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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Mit einander verwandt sind die Symphonie-, Trio- und Quartett-Soirien.
Die erster" sind nach wie vor der Mittelpunkt der vornehm-musikalischen Welt,
Es ist ein Erfordernis) der Bildung, sich im Behn? eines Abonnementsbillets zu
den Symphoniecoucerten zu befinden. In diesem Winter konnte den Ansprüchen
des Publicums nicht mehr genügt werden; mehrere hundert Abonnementsbcdürftige
mußten trostlos heimkehren. Kein Auditorium ist so rigoristisch, als dieses; aus zwei
Symphonien und zwei Ouverturen besteht ein für alle Mal das Programm; wehe
dem Kapellmeister, der es wagen wollte, etwas Fremdartiges hineinzumischen!
Ueber Beethoven, Mozart und Haydn erstreckt sich der Horizont nicht. Schu-
mann's Symphonien, ja selbst die Schubert'sche, wird nicht geduldet. Gelingt es
einmal, etwas Neues einzuschmuggeln, so ist das Todesurtheil von vorn herein
gesprochen, und es scheint eigentlich nur darauf anzukommen, ob der Autor auf
etwas mehr oder auf etwas weniger qualvolle Weise vom Leben zum Tode ge¬
fördert wird. Am Aergsten erging es Dorn mit derselben Symphonie, die in
Leipzig Beifall gefunden hat. Man halt hier einmal mit Strenge an Beethoven's
Muster fest, und war um so nüßgestimmtcr gegen Dorn, da Dieser schon dreimal frü¬
her unglückliche Versuche ähnlicher Art gemacht hatte. Etwas glücklicher war Taubert,
am Glücklichsten Louis Estere mit seiner Frühlingssymphonie, deren erster Satz recht
vielen Anklang fand. Estere ist ein junger Komponist von viel Talent, er scheint sich
aber einer Richtung ergeben zu haben, deren weiterer Versolg die Musik in die
größten Abwege führt. Er ist Romantiker in der Musik; die fernsten, gesuchte¬
sten Tongebilde reizen seine Phantasie mehr, als das Einfache und Natürliche,
das für jedes vollendete Kunstwerk wenigstens Stütze und Ausgangpnnkt sein
muß. Wir lassen uns in der Poesie sowol als in der Musik das Entlegene
gefallen, wenn wir sehen und hören, wie es naturgemäß aus dem Einfachen
entsteht, und wenn wir nicht zu lange in den fernsten Regionen umhergetrieben
werden. Es sind ""richtige Vorstellungen von Originalität und Individualität,
wenn man diese, anstatt sie in der Rundung des Ganzen und in der Wahrheit
und Lebendigkeit des Ausdruckes zu suchen, durch möglichst viele pikante, geistreiche
Wendungen zu erreichen glaubt. Die heutige" Musiker sowol als das Publicum
nehmen noch ein zu Stoffartiges Interesse an der Musik, das mit Nothwendigkeit
bald zu den wildesten Extremen, bald zu den sonderbarsten Schnörkeleien nud
Verzerrungen, bald zu nebelhaften und verschwommenen Gebilden führt. Durch
diese Richtung wird der gute Geschmack zu Grnnde gerichtet, und es läßt sich
den ans ihr hervorgehenden Werken eben so wenig Lebensdauer versprechen, als
die poetischen Productionen der Romantik lebensfähig gewesen sind, die ebenfalls
ans einem überspannten Haß gegen Alles an das wirkliche, alltägliche Leben
Erinnernde und aus der Unfähigkeit, das Reale zu idealisiren, hervorgingen. Es
gibt nur einen Weg, um zu einer neuen, glänzenden Periode der Musik zu ge¬
langen, und dies ist derselbe Weg, der fiir die Poesie der einzig richtige ist.


Mit einander verwandt sind die Symphonie-, Trio- und Quartett-Soirien.
Die erster« sind nach wie vor der Mittelpunkt der vornehm-musikalischen Welt,
Es ist ein Erfordernis) der Bildung, sich im Behn? eines Abonnementsbillets zu
den Symphoniecoucerten zu befinden. In diesem Winter konnte den Ansprüchen
des Publicums nicht mehr genügt werden; mehrere hundert Abonnementsbcdürftige
mußten trostlos heimkehren. Kein Auditorium ist so rigoristisch, als dieses; aus zwei
Symphonien und zwei Ouverturen besteht ein für alle Mal das Programm; wehe
dem Kapellmeister, der es wagen wollte, etwas Fremdartiges hineinzumischen!
Ueber Beethoven, Mozart und Haydn erstreckt sich der Horizont nicht. Schu-
mann's Symphonien, ja selbst die Schubert'sche, wird nicht geduldet. Gelingt es
einmal, etwas Neues einzuschmuggeln, so ist das Todesurtheil von vorn herein
gesprochen, und es scheint eigentlich nur darauf anzukommen, ob der Autor auf
etwas mehr oder auf etwas weniger qualvolle Weise vom Leben zum Tode ge¬
fördert wird. Am Aergsten erging es Dorn mit derselben Symphonie, die in
Leipzig Beifall gefunden hat. Man halt hier einmal mit Strenge an Beethoven's
Muster fest, und war um so nüßgestimmtcr gegen Dorn, da Dieser schon dreimal frü¬
her unglückliche Versuche ähnlicher Art gemacht hatte. Etwas glücklicher war Taubert,
am Glücklichsten Louis Estere mit seiner Frühlingssymphonie, deren erster Satz recht
vielen Anklang fand. Estere ist ein junger Komponist von viel Talent, er scheint sich
aber einer Richtung ergeben zu haben, deren weiterer Versolg die Musik in die
größten Abwege führt. Er ist Romantiker in der Musik; die fernsten, gesuchte¬
sten Tongebilde reizen seine Phantasie mehr, als das Einfache und Natürliche,
das für jedes vollendete Kunstwerk wenigstens Stütze und Ausgangpnnkt sein
muß. Wir lassen uns in der Poesie sowol als in der Musik das Entlegene
gefallen, wenn wir sehen und hören, wie es naturgemäß aus dem Einfachen
entsteht, und wenn wir nicht zu lange in den fernsten Regionen umhergetrieben
werden. Es sind »»richtige Vorstellungen von Originalität und Individualität,
wenn man diese, anstatt sie in der Rundung des Ganzen und in der Wahrheit
und Lebendigkeit des Ausdruckes zu suchen, durch möglichst viele pikante, geistreiche
Wendungen zu erreichen glaubt. Die heutige» Musiker sowol als das Publicum
nehmen noch ein zu Stoffartiges Interesse an der Musik, das mit Nothwendigkeit
bald zu den wildesten Extremen, bald zu den sonderbarsten Schnörkeleien nud
Verzerrungen, bald zu nebelhaften und verschwommenen Gebilden führt. Durch
diese Richtung wird der gute Geschmack zu Grnnde gerichtet, und es läßt sich
den ans ihr hervorgehenden Werken eben so wenig Lebensdauer versprechen, als
die poetischen Productionen der Romantik lebensfähig gewesen sind, die ebenfalls
ans einem überspannten Haß gegen Alles an das wirkliche, alltägliche Leben
Erinnernde und aus der Unfähigkeit, das Reale zu idealisiren, hervorgingen. Es
gibt nur einen Weg, um zu einer neuen, glänzenden Periode der Musik zu ge¬
langen, und dies ist derselbe Weg, der fiir die Poesie der einzig richtige ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/182>, abgerufen am 01.09.2024.