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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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bella hat in ihren Erzählungen, in dem, was sie aufklärt, in dem, was sie ver¬
schweigt, die schwächsten Motive der Tragödie zu tragen. Mit künstlerischem
Takte gibt Auguste Crelinger gerade der künstlichsten Romantik, der Mittheilung
der Träume von den Lorbeerbäumen, der Feuerlilie und dem Löwen, die einfachste,
schlichteste Haltung der Rede, und führt den Hörer über die Wiederholungen im
vierten Akt mit dem rapiden Tempo der bangen Erregung hinweg. Erschütternd
ist ihre Darstellung des furchtbaren Schmerzes der Mutter an der Leiche des
Erstgeborenen, der Gebrochenheit der Seele durch die anstürmenden unendlichen
Leiden, gegen die der trotzende Verstand umsonst den verwegenen Kampf unter¬
nimmt. Sie hebt das Menschliche dieses Kampfes eben so schön hervor, wie sie
das Fatalistische discret und rücksichtsvoll anschlägt. Außerdem lag in der eigenen
Individualität der Crelinger die Neigung zu mehr plastischem als malerischem Aus¬
druck. Daher erreichte sie den höchsten Gipfel ihrer Kunst in jener Sphäre, wo die
reine Idealität als ausschließliche Seelenstimmung erscheint: in Goethes Iphi-
genia und in der Antigone des Sophokles. Sie gibt in ihren Darstellungen
mehr große Züge des Seelenzustandes, der Leidenschaft, als Charaktere, die in
einem Reichthum verschiedener Beziehungen vielfältig sich ausleben. Aus der
wahren Darstellung großer Leidenschaften erwächst allerdings eher eine große
Charakterdarstellung, als aus der neuerdings vielfach in's Kleinliche streifenden
Genremalerei. Wo dagegen eine reiche geistige Welt mit anerzogenen und ange¬
wohnter Lebensbedingungen in Widerstreit gerät!), wo nicht eine große Rich¬
tung den Charakter bestimmt, sondern ein Spiel von gesellschaftlichen Formen
und einander widerstrebenden Verstandes- und Gefühlsmomcnten in heiterer
Komik sich entfalten soll, wie in Donna Diana, da vermißte ich jene weibliche
Koketterie, die im Kampfe des Stolzes zugleich dessen innere Schwäche verräth,
und zum Bundesgenossen der Liebe wird. In der Diana, welche Frau Crelinger
gab, sah ich immer nur den Kampf des Stolzes mit der Leidenschaft; der Cha¬
rakter erhielt eine tragische, statt einer lustspielartigen Färbung.

Das Spiel der Crelinger ist studirt, aber das Studirte tritt nie in ver¬
einzelter Absichtlichkeit störend hervor. Es ist im Ganzen offenbar durch das
Gemüth empfangen und in allem Mimisch-Plastischen von einem schönen Maße
beherrscht. Ich erinnere mich, in der Iphigenia durch das stumme Spiel der
Crelinger, das die Erzählung des Orest begleitete, einen so tiefen Eindruck em¬
pfangen zu haben, wie ihn nur die ungekünstelte Erscheinung eines wahren Seelen¬
schmerzes erzeugen kann. Nicht eine gleiche Herrschaft des Maßes vermag ich im
Rhetorischen, im Accent der Declamation zu finden. Hier wird einestheils das
Schiller-Pathos, mit welchem die Künstlerin lange Jahre als Jungfrau von Orleans
das Publicum enthusiasmirte, in gesteigerter Gewichtigkeit des Recitirens wirksam,
anderntheils die plastische Riedling des Talents, welche eine größere Beschwerung


Grenzten. U. 1SSI. 14

bella hat in ihren Erzählungen, in dem, was sie aufklärt, in dem, was sie ver¬
schweigt, die schwächsten Motive der Tragödie zu tragen. Mit künstlerischem
Takte gibt Auguste Crelinger gerade der künstlichsten Romantik, der Mittheilung
der Träume von den Lorbeerbäumen, der Feuerlilie und dem Löwen, die einfachste,
schlichteste Haltung der Rede, und führt den Hörer über die Wiederholungen im
vierten Akt mit dem rapiden Tempo der bangen Erregung hinweg. Erschütternd
ist ihre Darstellung des furchtbaren Schmerzes der Mutter an der Leiche des
Erstgeborenen, der Gebrochenheit der Seele durch die anstürmenden unendlichen
Leiden, gegen die der trotzende Verstand umsonst den verwegenen Kampf unter¬
nimmt. Sie hebt das Menschliche dieses Kampfes eben so schön hervor, wie sie
das Fatalistische discret und rücksichtsvoll anschlägt. Außerdem lag in der eigenen
Individualität der Crelinger die Neigung zu mehr plastischem als malerischem Aus¬
druck. Daher erreichte sie den höchsten Gipfel ihrer Kunst in jener Sphäre, wo die
reine Idealität als ausschließliche Seelenstimmung erscheint: in Goethes Iphi-
genia und in der Antigone des Sophokles. Sie gibt in ihren Darstellungen
mehr große Züge des Seelenzustandes, der Leidenschaft, als Charaktere, die in
einem Reichthum verschiedener Beziehungen vielfältig sich ausleben. Aus der
wahren Darstellung großer Leidenschaften erwächst allerdings eher eine große
Charakterdarstellung, als aus der neuerdings vielfach in's Kleinliche streifenden
Genremalerei. Wo dagegen eine reiche geistige Welt mit anerzogenen und ange¬
wohnter Lebensbedingungen in Widerstreit gerät!), wo nicht eine große Rich¬
tung den Charakter bestimmt, sondern ein Spiel von gesellschaftlichen Formen
und einander widerstrebenden Verstandes- und Gefühlsmomcnten in heiterer
Komik sich entfalten soll, wie in Donna Diana, da vermißte ich jene weibliche
Koketterie, die im Kampfe des Stolzes zugleich dessen innere Schwäche verräth,
und zum Bundesgenossen der Liebe wird. In der Diana, welche Frau Crelinger
gab, sah ich immer nur den Kampf des Stolzes mit der Leidenschaft; der Cha¬
rakter erhielt eine tragische, statt einer lustspielartigen Färbung.

Das Spiel der Crelinger ist studirt, aber das Studirte tritt nie in ver¬
einzelter Absichtlichkeit störend hervor. Es ist im Ganzen offenbar durch das
Gemüth empfangen und in allem Mimisch-Plastischen von einem schönen Maße
beherrscht. Ich erinnere mich, in der Iphigenia durch das stumme Spiel der
Crelinger, das die Erzählung des Orest begleitete, einen so tiefen Eindruck em¬
pfangen zu haben, wie ihn nur die ungekünstelte Erscheinung eines wahren Seelen¬
schmerzes erzeugen kann. Nicht eine gleiche Herrschaft des Maßes vermag ich im
Rhetorischen, im Accent der Declamation zu finden. Hier wird einestheils das
Schiller-Pathos, mit welchem die Künstlerin lange Jahre als Jungfrau von Orleans
das Publicum enthusiasmirte, in gesteigerter Gewichtigkeit des Recitirens wirksam,
anderntheils die plastische Riedling des Talents, welche eine größere Beschwerung


Grenzten. U. 1SSI. 14
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[0117] bella hat in ihren Erzählungen, in dem, was sie aufklärt, in dem, was sie ver¬ schweigt, die schwächsten Motive der Tragödie zu tragen. Mit künstlerischem Takte gibt Auguste Crelinger gerade der künstlichsten Romantik, der Mittheilung der Träume von den Lorbeerbäumen, der Feuerlilie und dem Löwen, die einfachste, schlichteste Haltung der Rede, und führt den Hörer über die Wiederholungen im vierten Akt mit dem rapiden Tempo der bangen Erregung hinweg. Erschütternd ist ihre Darstellung des furchtbaren Schmerzes der Mutter an der Leiche des Erstgeborenen, der Gebrochenheit der Seele durch die anstürmenden unendlichen Leiden, gegen die der trotzende Verstand umsonst den verwegenen Kampf unter¬ nimmt. Sie hebt das Menschliche dieses Kampfes eben so schön hervor, wie sie das Fatalistische discret und rücksichtsvoll anschlägt. Außerdem lag in der eigenen Individualität der Crelinger die Neigung zu mehr plastischem als malerischem Aus¬ druck. Daher erreichte sie den höchsten Gipfel ihrer Kunst in jener Sphäre, wo die reine Idealität als ausschließliche Seelenstimmung erscheint: in Goethes Iphi- genia und in der Antigone des Sophokles. Sie gibt in ihren Darstellungen mehr große Züge des Seelenzustandes, der Leidenschaft, als Charaktere, die in einem Reichthum verschiedener Beziehungen vielfältig sich ausleben. Aus der wahren Darstellung großer Leidenschaften erwächst allerdings eher eine große Charakterdarstellung, als aus der neuerdings vielfach in's Kleinliche streifenden Genremalerei. Wo dagegen eine reiche geistige Welt mit anerzogenen und ange¬ wohnter Lebensbedingungen in Widerstreit gerät!), wo nicht eine große Rich¬ tung den Charakter bestimmt, sondern ein Spiel von gesellschaftlichen Formen und einander widerstrebenden Verstandes- und Gefühlsmomcnten in heiterer Komik sich entfalten soll, wie in Donna Diana, da vermißte ich jene weibliche Koketterie, die im Kampfe des Stolzes zugleich dessen innere Schwäche verräth, und zum Bundesgenossen der Liebe wird. In der Diana, welche Frau Crelinger gab, sah ich immer nur den Kampf des Stolzes mit der Leidenschaft; der Cha¬ rakter erhielt eine tragische, statt einer lustspielartigen Färbung. Das Spiel der Crelinger ist studirt, aber das Studirte tritt nie in ver¬ einzelter Absichtlichkeit störend hervor. Es ist im Ganzen offenbar durch das Gemüth empfangen und in allem Mimisch-Plastischen von einem schönen Maße beherrscht. Ich erinnere mich, in der Iphigenia durch das stumme Spiel der Crelinger, das die Erzählung des Orest begleitete, einen so tiefen Eindruck em¬ pfangen zu haben, wie ihn nur die ungekünstelte Erscheinung eines wahren Seelen¬ schmerzes erzeugen kann. Nicht eine gleiche Herrschaft des Maßes vermag ich im Rhetorischen, im Accent der Declamation zu finden. Hier wird einestheils das Schiller-Pathos, mit welchem die Künstlerin lange Jahre als Jungfrau von Orleans das Publicum enthusiasmirte, in gesteigerter Gewichtigkeit des Recitirens wirksam, anderntheils die plastische Riedling des Talents, welche eine größere Beschwerung Grenzten. U. 1SSI. 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/117>, abgerufen am 01.09.2024.