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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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widerlich und beängstigend gewesen, so empörte jetzt der Anblick dieser Ncnega-
tionen selbst in den berechtigten nationalen Forderungen. Denn durch diese Schwen¬
kung war die nationale Frage eigentlich bereits eludirt, ehe sie von Neuem zur
Discussion kam. Es handelte sich thatsächlich nicht mehr um Revolution und
berechtigte Reform, sondern Alles war Rebellion, Conservation jedes Stehen-
bleiben, mochte es thatsächlich anch noch so zerrüttend auf die allgemeinen und
particulären Interessen wirken.

Vergessen wir es also nicht, die nationale OrgauisationSfragc war bereits
bei den Regierungs- und Ordnnngsvrganen ohne Existenzrecht in der überkommenen
Gestalt, als das Ministerium Pfordten vor die Kammern trat; es galt nnr noch
die diplomatische Kunst, ihren Leichnam zu galvanisiren, "in hinter dessen geister¬
haften Zuckungen das Prineip der neuen Zeit überhaupt zu bekriegen. Wäre
die nationale Frage wirklich ein so wesentliches Moment, ein so entschiedener
Mittelpunkt des Ministeriums Pfordten gewesen, wie es dem äußern Ansehen nach
^scheinen mag, so wäre dieses Ministerium bereits längst eben so gestürzt, wie
d^s Römer's und Stüve's. Daß aber der diplomatische Verstand mächtigerer
Nachbarn sofort erkannte, wie die Taktik des Bayerischen Ministeriums darin
bestand, die nationale Frage nur als Mittel zu gebrauchen, womit dem Liberalismus
überhaupt der Lebensnerv abgebrannt werden sollte, das bat ihm seine Erhaltung
gesichert.

Als am 17. Mai dieses neue Ministerium der Bayerischen Kammer sich
Vräsentirte, erkannte die bis dahin übermächtige Opposition die neuen Constellationen
"°es nicht klar und nackt. Aber ein Vorgefühl ging durch ihre Reihen, und darum
ieme Adresse an den König, welche auf das die "Vereinbarung" festhaltende Mini¬
malprogramm die Ueberzeugungen der frühern Adresse in gereizter Entschieden¬
heit als Grund des VersagenS aller und jeder Mitwirkung mit diesem Ministe¬
rin aufstellte. Dies geschah uoch mit eiuer Mehrheit von 10 Stimmen, d^!>
wußte sich die starke Minderheit bereits ihrer Zukunft so sicher, daß sie den
Protest der 62, wenn anch in zwei getrennten Fraktionen, der nnr dnrch das Vor¬
gefühl vom Hinsterben des liberalen Princips zusammeugeführten Adreßcinhcit jener
72 entgegenstellte. Ja noch mehr. Vielleicht nur ein Einziger dieser Gesammtheit
'""r sich genau bewußt, worum es sich handelte: um das Princip der Vereinbarung
allerdings, doch keineswegs mehr über die Reichsverfassung, sondern über alle
Staatsfragen des konstitutionellen Princips. "Was heißt und ist Vereinbarung --
hatte darum Schüler gvsragt? Ursprünglich ein grammatikalisch undenkbares Wort,
eine dehn- und deutbare Diplomatenerfindnng. ' Im Mai vorigen Jahres, als die
Regierungen gedrängt waren, da hieß eS soviel als wirkliche Verständigung, jetzt,
wo sie die Macht wieder salon, soviel als Octroyirung, und vorkommenden Falls:
Velagernugözustand, Standrecht." Schüler aber war der Führer der Pfälzer,
das geistige Oberhaupt der gauzeu Linken. Waren die Pfälzer, -18 an Zahl, aus dem


Grenzboten. IV. 8

widerlich und beängstigend gewesen, so empörte jetzt der Anblick dieser Ncnega-
tionen selbst in den berechtigten nationalen Forderungen. Denn durch diese Schwen¬
kung war die nationale Frage eigentlich bereits eludirt, ehe sie von Neuem zur
Discussion kam. Es handelte sich thatsächlich nicht mehr um Revolution und
berechtigte Reform, sondern Alles war Rebellion, Conservation jedes Stehen-
bleiben, mochte es thatsächlich anch noch so zerrüttend auf die allgemeinen und
particulären Interessen wirken.

Vergessen wir es also nicht, die nationale OrgauisationSfragc war bereits
bei den Regierungs- und Ordnnngsvrganen ohne Existenzrecht in der überkommenen
Gestalt, als das Ministerium Pfordten vor die Kammern trat; es galt nnr noch
die diplomatische Kunst, ihren Leichnam zu galvanisiren, »in hinter dessen geister¬
haften Zuckungen das Prineip der neuen Zeit überhaupt zu bekriegen. Wäre
die nationale Frage wirklich ein so wesentliches Moment, ein so entschiedener
Mittelpunkt des Ministeriums Pfordten gewesen, wie es dem äußern Ansehen nach
^scheinen mag, so wäre dieses Ministerium bereits längst eben so gestürzt, wie
d^s Römer's und Stüve's. Daß aber der diplomatische Verstand mächtigerer
Nachbarn sofort erkannte, wie die Taktik des Bayerischen Ministeriums darin
bestand, die nationale Frage nur als Mittel zu gebrauchen, womit dem Liberalismus
überhaupt der Lebensnerv abgebrannt werden sollte, das bat ihm seine Erhaltung
gesichert.

Als am 17. Mai dieses neue Ministerium der Bayerischen Kammer sich
Vräsentirte, erkannte die bis dahin übermächtige Opposition die neuen Constellationen
"°es nicht klar und nackt. Aber ein Vorgefühl ging durch ihre Reihen, und darum
ieme Adresse an den König, welche auf das die „Vereinbarung" festhaltende Mini¬
malprogramm die Ueberzeugungen der frühern Adresse in gereizter Entschieden¬
heit als Grund des VersagenS aller und jeder Mitwirkung mit diesem Ministe¬
rin aufstellte. Dies geschah uoch mit eiuer Mehrheit von 10 Stimmen, d^!>
wußte sich die starke Minderheit bereits ihrer Zukunft so sicher, daß sie den
Protest der 62, wenn anch in zwei getrennten Fraktionen, der nnr dnrch das Vor¬
gefühl vom Hinsterben des liberalen Princips zusammeugeführten Adreßcinhcit jener
72 entgegenstellte. Ja noch mehr. Vielleicht nur ein Einziger dieser Gesammtheit
'""r sich genau bewußt, worum es sich handelte: um das Princip der Vereinbarung
allerdings, doch keineswegs mehr über die Reichsverfassung, sondern über alle
Staatsfragen des konstitutionellen Princips. „Was heißt und ist Vereinbarung —
hatte darum Schüler gvsragt? Ursprünglich ein grammatikalisch undenkbares Wort,
eine dehn- und deutbare Diplomatenerfindnng. ' Im Mai vorigen Jahres, als die
Regierungen gedrängt waren, da hieß eS soviel als wirkliche Verständigung, jetzt,
wo sie die Macht wieder salon, soviel als Octroyirung, und vorkommenden Falls:
Velagernugözustand, Standrecht." Schüler aber war der Führer der Pfälzer,
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[0061] widerlich und beängstigend gewesen, so empörte jetzt der Anblick dieser Ncnega- tionen selbst in den berechtigten nationalen Forderungen. Denn durch diese Schwen¬ kung war die nationale Frage eigentlich bereits eludirt, ehe sie von Neuem zur Discussion kam. Es handelte sich thatsächlich nicht mehr um Revolution und berechtigte Reform, sondern Alles war Rebellion, Conservation jedes Stehen- bleiben, mochte es thatsächlich anch noch so zerrüttend auf die allgemeinen und particulären Interessen wirken. Vergessen wir es also nicht, die nationale OrgauisationSfragc war bereits bei den Regierungs- und Ordnnngsvrganen ohne Existenzrecht in der überkommenen Gestalt, als das Ministerium Pfordten vor die Kammern trat; es galt nnr noch die diplomatische Kunst, ihren Leichnam zu galvanisiren, »in hinter dessen geister¬ haften Zuckungen das Prineip der neuen Zeit überhaupt zu bekriegen. Wäre die nationale Frage wirklich ein so wesentliches Moment, ein so entschiedener Mittelpunkt des Ministeriums Pfordten gewesen, wie es dem äußern Ansehen nach ^scheinen mag, so wäre dieses Ministerium bereits längst eben so gestürzt, wie d^s Römer's und Stüve's. Daß aber der diplomatische Verstand mächtigerer Nachbarn sofort erkannte, wie die Taktik des Bayerischen Ministeriums darin bestand, die nationale Frage nur als Mittel zu gebrauchen, womit dem Liberalismus überhaupt der Lebensnerv abgebrannt werden sollte, das bat ihm seine Erhaltung gesichert. Als am 17. Mai dieses neue Ministerium der Bayerischen Kammer sich Vräsentirte, erkannte die bis dahin übermächtige Opposition die neuen Constellationen "°es nicht klar und nackt. Aber ein Vorgefühl ging durch ihre Reihen, und darum ieme Adresse an den König, welche auf das die „Vereinbarung" festhaltende Mini¬ malprogramm die Ueberzeugungen der frühern Adresse in gereizter Entschieden¬ heit als Grund des VersagenS aller und jeder Mitwirkung mit diesem Ministe¬ rin aufstellte. Dies geschah uoch mit eiuer Mehrheit von 10 Stimmen, d^!> wußte sich die starke Minderheit bereits ihrer Zukunft so sicher, daß sie den Protest der 62, wenn anch in zwei getrennten Fraktionen, der nnr dnrch das Vor¬ gefühl vom Hinsterben des liberalen Princips zusammeugeführten Adreßcinhcit jener 72 entgegenstellte. Ja noch mehr. Vielleicht nur ein Einziger dieser Gesammtheit '""r sich genau bewußt, worum es sich handelte: um das Princip der Vereinbarung allerdings, doch keineswegs mehr über die Reichsverfassung, sondern über alle Staatsfragen des konstitutionellen Princips. „Was heißt und ist Vereinbarung — hatte darum Schüler gvsragt? Ursprünglich ein grammatikalisch undenkbares Wort, eine dehn- und deutbare Diplomatenerfindnng. ' Im Mai vorigen Jahres, als die Regierungen gedrängt waren, da hieß eS soviel als wirkliche Verständigung, jetzt, wo sie die Macht wieder salon, soviel als Octroyirung, und vorkommenden Falls: Velagernugözustand, Standrecht." Schüler aber war der Führer der Pfälzer, das geistige Oberhaupt der gauzeu Linken. Waren die Pfälzer, -18 an Zahl, aus dem Grenzboten. IV. 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/61>, abgerufen am 24.07.2024.