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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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in kleinen Dingen, 1850 vor derselben Kammer nur noch selten, weit öfter ein
doctrinaires Pathos, 18S1 endlich nur noch den didaktischen Styl ohne Pathos, bieder-
männischen Gcmüthlichkeitsjargon blos hei Berufungen aufconstitutionelle Principieu-
trene des Ministeriums. Er war überhaupt nur in der Abgeordnetenkammer gemüth¬
lich, niemals bei den Neichöräthen ; gerade so wie Hr. v. d. Pfordten nur in der "un¬
tern Kammer" mit dem Herrischen Entscheidungstoue zu imponiren versuchte, dagegen
in der "obern hohen", selbst den härtesten Oppositionen gegenüber, aus der
staatsmännischen, vielleicht hier und da etwas emphatischen Darlegnngs- und Er¬
läuterungsweise nicht ein einziges Mal gefallen ist. Blos Hr. v. Kleinschrod
und Hr. Aschenbrcnner zeigten immer in beiden Kammern ein ganz gleichbleiben¬
des Auftreten; Ersterer in der herbesteu, mitunter polternden Weise, Letzterer in
der sanftesten, verschwimmcudsten Gemüthlichkeit.

Was nämlich bei Hrn. Ningclmann weit mehr bewußte Technik als ursprün-
licheS Wesen, das ist bei Hrn. Aschenbreuuer vollkommen Natur. Er ist ein außer¬
ordentlich dicker Mann von mittlerem Alter mit kurzem Hals und zwar klugem,
doch bis in den letzten Winkel unwiderstehlich gutmüthigem Gesicht, dessen freund¬
liche Angen angenehmer Weise nicht von der Brille bedeckt sind, weil diese hartnäckig
vom Nasenwinkel herabrntscht, als sollten ihre Gläser nicht den Augen, sondern den
dicken Wangen die Perspective in die Welt eröffnen. Hrn. Aschenbrcnner wird das
Sprechen augenscheinlich sauer, und wenn er seine Vorbereitungen dazu trifft,
glaubt man seinem ganzen Wesen die Frage anzusehen: "Was doch diese Leute unbe¬
greiflicher Weise immer zu mäkeln und zu nergeln haben? Aber selbst diese Frage
hat durchaus nichts Aergerliches, sie ist nnr Ausdruck der naiven Verwunderung
eines grundehrlichen und seiner Aufgabe gewachsenen Mannes, daß die Kammer
immer besondere Aufklärungen und Versicherungen davon verlangen könne, wie,
ans welche Weise ein solcher Mann sein mißliches Geschäft verwalte. Er giebt
darum diese Aufklärungen anch ganz gelassen und ausführlich, ohne etwa die Finanz¬
zustände mit einer Glorie schmücken zu wollen; und selbst aus tiefere Erörterungen
über Mittel und Wege läßt er sich mit großer Bereitwilligkeit ein, obgleich
es der einfachen Belehrung anzuhören glaubt, daß sie von dem Gedanken getragen
wird, die Mehrzahl der Hörer werde doch nicht viel klarer dadurch werden, we>
ihr die Vorbedingungen der Klarheit darüber fehlen. Wenn aber irgend em
bestimmter Punkt eine wirkliche Differenz zwischen den Maßregeln der Finanzver-
waltung und deu Ansichten der finanzweisen Kammermitglieder ergiebt, die sich
durch einfache Belehrung nicht sofort schlichten läßt, da verfällt Herr von Aschen-
brenner unwillkürlich in jenes gemüthliche Jargon, welches Vertrauen anch ohne
ganz genaue Aufklärung in Anspruch nimmt. Und damit siegt oder beschw"'"'
ligt er wenigstens schließlich fast immer. Sogar die Kammer der Wahl vo"
1848 trieb ihre finanziellen Rhapsodien nicht mit der Erbitterung, womit sie "
andern Verwaltungssphären verkehrte; die Kammer der Wahl von 18i9 a er


in kleinen Dingen, 1850 vor derselben Kammer nur noch selten, weit öfter ein
doctrinaires Pathos, 18S1 endlich nur noch den didaktischen Styl ohne Pathos, bieder-
männischen Gcmüthlichkeitsjargon blos hei Berufungen aufconstitutionelle Principieu-
trene des Ministeriums. Er war überhaupt nur in der Abgeordnetenkammer gemüth¬
lich, niemals bei den Neichöräthen ; gerade so wie Hr. v. d. Pfordten nur in der „un¬
tern Kammer" mit dem Herrischen Entscheidungstoue zu imponiren versuchte, dagegen
in der „obern hohen", selbst den härtesten Oppositionen gegenüber, aus der
staatsmännischen, vielleicht hier und da etwas emphatischen Darlegnngs- und Er¬
läuterungsweise nicht ein einziges Mal gefallen ist. Blos Hr. v. Kleinschrod
und Hr. Aschenbrcnner zeigten immer in beiden Kammern ein ganz gleichbleiben¬
des Auftreten; Ersterer in der herbesteu, mitunter polternden Weise, Letzterer in
der sanftesten, verschwimmcudsten Gemüthlichkeit.

Was nämlich bei Hrn. Ningclmann weit mehr bewußte Technik als ursprün-
licheS Wesen, das ist bei Hrn. Aschenbreuuer vollkommen Natur. Er ist ein außer¬
ordentlich dicker Mann von mittlerem Alter mit kurzem Hals und zwar klugem,
doch bis in den letzten Winkel unwiderstehlich gutmüthigem Gesicht, dessen freund¬
liche Angen angenehmer Weise nicht von der Brille bedeckt sind, weil diese hartnäckig
vom Nasenwinkel herabrntscht, als sollten ihre Gläser nicht den Augen, sondern den
dicken Wangen die Perspective in die Welt eröffnen. Hrn. Aschenbrcnner wird das
Sprechen augenscheinlich sauer, und wenn er seine Vorbereitungen dazu trifft,
glaubt man seinem ganzen Wesen die Frage anzusehen: „Was doch diese Leute unbe¬
greiflicher Weise immer zu mäkeln und zu nergeln haben? Aber selbst diese Frage
hat durchaus nichts Aergerliches, sie ist nnr Ausdruck der naiven Verwunderung
eines grundehrlichen und seiner Aufgabe gewachsenen Mannes, daß die Kammer
immer besondere Aufklärungen und Versicherungen davon verlangen könne, wie,
ans welche Weise ein solcher Mann sein mißliches Geschäft verwalte. Er giebt
darum diese Aufklärungen anch ganz gelassen und ausführlich, ohne etwa die Finanz¬
zustände mit einer Glorie schmücken zu wollen; und selbst aus tiefere Erörterungen
über Mittel und Wege läßt er sich mit großer Bereitwilligkeit ein, obgleich
es der einfachen Belehrung anzuhören glaubt, daß sie von dem Gedanken getragen
wird, die Mehrzahl der Hörer werde doch nicht viel klarer dadurch werden, we>
ihr die Vorbedingungen der Klarheit darüber fehlen. Wenn aber irgend em
bestimmter Punkt eine wirkliche Differenz zwischen den Maßregeln der Finanzver-
waltung und deu Ansichten der finanzweisen Kammermitglieder ergiebt, die sich
durch einfache Belehrung nicht sofort schlichten läßt, da verfällt Herr von Aschen-
brenner unwillkürlich in jenes gemüthliche Jargon, welches Vertrauen anch ohne
ganz genaue Aufklärung in Anspruch nimmt. Und damit siegt oder beschw"'»'
ligt er wenigstens schließlich fast immer. Sogar die Kammer der Wahl vo»
1848 trieb ihre finanziellen Rhapsodien nicht mit der Erbitterung, womit sie "
andern Verwaltungssphären verkehrte; die Kammer der Wahl von 18i9 a er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/66>, abgerufen am 23.07.2024.