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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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rectior fehlt, welche durch alle Tapferkeit der Krajiuaer nicht ersetzt werden kann.
Das Bedeutungsvolle eines böhmischen Befreiungskampfes von osmanischer
Oberherrschaft, wie es aus den angedeuteten Reden Ali-Keditsch's hervortrat,
fällt nun weg und der Aufstand verläuft in dem Sande höhnisch-türkischer Neac-
tionsgelüste wie alle frühern.

Dessenungeachtet hat Omer-Pascha noch immer eine sehr schwierige Stellung.
Er ist niemals sicher, daß der Aufstand, wenn anch bezwungen, nicht immer wieder
hinter seinem Rücken auflodert, deun so lange die Pforte auf der Bahn liberalen
Fortschrittes geht, hat sie nicht nur an den böhmischen Türken geschworn" Gegner,
sondern ein stets kampffertiges feindliches Heer, welches jeden Unfall der Pforte
in Europa, Asien und Afrika zu seinem Vortheile auszubeuten weiß. So ist es
beinahe in allen türkischen Provinzen; sie werden sämmtlich nur durch Gewalt
beisammen erhalten, erfordern daher eine große Armee, deren Erhaltung uner¬
schwingliche Summen kostet. Diese Armeen sind überdies noch sehr unzuverlässig;
Omer-Pascha beschwerte sich oft genug über die Polen und Magyaren in seinem
Armeecorps, welche durch Raub nud Plünderung und totale Demoralisation Alles
verdarben, was er mit Mühe zurechtgebracht hatte -- außerdem, daß sie sehr
schlechte Soldaten sind, und durch ihre Brutalität gegen die Naja Diese von Omer-
Pascha, dem die Raja sehr zugeneigt ist, abstoßen, und zum Feinde machen.

Hiermit wären wir zu einem wichtigen Punkte unsrer Betrachtung gekommen,
obwol Viele (mit dem Fragmentisteu, der übrigens Bosnien und Bulgarien nicht
kennt) die Raja sür ein völlig indifferentes Element halten und ihre Bedeutung
nicht anerkennen mögen. Wol gebe ich zu, daß die Raja, sich selbst überlassen,
keine große Rolle im Augenblicke spielen kann; aber Man darf sie durchaus nicht
als gänzlich isolirt betrachten. Die gesammte Raja ist durch Stammes- und
Religionsverwandtschast ein vorgeschobener Posten Rußlands, welches hier mora¬
lisch seit Jahrhunderten herrscht, und dessen Herrschaft durch alle englisch-französi¬
schen Reclamationen nicht gebrochen werden wird. Man weiß dies in Nußland
ganz genau, daher braucht diese Macht hier keine Propaganda, und es ist That¬
sache, daß sich zumal in Bosnien keinerlei russische Emissaire befinden. Die Raja
blieb während aller böhmischen Aufstände ganz ruhig, nicht blos, weil sie sür die
Insurgenten keine Sympathien hegt, denn sie liebt auch die Pforte aus begreif¬
lichen Gründen nicht, sondern weil sie weiß, daß ihre Stunde noch nicht geschla¬
gen. Kommt aber diese Stunde, so wird die Raja augenblicklich gerüstet dastehen,
und nicht so leicht zu bekämpfen sein als die Türken. Omer-Pascha steht dies
wol ein; er trachtete daher vom Beginn seines Kommandos an, die Raja durch
die Einführung der zu ihren Gunsten gemachten Zugeständnisse für die Pforte zu
gewinnen, oder sie doch wenigstens von einer Parteinahme für die Insurgenten
fern zu halten. Dies gelang sehr leicht und so zwar, daß die Raja im Nothfalle
zur Bekämpfung der Jnsurrection geneigt sein dürfte, doch, wie gesagt, nur im


rectior fehlt, welche durch alle Tapferkeit der Krajiuaer nicht ersetzt werden kann.
Das Bedeutungsvolle eines böhmischen Befreiungskampfes von osmanischer
Oberherrschaft, wie es aus den angedeuteten Reden Ali-Keditsch's hervortrat,
fällt nun weg und der Aufstand verläuft in dem Sande höhnisch-türkischer Neac-
tionsgelüste wie alle frühern.

Dessenungeachtet hat Omer-Pascha noch immer eine sehr schwierige Stellung.
Er ist niemals sicher, daß der Aufstand, wenn anch bezwungen, nicht immer wieder
hinter seinem Rücken auflodert, deun so lange die Pforte auf der Bahn liberalen
Fortschrittes geht, hat sie nicht nur an den böhmischen Türken geschworn« Gegner,
sondern ein stets kampffertiges feindliches Heer, welches jeden Unfall der Pforte
in Europa, Asien und Afrika zu seinem Vortheile auszubeuten weiß. So ist es
beinahe in allen türkischen Provinzen; sie werden sämmtlich nur durch Gewalt
beisammen erhalten, erfordern daher eine große Armee, deren Erhaltung uner¬
schwingliche Summen kostet. Diese Armeen sind überdies noch sehr unzuverlässig;
Omer-Pascha beschwerte sich oft genug über die Polen und Magyaren in seinem
Armeecorps, welche durch Raub nud Plünderung und totale Demoralisation Alles
verdarben, was er mit Mühe zurechtgebracht hatte — außerdem, daß sie sehr
schlechte Soldaten sind, und durch ihre Brutalität gegen die Naja Diese von Omer-
Pascha, dem die Raja sehr zugeneigt ist, abstoßen, und zum Feinde machen.

Hiermit wären wir zu einem wichtigen Punkte unsrer Betrachtung gekommen,
obwol Viele (mit dem Fragmentisteu, der übrigens Bosnien und Bulgarien nicht
kennt) die Raja sür ein völlig indifferentes Element halten und ihre Bedeutung
nicht anerkennen mögen. Wol gebe ich zu, daß die Raja, sich selbst überlassen,
keine große Rolle im Augenblicke spielen kann; aber Man darf sie durchaus nicht
als gänzlich isolirt betrachten. Die gesammte Raja ist durch Stammes- und
Religionsverwandtschast ein vorgeschobener Posten Rußlands, welches hier mora¬
lisch seit Jahrhunderten herrscht, und dessen Herrschaft durch alle englisch-französi¬
schen Reclamationen nicht gebrochen werden wird. Man weiß dies in Nußland
ganz genau, daher braucht diese Macht hier keine Propaganda, und es ist That¬
sache, daß sich zumal in Bosnien keinerlei russische Emissaire befinden. Die Raja
blieb während aller böhmischen Aufstände ganz ruhig, nicht blos, weil sie sür die
Insurgenten keine Sympathien hegt, denn sie liebt auch die Pforte aus begreif¬
lichen Gründen nicht, sondern weil sie weiß, daß ihre Stunde noch nicht geschla¬
gen. Kommt aber diese Stunde, so wird die Raja augenblicklich gerüstet dastehen,
und nicht so leicht zu bekämpfen sein als die Türken. Omer-Pascha steht dies
wol ein; er trachtete daher vom Beginn seines Kommandos an, die Raja durch
die Einführung der zu ihren Gunsten gemachten Zugeständnisse für die Pforte zu
gewinnen, oder sie doch wenigstens von einer Parteinahme für die Insurgenten
fern zu halten. Dies gelang sehr leicht und so zwar, daß die Raja im Nothfalle
zur Bekämpfung der Jnsurrection geneigt sein dürfte, doch, wie gesagt, nur im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/198>, abgerufen am 27.07.2024.