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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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solchen hält er für einen Edelmann -- ans. Aber wenn es nicht möglich, so ent¬
blößt er schon ans vierzig bis fünfzig Schritte Entfernung sein Haupt und geht
bis zur Erde niedergebeugt, die Mütze dein Empfänger der Huldigung zugestreckt,
vorüber. Die Bäuerin dagegen umsaßt mit ihren Armen die Füße des Begrüßten
und küßt ihm die Knie.

In jeder Beziehung ist der Bauer abhängig. Als Bursche oder Mädchen
wird er genöthigt dem Herrn als Knecht oder Magd zu dienen, die letztere sogar
mit ihrem Leibe; als Bräutigam oder Braut ist er dem Edelmann unterwürfig,
da er von ihm Erlaubniß zur Ehe bedarf; als verheiratete Person ist er ab¬
hängig, da es von dem Herrn abhängt, ihn zu einer Wirthschaft und dadurch
zu einer Art von Selbstständigkeit gelangen zu lassen; als Wirthschafter ist er
abhängig, da nichts von der ganzen Wirthschaft sein, sondern Alles des Edel¬
manns Eigenthum ist; als Vater ist er abhängig, da das Schicksal seiner Kinder
von dem Edelmann abhängt, der die Zuversicht des Bauers in Bezug auf die
schreckliche Militairpflicht seiner Sohne ist.

Natürlich hat das Dorf keine Schule. Außer in den deutschen Colonien sind
etwa nur zwanzig Dörfer in Polen, welche etwas wie eine Schule besetzen. Die
Russen sind ebenso wie die polnischen Edelleute der Meinung, daß es nicht gut
sei, wenn der Bauer viel verstehen lerne. Man meint, er werde es dann ebenso
machen, als jenes Roß, welches plötzlich Menschenverstand bekam, den Reiter
abwarf und zertrat. Diese Ueberzeugung übt im ganzen russischen Reiche eine sehr
vielfältige Wirkung aus.

Und gewissermaßen muß man jene Meinung theilen. Was würde Unterricht
dem polnischen Bauer zunächst bringen als eine tiefere und noch peinlichere Em¬
pfindung seiner jämmerlichen Lage? Und das ist dem armen Teufel nicht zu
wünschen, wenn gleich sich damit eine Allssicht auf eine späte bessere Zukunft ver¬
bindet. Seine Dummheit hält ihn wenigstens in einer gewissen Empfindungs¬
losigkeit. Er gleicht dem Grase, das sich ruhig mit Füßen treten läßt, und alle
Jahre neue Halme treibt.

Die Geistlichen sind wackere Leute; sie tragen eifrig dazu bei, die Bauern
in Gras zu verwandeln und wie Gras zu rupfen. Man sehe das Geberden der
Bauern, wenn sich ein Nordlicht blicken läßt, ihre Kapriolen vor den Kreuzen
und Heiligenbildern bei einer Mondfinsternis;, man höre ihr Gebrüll in der Christ¬
nacht und an den Tagen gewisser Heiligen, ja man sehe nur einen Bauer sein
Morgen- oder Abendgebet verrichten, wie da die Lippen vom Gebet bewegt wer¬
den, während seine Hand den Hund prügelt, wie schnell er den Hund losläßt,
um bei dem bestimmten Worte das Antoinns - oder Marienbild an der Wand
oder das Weihbecken an der Thür zu küssen, wie er dann wieder zum Tische geht,
die große Schaspelzmütze nimmt und mit betenden Lippen eine Jagd gegen ge¬
wisse unbeliebte Thierchen in der Mütze anstellt. So etwas Miß man ansehen,


solchen hält er für einen Edelmann — ans. Aber wenn es nicht möglich, so ent¬
blößt er schon ans vierzig bis fünfzig Schritte Entfernung sein Haupt und geht
bis zur Erde niedergebeugt, die Mütze dein Empfänger der Huldigung zugestreckt,
vorüber. Die Bäuerin dagegen umsaßt mit ihren Armen die Füße des Begrüßten
und küßt ihm die Knie.

In jeder Beziehung ist der Bauer abhängig. Als Bursche oder Mädchen
wird er genöthigt dem Herrn als Knecht oder Magd zu dienen, die letztere sogar
mit ihrem Leibe; als Bräutigam oder Braut ist er dem Edelmann unterwürfig,
da er von ihm Erlaubniß zur Ehe bedarf; als verheiratete Person ist er ab¬
hängig, da es von dem Herrn abhängt, ihn zu einer Wirthschaft und dadurch
zu einer Art von Selbstständigkeit gelangen zu lassen; als Wirthschafter ist er
abhängig, da nichts von der ganzen Wirthschaft sein, sondern Alles des Edel¬
manns Eigenthum ist; als Vater ist er abhängig, da das Schicksal seiner Kinder
von dem Edelmann abhängt, der die Zuversicht des Bauers in Bezug auf die
schreckliche Militairpflicht seiner Sohne ist.

Natürlich hat das Dorf keine Schule. Außer in den deutschen Colonien sind
etwa nur zwanzig Dörfer in Polen, welche etwas wie eine Schule besetzen. Die
Russen sind ebenso wie die polnischen Edelleute der Meinung, daß es nicht gut
sei, wenn der Bauer viel verstehen lerne. Man meint, er werde es dann ebenso
machen, als jenes Roß, welches plötzlich Menschenverstand bekam, den Reiter
abwarf und zertrat. Diese Ueberzeugung übt im ganzen russischen Reiche eine sehr
vielfältige Wirkung aus.

Und gewissermaßen muß man jene Meinung theilen. Was würde Unterricht
dem polnischen Bauer zunächst bringen als eine tiefere und noch peinlichere Em¬
pfindung seiner jämmerlichen Lage? Und das ist dem armen Teufel nicht zu
wünschen, wenn gleich sich damit eine Allssicht auf eine späte bessere Zukunft ver¬
bindet. Seine Dummheit hält ihn wenigstens in einer gewissen Empfindungs¬
losigkeit. Er gleicht dem Grase, das sich ruhig mit Füßen treten läßt, und alle
Jahre neue Halme treibt.

Die Geistlichen sind wackere Leute; sie tragen eifrig dazu bei, die Bauern
in Gras zu verwandeln und wie Gras zu rupfen. Man sehe das Geberden der
Bauern, wenn sich ein Nordlicht blicken läßt, ihre Kapriolen vor den Kreuzen
und Heiligenbildern bei einer Mondfinsternis;, man höre ihr Gebrüll in der Christ¬
nacht und an den Tagen gewisser Heiligen, ja man sehe nur einen Bauer sein
Morgen- oder Abendgebet verrichten, wie da die Lippen vom Gebet bewegt wer¬
den, während seine Hand den Hund prügelt, wie schnell er den Hund losläßt,
um bei dem bestimmten Worte das Antoinns - oder Marienbild an der Wand
oder das Weihbecken an der Thür zu küssen, wie er dann wieder zum Tische geht,
die große Schaspelzmütze nimmt und mit betenden Lippen eine Jagd gegen ge¬
wisse unbeliebte Thierchen in der Mütze anstellt. So etwas Miß man ansehen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/100>, abgerufen am 01.09.2024.