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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Uebrigens flließen diese Zähren Ver Wehmuth nicht ausschließlich; den Hauptinhalt
der Gedichte bilden vielmehr eine Reihe von Erzählungen in der' Wieland'sclM
Form, die an sich ganz lobenswert!) sind und nur einen strengern Rhythmus ver¬
langen. Die poetische Erzählung ungefähr in der Weise, wie sie Byron aus¬
gebildet hat, gibt den Dichtern noch ein reiches Feld, aber man soll in ihr ebenso
den Knittelvers wie die Pedantische Ottave vermeiden. Wenn man nicht den vier-"
füßigen Jambus der Engländer, der auch dem deutschen Ohr verwandt klingt,
wählen will, so bietet sich die Terzine als ein angemessenes Versmaß, ungefähr in Ver
Art, wie sie Chamisso angewendet hat. Herr Hartmann zeichnet sich vor allen östreichi¬
schen Dichtern durch die Reinheit seiner Sprache und die Glätte seiner Verse aus. Es
kommt nur darauf an, daß er einen Stoff findet, dem er sich mit jener Innigkeit und
jenem Studium, ohne welches eine echte Poesie nicht denkbar ist, hingibt. Leider haben
ihn seine frühern politischen Gedichte aus der Herwegh-Prutz'schen Periode, so wie
seine spätere parlamentarische Thätigkeit, die sich zuletzt auf die wohlfeile" Späße des
Pfaffen Mauritius zusammenspitzte, in jene Modepoesie verstrickt, die so lange begierig
gekauft ist, bis die Schneider in Paris einen neuen Schnitt ausbringen, worauf man
sie dann in den Schutt wirst. Nichts ist leichter und dem Anschein nach dankbarer,
als politische Epigramme zu machen, wo man von irgend einer Seite auf Sympathie
zu rechnen hat; aber Nichts ist auch unfruchtbarer. Herr Hartmann hat sich im vorigen
Jahr durch sein Idyll: "Adam und Eva" (Leipzig, Herbig) aus einen andern Weg
begeben, und wenn er auch auf demselben nicht das geleistet hat, was er nach seine"
Talent leisten könnte, weil man Zur Natur nicht ohne Mühe Und Anstrengung zurück¬
kehrt, so ist es doch schon billigenswerth, das er nur überhaupt den Versuch gemacht
hat. -- In einem andern Buch tritt uns ein alter Bekannter entgegen, der politische
Nachtwächter des Jahres 1842. Es heißt: "Nacht und Morgen. Neue Zeitge¬
dichte von Franz Dingelstedt." (Stnttgarvt, Cotta). Er hat das Nachtwächter-
costum wieder aufgenommen und in-acht harmlose Scherze über die Angriffe, die seine
Bekehrung zum Hofdienst hervorgerufen hat. Neben mehrern ziemlich unerquicklichen
politischen Epigrammen finden wir auch einige recht gute Einfälle, und darunter rechnen
wir ein Ghasel auf Berlin, welches wir hier mittheilen. ,


Uebrigens flließen diese Zähren Ver Wehmuth nicht ausschließlich; den Hauptinhalt
der Gedichte bilden vielmehr eine Reihe von Erzählungen in der' Wieland'sclM
Form, die an sich ganz lobenswert!) sind und nur einen strengern Rhythmus ver¬
langen. Die poetische Erzählung ungefähr in der Weise, wie sie Byron aus¬
gebildet hat, gibt den Dichtern noch ein reiches Feld, aber man soll in ihr ebenso
den Knittelvers wie die Pedantische Ottave vermeiden. Wenn man nicht den vier-"
füßigen Jambus der Engländer, der auch dem deutschen Ohr verwandt klingt,
wählen will, so bietet sich die Terzine als ein angemessenes Versmaß, ungefähr in Ver
Art, wie sie Chamisso angewendet hat. Herr Hartmann zeichnet sich vor allen östreichi¬
schen Dichtern durch die Reinheit seiner Sprache und die Glätte seiner Verse aus. Es
kommt nur darauf an, daß er einen Stoff findet, dem er sich mit jener Innigkeit und
jenem Studium, ohne welches eine echte Poesie nicht denkbar ist, hingibt. Leider haben
ihn seine frühern politischen Gedichte aus der Herwegh-Prutz'schen Periode, so wie
seine spätere parlamentarische Thätigkeit, die sich zuletzt auf die wohlfeile» Späße des
Pfaffen Mauritius zusammenspitzte, in jene Modepoesie verstrickt, die so lange begierig
gekauft ist, bis die Schneider in Paris einen neuen Schnitt ausbringen, worauf man
sie dann in den Schutt wirst. Nichts ist leichter und dem Anschein nach dankbarer,
als politische Epigramme zu machen, wo man von irgend einer Seite auf Sympathie
zu rechnen hat; aber Nichts ist auch unfruchtbarer. Herr Hartmann hat sich im vorigen
Jahr durch sein Idyll: „Adam und Eva" (Leipzig, Herbig) aus einen andern Weg
begeben, und wenn er auch auf demselben nicht das geleistet hat, was er nach seine«
Talent leisten könnte, weil man Zur Natur nicht ohne Mühe Und Anstrengung zurück¬
kehrt, so ist es doch schon billigenswerth, das er nur überhaupt den Versuch gemacht
hat. — In einem andern Buch tritt uns ein alter Bekannter entgegen, der politische
Nachtwächter des Jahres 1842. Es heißt: „Nacht und Morgen. Neue Zeitge¬
dichte von Franz Dingelstedt." (Stnttgarvt, Cotta). Er hat das Nachtwächter-
costum wieder aufgenommen und in-acht harmlose Scherze über die Angriffe, die seine
Bekehrung zum Hofdienst hervorgerufen hat. Neben mehrern ziemlich unerquicklichen
politischen Epigrammen finden wir auch einige recht gute Einfälle, und darunter rechnen
wir ein Ghasel auf Berlin, welches wir hier mittheilen. ,


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[0170] Uebrigens flließen diese Zähren Ver Wehmuth nicht ausschließlich; den Hauptinhalt der Gedichte bilden vielmehr eine Reihe von Erzählungen in der' Wieland'sclM Form, die an sich ganz lobenswert!) sind und nur einen strengern Rhythmus ver¬ langen. Die poetische Erzählung ungefähr in der Weise, wie sie Byron aus¬ gebildet hat, gibt den Dichtern noch ein reiches Feld, aber man soll in ihr ebenso den Knittelvers wie die Pedantische Ottave vermeiden. Wenn man nicht den vier-" füßigen Jambus der Engländer, der auch dem deutschen Ohr verwandt klingt, wählen will, so bietet sich die Terzine als ein angemessenes Versmaß, ungefähr in Ver Art, wie sie Chamisso angewendet hat. Herr Hartmann zeichnet sich vor allen östreichi¬ schen Dichtern durch die Reinheit seiner Sprache und die Glätte seiner Verse aus. Es kommt nur darauf an, daß er einen Stoff findet, dem er sich mit jener Innigkeit und jenem Studium, ohne welches eine echte Poesie nicht denkbar ist, hingibt. Leider haben ihn seine frühern politischen Gedichte aus der Herwegh-Prutz'schen Periode, so wie seine spätere parlamentarische Thätigkeit, die sich zuletzt auf die wohlfeile» Späße des Pfaffen Mauritius zusammenspitzte, in jene Modepoesie verstrickt, die so lange begierig gekauft ist, bis die Schneider in Paris einen neuen Schnitt ausbringen, worauf man sie dann in den Schutt wirst. Nichts ist leichter und dem Anschein nach dankbarer, als politische Epigramme zu machen, wo man von irgend einer Seite auf Sympathie zu rechnen hat; aber Nichts ist auch unfruchtbarer. Herr Hartmann hat sich im vorigen Jahr durch sein Idyll: „Adam und Eva" (Leipzig, Herbig) aus einen andern Weg begeben, und wenn er auch auf demselben nicht das geleistet hat, was er nach seine« Talent leisten könnte, weil man Zur Natur nicht ohne Mühe Und Anstrengung zurück¬ kehrt, so ist es doch schon billigenswerth, das er nur überhaupt den Versuch gemacht hat. — In einem andern Buch tritt uns ein alter Bekannter entgegen, der politische Nachtwächter des Jahres 1842. Es heißt: „Nacht und Morgen. Neue Zeitge¬ dichte von Franz Dingelstedt." (Stnttgarvt, Cotta). Er hat das Nachtwächter- costum wieder aufgenommen und in-acht harmlose Scherze über die Angriffe, die seine Bekehrung zum Hofdienst hervorgerufen hat. Neben mehrern ziemlich unerquicklichen politischen Epigrammen finden wir auch einige recht gute Einfälle, und darunter rechnen wir ein Ghasel auf Berlin, welches wir hier mittheilen. ,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/170>, abgerufen am 01.09.2024.