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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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lichen Markgrafen Jstriens unabhängig, zuletzt um -1300 eine freie Stadt. Die Vene-
tianer, die Patriarchen von Aquileja, die Markgrafen stritten um ihren Besitz; rings
von Feinden umgeben suchte sie durch freiwillige Unterwerfung beim Kaiser, seit
1369 bei den Oestreichischen Fürsten Schutz. Lauge achteten diese den Erwerb
wenig, und selbst vor den Ansprüche" Venedigs hatte es kaum eher Sicherheit,
als bis dessen Macht in Verfall gerieth. Den Grund zu seiner großem Bedeu¬
tung verdankt es den Bemühungen Karl's VI. und seiner großen Tochter; in
Folge der Herrschaft der Franzosen vom Jahre 1809 bis 1813 heruntergekom-
men, hat es bekanntlich seit den letzten dreißig Jahren sich schnell zu ungewöhn¬
licher Blüthe erhoben. So ist es von jeher halb Deutsch, halb Italienisch gewesen,
während schon seit dem sechsten Jahrhundert von Osten her die verschiedenen
Stämme der Slaven bis an seine Mauern drangen und sein Gebiet besetzten.

Wenn man zuerst als Fremder von Deutschland her die Stadt betritt, er¬
scheint sie in ihrer ganzen Physiognomie entschieden fremdartig und ausländisch;
Italienisch ist der Passirschcin, den man an der Barrivre empfängt, sind die Na¬
men der Straßen geschrieben, die man durchfährt, klingen die Laute aus dem
Gewühle, das man auf den Plätzen erblickt, redet der Lastträger uns an, der
unser Gepäck fortschaffen will, und wir freuen uns, wenn der Postbeamte oder im
Gasthof der Kellner uns in der Muttersprache Rede stehen kann. So fühlt man eine
Art geheimen Vergnügens, so oft man in den ersten Tagen Jemand findet, der Dentsth
spricht, immer in der Meinung, es seien nnr vereinzelte Ausnahmen. Allein zu
eigenem Erstaunen ändert sich das bald, und man merkt, daß das Deutsche hier,
wenn auch allerdings eine Ausnahme, doch eine sehr umfassende ist. Sehr Viele
reden uns nur dariim Italienisch an, weil sie mit gutem Recht die Kenntniß dieser
Sprache bei Jedem, der in Trieft weilt, voraussetzen. Darum sind sie oft nicht
minder Deutsch. Dazu sind wir bekannter Maßen immer eher geneigt, mit drei,
vier fremden Sprachen aufzuwarten, als uns in der eigenen aufwarten zu lassen;
ziemlich jeder Landsmann kann hier Italienisch, aber nicht so umgekehrt ein jeder Ita¬
liener auch Deutsch. Die große untere Schicht, die Arbeiter, die Lastträger und
Schiffer, die meisten Handwerker und viele Gcwcrbtrcibende sind, die mäßige
Zahl der Einwanderer abgerechnet, Italiener; dabei liegt es in den Verhältnissen,
daß durch Vermischung der ursprüngliche Typus vielfach verwischt ist, eben so wie
die Sprache verdorben erscheint. Der Triestiner Dialekt, denn einen solchen kann
man geradezu feststellen, läßt viel von dem erwarteten Wohllaut vermissen, und
weicht in Formen wie Ausdrücken so weit von anderen ab, daß der Lazzarone von
Neapel und der hiesige Facchino sich t'arm würden verständigen können. Ent¬
schieden treten in Sitte und Leben des Volkes dabei die Grundsätze deö Italieni¬
schen Charakters hervor. Lebendig und reizbar, ewig lärmend und schreiend, prah¬
lerisch mit großen Worten, ziemlich feig zur That, außer in der Hitze der Wuth
oder Rachsucht, genügsam und mäßig für gewöhnlich, lustig bei seinem Weine,


"wnzboten. IV. 1851. 9

lichen Markgrafen Jstriens unabhängig, zuletzt um -1300 eine freie Stadt. Die Vene-
tianer, die Patriarchen von Aquileja, die Markgrafen stritten um ihren Besitz; rings
von Feinden umgeben suchte sie durch freiwillige Unterwerfung beim Kaiser, seit
1369 bei den Oestreichischen Fürsten Schutz. Lauge achteten diese den Erwerb
wenig, und selbst vor den Ansprüche» Venedigs hatte es kaum eher Sicherheit,
als bis dessen Macht in Verfall gerieth. Den Grund zu seiner großem Bedeu¬
tung verdankt es den Bemühungen Karl's VI. und seiner großen Tochter; in
Folge der Herrschaft der Franzosen vom Jahre 1809 bis 1813 heruntergekom-
men, hat es bekanntlich seit den letzten dreißig Jahren sich schnell zu ungewöhn¬
licher Blüthe erhoben. So ist es von jeher halb Deutsch, halb Italienisch gewesen,
während schon seit dem sechsten Jahrhundert von Osten her die verschiedenen
Stämme der Slaven bis an seine Mauern drangen und sein Gebiet besetzten.

Wenn man zuerst als Fremder von Deutschland her die Stadt betritt, er¬
scheint sie in ihrer ganzen Physiognomie entschieden fremdartig und ausländisch;
Italienisch ist der Passirschcin, den man an der Barrivre empfängt, sind die Na¬
men der Straßen geschrieben, die man durchfährt, klingen die Laute aus dem
Gewühle, das man auf den Plätzen erblickt, redet der Lastträger uns an, der
unser Gepäck fortschaffen will, und wir freuen uns, wenn der Postbeamte oder im
Gasthof der Kellner uns in der Muttersprache Rede stehen kann. So fühlt man eine
Art geheimen Vergnügens, so oft man in den ersten Tagen Jemand findet, der Dentsth
spricht, immer in der Meinung, es seien nnr vereinzelte Ausnahmen. Allein zu
eigenem Erstaunen ändert sich das bald, und man merkt, daß das Deutsche hier,
wenn auch allerdings eine Ausnahme, doch eine sehr umfassende ist. Sehr Viele
reden uns nur dariim Italienisch an, weil sie mit gutem Recht die Kenntniß dieser
Sprache bei Jedem, der in Trieft weilt, voraussetzen. Darum sind sie oft nicht
minder Deutsch. Dazu sind wir bekannter Maßen immer eher geneigt, mit drei,
vier fremden Sprachen aufzuwarten, als uns in der eigenen aufwarten zu lassen;
ziemlich jeder Landsmann kann hier Italienisch, aber nicht so umgekehrt ein jeder Ita¬
liener auch Deutsch. Die große untere Schicht, die Arbeiter, die Lastträger und
Schiffer, die meisten Handwerker und viele Gcwcrbtrcibende sind, die mäßige
Zahl der Einwanderer abgerechnet, Italiener; dabei liegt es in den Verhältnissen,
daß durch Vermischung der ursprüngliche Typus vielfach verwischt ist, eben so wie
die Sprache verdorben erscheint. Der Triestiner Dialekt, denn einen solchen kann
man geradezu feststellen, läßt viel von dem erwarteten Wohllaut vermissen, und
weicht in Formen wie Ausdrücken so weit von anderen ab, daß der Lazzarone von
Neapel und der hiesige Facchino sich t'arm würden verständigen können. Ent¬
schieden treten in Sitte und Leben des Volkes dabei die Grundsätze deö Italieni¬
schen Charakters hervor. Lebendig und reizbar, ewig lärmend und schreiend, prah¬
lerisch mit großen Worten, ziemlich feig zur That, außer in der Hitze der Wuth
oder Rachsucht, genügsam und mäßig für gewöhnlich, lustig bei seinem Weine,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/69>, abgerufen am 23.07.2024.