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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts herbeiführte, und nun das Sinken der
osmanischen Herrschaft beschleunigt und befördert. Bosnien befindet sich schon
seit Jahrzehenden im Zustande permanenter Jnsurrection und Anarchie, und man
gewöhnte sich in Stambul nach und nach, dieses als einen normalen Zustand an¬
zusehen, um so leichter, als die-Pforte durchaus uicht im Stande war, große An¬
strengungen zu dessen Bekämpfung zu machen, und weil ihr dieselbe wegen der
innern Verhältnisse Bosniens auch nicht sehr gefährlich schien.

Bosnien mit der Erzegowina und der Krajina (bei deutschen Geo- und
Kartographen sonderbarer Weise "Türkisch-Kroatien" genannt) zählt nämlich etwas
über anderthalb Millionen Bewohner, sämmtlich (mit Ausnahme von etwa 20,000Os-
manlis) zum serbischen Stamme gehörig; davon sind etwa 250,000 Muhamedaner,
die übrigen griechisch-slawische Christen und bei 60,000 Katholiken. Die ehemals
patarenische Aristokratie hatte ihre Privilegien und Güter durch die Annahme des
Islam gerettet; einige ihrer Unterthanen waren ihr gefolgt, die Mehrzahl blieb
aber dem Christenthume tren und gerieth in das traurigste Abhängigkeitsverhält-
niß. Die grundbesitzenden Aristokraten, die Spahije, wurden Lehnöträger der
Pforte, und doppelter religiöser und politischer Druck lastete nun auf der Raja.
Die Spahije und die Beamten der Pforte sogen die Raja gemeinschaftlich aus;
Erstere affectirter religiösen Fanatismus, um unter diesem Deckmantel die erhaltenen
Vortheile behaupten und die Raja im Vereine mit den Letzteren desto sicherer
plündern zu dürfen. Es ist leicht begreiflich, daß die Raja ihren Drängern nicht
hold sein konnte; sie war und blieb ein ewig lauernder Feind der Spahije und
der türkischen Negierung, welche diese stützte. In der That war der Druck aus
den Christen nirgends größer als in Bosnien, vielleicht eben weil er von Glie¬
dern eines und desselben Volkes ausgeübt wurde, wie es das Sprüchwort "sie
hassen sich wie Brüder" anzudeuten scheint.

Diese feindselige Stimmung der muhamedanischen Herren und christlichen
Unterthanen ist wol der hauptsächlichste Grund, daß die Erstem scheinbar zur
Psorte hielten, um durch deren Hilfe die dreifach zahlreichere Raja in gewohnter
Abhängigkeit zu erhalten. Man wußte dies in Stambul recht gut, und legte den
fortwährenden Reibungen zwischen den Weziren und den Spahije keine große
Bedeutung bei, denn man brauchte sich gegenseitig, und Thatsache ist es, daß
keinem der unzähligen böhmischen Aufstände der Gedanke an eine Befreiung von
der Oberherrschaft der Pforte zu Grnnde lag. Die Spahije sind zu gute Rechen¬
meister gewesen, um nicht herauszucalculiren, daß man ohne die Hilfe der Pforte
eine viel schwierigere Stellung zur Raja hätte als sonst. Dessenungeachtet stauben
sie stets 'gegen die Psorte gerüstet da und ließen zu deren Gunsten nicht das un¬
bedeutendste ihrer Privilegien fallen. Sie leisteten im Nothfalle Kriegsdienst,
zahlten aber keine Steuern; als die Pforte den Nisami-Dschedid einführte und
ihnen zumuthete, sie sollten dazu Recruten stellen und Steuern zahlen", waren


der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts herbeiführte, und nun das Sinken der
osmanischen Herrschaft beschleunigt und befördert. Bosnien befindet sich schon
seit Jahrzehenden im Zustande permanenter Jnsurrection und Anarchie, und man
gewöhnte sich in Stambul nach und nach, dieses als einen normalen Zustand an¬
zusehen, um so leichter, als die-Pforte durchaus uicht im Stande war, große An¬
strengungen zu dessen Bekämpfung zu machen, und weil ihr dieselbe wegen der
innern Verhältnisse Bosniens auch nicht sehr gefährlich schien.

Bosnien mit der Erzegowina und der Krajina (bei deutschen Geo- und
Kartographen sonderbarer Weise „Türkisch-Kroatien" genannt) zählt nämlich etwas
über anderthalb Millionen Bewohner, sämmtlich (mit Ausnahme von etwa 20,000Os-
manlis) zum serbischen Stamme gehörig; davon sind etwa 250,000 Muhamedaner,
die übrigen griechisch-slawische Christen und bei 60,000 Katholiken. Die ehemals
patarenische Aristokratie hatte ihre Privilegien und Güter durch die Annahme des
Islam gerettet; einige ihrer Unterthanen waren ihr gefolgt, die Mehrzahl blieb
aber dem Christenthume tren und gerieth in das traurigste Abhängigkeitsverhält-
niß. Die grundbesitzenden Aristokraten, die Spahije, wurden Lehnöträger der
Pforte, und doppelter religiöser und politischer Druck lastete nun auf der Raja.
Die Spahije und die Beamten der Pforte sogen die Raja gemeinschaftlich aus;
Erstere affectirter religiösen Fanatismus, um unter diesem Deckmantel die erhaltenen
Vortheile behaupten und die Raja im Vereine mit den Letzteren desto sicherer
plündern zu dürfen. Es ist leicht begreiflich, daß die Raja ihren Drängern nicht
hold sein konnte; sie war und blieb ein ewig lauernder Feind der Spahije und
der türkischen Negierung, welche diese stützte. In der That war der Druck aus
den Christen nirgends größer als in Bosnien, vielleicht eben weil er von Glie¬
dern eines und desselben Volkes ausgeübt wurde, wie es das Sprüchwort „sie
hassen sich wie Brüder" anzudeuten scheint.

Diese feindselige Stimmung der muhamedanischen Herren und christlichen
Unterthanen ist wol der hauptsächlichste Grund, daß die Erstem scheinbar zur
Psorte hielten, um durch deren Hilfe die dreifach zahlreichere Raja in gewohnter
Abhängigkeit zu erhalten. Man wußte dies in Stambul recht gut, und legte den
fortwährenden Reibungen zwischen den Weziren und den Spahije keine große
Bedeutung bei, denn man brauchte sich gegenseitig, und Thatsache ist es, daß
keinem der unzähligen böhmischen Aufstände der Gedanke an eine Befreiung von
der Oberherrschaft der Pforte zu Grnnde lag. Die Spahije sind zu gute Rechen¬
meister gewesen, um nicht herauszucalculiren, daß man ohne die Hilfe der Pforte
eine viel schwierigere Stellung zur Raja hätte als sonst. Dessenungeachtet stauben
sie stets 'gegen die Psorte gerüstet da und ließen zu deren Gunsten nicht das un¬
bedeutendste ihrer Privilegien fallen. Sie leisteten im Nothfalle Kriegsdienst,
zahlten aber keine Steuern; als die Pforte den Nisami-Dschedid einführte und
ihnen zumuthete, sie sollten dazu Recruten stellen und Steuern zahlen", waren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/193>, abgerufen am 27.07.2024.