Ueberzeugung einer nur noch nicht wahrnehmbaren Kraft, was ihn treibt. Sein Leben ist also kein glückliches gewesen, und seine Dichtun¬ gen machen keinen heitern Eindruck. Wir betrachten zunächst seine lyrischen Gedichte. Sie scheiden sich, wie auch seine dramatischen Werke, in zwei Perioden, die romantische und die classische, die durch die italienische Reise getrennt werden. In beiden Perioden ist aber das Gemeinsame, daß er zunächst uach einer Form strebt, und zwar nach einer so künstlichen Form als möglich, um alsdann dieser den Inhalt anzupassen. Zuerst waren es die Seltsamkeiten der orientalischen Poesie, welche ihn anzogen. Dieselbe war in Deutschland durch Schlegel's Werk über die Weisheit der Jndier (1808) angeregt, dann durch Hammer's Uebersetzungen und durch Goethe's west¬ östlichen Divan (1820) in die eigentliche Literatur eingeführt. Platen hatte sich aus einer Reise nach Nürnberg von Friedrich Rückert, dem großen Kenner der orientalischen Poesie, darin einweihen lassen. Die Folge dieser Belehrungen war ein Büchlein „Ghaselen", welches 1821 erschien. In einer Widmung an Goethe sagte er: „Der Orient sei neu bewegt, soll nicht nach Dir die Welt vernüchtern"; und er hat in Prosa und Poesie alles Mögliche aufgeboten, um das Publicum davon zu überzeugen, daß eine neue Phase der Poesie damit begänne. Das Publicum ließ sich nicht überzeugen. Deutschland strebte damals gerade sehr lebhaft nach einer nationalen Dichtung. Wenn man von ihm nun plötzlich ein selbstloses Versenken in die Gedanken und Empfindungen des Orients verlangte, wenn man in einer Sprache zu ihm redete, die ihm schon durch die fortwäh¬ renden Anspielungen fremdartig vorkommen mußte, so ließ es sich das allen¬ falls bei Goethe gefallen, der das unbedingte Recht hatte, zu thun, was er wollte; ein junger Dichter aber konnte damit nicht durchdringen. Zudem hatte man nicht einmal den reinen Orient, wie in Rückert's „östlichen Rosen", was wenigstens das Interesse der höher Gebildeten erregt haben würde; diese Illusion wurde vielmehr durch fortwährende einzelne Anspielungen gestört, und man wußte nie recht, in welchen Zonen man sich eigentlich bewegte. Ich muß beiläufig gestehen, daß mir die nämliche Vermischung den größten Theil des „westostlicken Divans" ebenso unerträglich macht. — Im folgenden Jahre (1822) folgte der „Spiegel des Hafis", der durch seine complicirte Neimspielerei noch mehr gegen den herrschenden Geschmack verstieß; 1823 die „neuen Ghaselen", deren veränderte Tendenz durch das Motto bezeichnet wird: Der Orient ist abgethan, Nun seht die Form als unser an. Günstige Kritiker erkannten bereitwillig, „daß ein dem Orient gewachsener Poet den Occident so erfaßt habe, wie etwa einer jener östlichen Dichter, wenn er bei uns lebte, ihn würde aufgefaßt und beschaut haben." Eine wunderliche Art der Poesie, die nur bei uns Deutschen möglich ist. Dagegen theilte Heine 26*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/215>, abgerufen am 01.09.2024.